Fünf Bäume stecken kopfunter in Betonquadern, die Wurzeln ragen in die Luft. Die Kronen erhalten kein Licht und die Wurzeln kein Wasser. So müssen die „Strampelnden Bäume“, so der Werktitel, zwangsläufig kläglich eingehen. Ihr Strampeln ist ein Überlebenskampf, ein Bild für die Unterwerfung der Natur durch den Menschen. Mit dieser deutlichen Mahnung beginnt in Frankfurt die erste große Retrospektive des deutschen Künstlers Gustav Metzger (1926-2017), der als jüdischer Junge noch 1939 im letzten Moment ohne seine Eltern nach England verschickt wurde.
Freilich hat es das zweite Werk vor dem Frankfurter MMK-Tower, der Filiale des Museums für Moderne Kunst (MMK), noch mehr in sich, auch wenn es sich nur um wenige Meter Teer handelt, die vor dem Museumseingang ausgewalzt wurden. Ein Baustoff also, der schon seit der Antike mit dem später offen antisemitisch geprägten Ausdruck „Judenpech“ bezeichnet wurde.
Erst im hohen Alter anerkannt
Diese zwei Werke stehen für Gewalt und Zerstörung, die wir der Natur und den Menschen angetan haben oder noch immer antun. Gustav Metzger hat beides in seinem langen Leben am eigenen Leib erfahren, aber seine künstlerischen Aktivitäten wurden lange übersehen oder gar verdrängt. Erst im hohen Alter wurde Metzger als Pionier der Aktions- und Performance-Kunst anerkannt. Er war „ein Konzept-Künstler“, meint MMK-Chefin Susanne Pfeffer, die knapp 100 seiner Werke zusammen mit Kuratorin Julia Eichler ausgewählt hat.
Von seinen zahlreichen Werken blieben oft nur Fotos oder anderes Dokumentationsmaterial über, da er schon 1959 im ersten Manifest seiner „Autodestruktiven Kunst“ die Idee entwickelte, dass diese Art von Kunst „ein Element in sich trägt, das innerhalb eines Zeitraums von nicht mehr als 20 Jahren automatisch zu ihrer Zerstörung führt.“ Folglich bemalte er nicht mehr Leinwände mit Ölfarben, sondern Nylonplanen mit Säure, die bald in Fetzen herabhingen, wie ein Video zeigt. Die Erinnerung an den Prozess war ihm wichtiger als das Bild.
Ähnlich verfuhr Gustav Metzger mit Stahlskulpturen, die er entweder der Korrosion überließ oder bereits 1963 einen Plan entwickelte, wie er Teile von ihnen per Computer sprengen konnte, bis nur noch ein fragiles Gerüst übrig blieb. Damit war Metzger seiner Zeit weit voraus, galt aber auch als verschroben, da er nicht kommunikativ war. Dabei war er ein genauer Beobachter, der um 1949 traumatisierte Kinder porträtierte. In je zehn Minuten charakterisierte er mit freien Strichen sehr ernst dreinblickende oder angespannt wirkende Kinder.
Historische Fotos völlig neu zeigen
Der in Nürnberg geborene Gustav Metzger, der Ende der 80er-Jahre auch eine Weile in Frankfurt lebte, bevor er wieder nach London zog, konnte also durchaus malen und zeichnen. Das zeigt die an seiner Biografie orientierte Schau in den ersten Räumen. Noch stärker aber war sein Gespür dafür, wie man historische Fotos völlig neu zeigt. Als obsessiver Zeitungsleser, so Eichler, galt ihm die Zeitung als Zeitdokument, aber auch als Beleg dafür, dass die Medien mit der Auswahl der Bilder und Texte selbst die Leser beeinflussen. Metzger hingegen entzieht die Fotos teils oder komplett dem Blick des Betrachters.
„Zum Hineinkriechen – Anschluss“ heißt ein Werk von 1996, das mit einem großen gelben Tuch abgedeckt ist. Darunter entdeckt der halb kriechende, halb kniende Betrachter ein vergrößertes Foto von Juden, die 1938 in Wien auf Knien eine Straße schrubben mussten und dabei vom Volk begafft wurden – geschehen nach dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs ans Deutsche Reich. Das gelbe Tuch erinnert an den knallgelben Judenstern.
Und dem Foto der Rampe im KZ Auschwitz von 1944 steht man dank eingezogener Wand hautnah gegenüber. Ein anderes Foto der marschierenden Hitlerjugend ist sogar zwischen zwei Stahlplatten eingeschweißt.
Stattliche Metzger-Sammlung
Dieses Bild hat das MMK schon früher erworben, nun folgen bis zu 40 weitere Werke. Damit hat das MMK die größte öffentliche Sammlung in Europa. Ein Glücksfall – diese Schau sollte man nicht versäumen.
Bis zum 5. Januar, Infos online unter www.mmk.art