„Vinyl ist wie die Kunstsammlung des armen Mannes“, sagt Oasis-Mitgründer Noel Gallagher in der 2022 erschienenen Doku „Squaring the Circle“. Wonach Thomas Hennig zwar vielleicht nicht mit monetärem Reichtum gesegnet sein mag, dafür aber umso mehr mit kreativem. Der Wahl-Neuwieder nämlich nennt inzwischen Tausende Schallplatten sein Eigen, sammelt die kostbaren Vinylschätze seit Ende der 1980er-Jahre, hat seitdem vor allem auch eine Vielzahl spannender Geschichten hinter den kunstvollen Covern zusammengetragen – und präsentiert beides nun im Rahmen einer Ausstellung in der Artothek des Neuen Kunstvereins Mittelrhein (NKVM) in Neuwied.
Seine „gut gemischte Kollektion“, wie der 55-Jährige sie nennt, umfasst dabei Veröffentlichungen von den 1960ern bis heute, spart genretechnisch lediglich House und Techno aus, setzt stattdessen einen Schwerpunkt beim Britpop der knalligen 90er. Womit man auch wieder bei Oasis und Noel Gallagher wäre, den Hennig mit oben genannten Worten nicht nur zitiert, sondern gleich auch noch erklärend hinzufügt: „Ein Original von Andy Warhol wird für mich nie erschwinglich sein, aber ich kann mir zum Beispiel für 20 Euro das Album ,The Velvet Underground & Nico’ mit dem von ihm gestalteten Bananen-Cover kaufen.“

Die Kunst zur Musik, sie ist vielen fest im Gedächtnis verhaftet, in ihrer Strahlkraft nicht selten ikonisch – man denke nur an das legendäre Bild des brennenden Mannes auf Pink Floyds Longplayer „Wish You Were Here“ –, und doch weiß kaum jemand etwas über die teils prominenten Schöpfer dieser Werke, noch weniger über die Geschichten dahinter. Weshalb Hennig das Gesamtpaket aus alledem nun anhand von rund 40 Plattencovern in der neuen NKVM-Ausstellung beleuchtet, dabei, wie er sagt, „einen leichten, auch kurzweiligen Zugang zum Thema eröffnen“ will.
Zu sehen ist in der Schau, die im Rahmen des Neuwieder Kreativfestivals Kunst im Karree eröffnet wird, unter anderem auch das Cover zu Peter Gabriels drittem Soloalbum „Melt“ (1980), darauf das Gesicht des Sängers, dessen rechte Hälfte nach unten hin wie Wachs zu zerlaufen scheint. Für das Endprodukt, erklärte Grafikdesigner Storm Thorgerson vom berühmten Plattencoverlabel Hipgnosis einst, hätte sein Team – unter fleißiger Mithilfe Gabriels – „tonnenweise Polaroids genommen und sie während ihrer Entwicklung bearbeitet“. Bis das spätere Coverbild nach zahlreichen Versuchen schließlich in der gewünschten Zerrform vorlag und als Fotokopie vergrößert werden konnte.

Elvis Presley wiederum stieß mit seinem nach ihm betitelten Debütalbum 1956 nicht nur die Tür zum Rock ’n’ Roll auf, sondern lieferte mit dem von William V. Robertson aufgenommenen Coverfoto – es zeigt den King samt Gitarre 1955 bei einem Auftritt in Tampa – zugleich auch ein Motiv, „das bis heute auf mehr als 100 anderen Covern imitiert oder interpretiert wurde“, wie Hennig erklärt.
Eine Auswahl dieser Repliken ist – zusammen mit Elvis’ Original – nun ebenso in Neuwied zu sehen wie eine limitierte, mit Flüssigkeit befüllte Schallplatte des Albums „Gary“, das die englische Indiepopband Blossoms erst im vergangenen Jahr auf den Markt brachte. Oder – aus der Rubrik „Skurril“ – das Artwork zu Joy Divisions Debütplatte „Unknown Pleasures“ (1979), kein Kunstwerk im eigentlichen Sinn, sondern das an schroffe Bergzüge erinnernde, zunächst von einem Radioteleskop aufgezeichnete und anschließend visualisierte Signal des ersten dokumentierten Pulsar-Neutronensterns, das Joy-Division-Gitarrist Bernard Sumner 1977 zufällig in einer Enzyklopädie entdeckte und für ausreichend mysteriös befand als potenzielles Plattencover.

Wobei mysteriös ganz unzweifelhaft auch das bereits erwähnte – und ebenfalls von Hipgnosis gestaltete – Bild zum Pink-Floyd-Klassiker „Wish You Were Here“ daherkommt, der brennende Geschäftsmann, seinerzeit verkörpert von Stuntman Ronnie Rondell, der für die Aufnahme von Aubrey Powell in Vor-Photoshop-Zeiten tatsächlich noch mehrfach in Brand gesetzt werden musste und zum Schutz lediglich eine feuerfeste Perücke und einen Nackenprotektor trug.
In der Ausstellung werden diese und viele weitere Geschichten nun anhand kurzer Texte erzählt; zu den Hintergründen gibt es zudem auch immer wieder Auszüge aus Zeitschriften, per QR-Code abrufbare Videos oder Fotos aus der Entstehungszeit, während die dazugehörigen Platten und deren Cover ausdrücklich zum Anfassen gedacht sind, wie Thomas Hennig betont. „Weil das Haptische bei der Annäherung an dieses Thema natürlich eine wichtige Rolle spielt und es davon abgesehen auch einfach schön ist, die Kunstwerke auf den Covern in der entsprechenden Größe in den Händen zu halten.“
Auf Spurensuche bei Sgt. Pepper
Überfrachtet wirkt die Präsentation dabei übrigens zu keiner Zeit, trotz all der – durchweg erhellenden – Informationen, kommt vielmehr locker-poppig daher, lädt die Besucher hier und da auch ein zum Mitmachen, wenn sie etwa mit der PC-Maus auf einem Monitor über das Beatles-Cover von „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ (1967) wandern und dort die Kurzbiografien zu den 40 abgebildeten Persönlichkeiten einsehen können. An einer anderen Station lässt sich derweil auch das eigene Foto in ikonische Artworks integrieren, wird man beispielsweise selbst zum „Boss“ und trägt plötzlich Bruce Springsteens weltbekannte Bluejeans vom „ Born in the U.S.A.“-Cover (1984) – wobei sich schließlich auch hinter dieser Aufnahme von Starfotografin Annie Leibovitz eine bewegende Geschichte verbirgt.
Und die Musik? Kommt in der Ausstellung – natürlich – vom Schallplattenspieler, auf dem die Besucher ihre eigenen mitgebrachten Vinylschätze auflegen können, denn: „Am Ende“, sagt Thomas Hennig, „sind die heute gängigen Streamingplattformen zwar nett, weil sie einen schnellen Zugang zu einer Vielzahl von Liedern bieten. Richtig genießen kann man die Musik aber vor allem, wenn sie von der Platte kommt, die auch noch mal einen ganz anderen Zugang ermöglicht.“ Als großer Schatz des armen Mannes eben – zu dessen Wert das Cover ebenso beiträgt wie die zahlreichen Geschichten dahinter.
Die Ausstellung „See Hear“ wird am Samstag, 3. Mai, um 14 Uhr eröffnet und ist in der Folge bis zum 28. Juni zu sehen, jeweils samstags von 12 bis 14 Uhr. Am 15. Mai um 18 Uhr wird in der Artothek zudem die Doku „Squaring the Circle“ über das legendäre Plattencoverlabel Hipgnosis gezeigt, am 22. Mai um 18 Uhr präsentiert der Grafikdesigner Alex Lohner dann von ihm entworfene Cover, ehe die Sammler Theo Mitschang und Lutz Neitzert am 12. Juni um 18 Uhr eine Auswahl ihrer Plattenkollektion vorstellen.
Kunst im Karree – Das Programm in der Übersicht
Bei Kunst im Karree zeigen am ersten Maiwochenende mehr als 80 Künstler und Handwerker ihre Arbeiten. Eröffnet wird das Neuwieder Festival am Samstag, 3. Mai, um 11 Uhr im Kunsthof der Marktkirche. Im weiteren Verlauf des Tages ist dann um 15 Uhr etwa noch ein „International Line Dance Flashmob“ auf dem Marktplatz geplant, ab 18 Uhr legt Thomas Hennig in der American Sportsbar zudem ausgewählte Platten auf.
Am Sonntag wiederum werden um 11 und 14 Uhr Führungen durch die Katakomben des Herrnhuter Viertels angeboten. Um 11.30 Uhr eröffnet dann im Roentgen-Museum die neue Ausstellung der Gruppe 93; parallel dazu ist dort am Samstag und Sonntag von 14 bis 17 Uhr auch die Dauerausstellung des Hauses zu sehen.
In der Stadtgalerie kann unterdessen die aktuelle Schau „Schöne Aussichten“ besucht werden – ebenfalls an beiden Tagen, hier von 12 bis 17 Uhr. Alle weiteren Ausstellungsorte sind das Wochenende über von 11 bis 18 Uhr geöffnet.
Weitere Infos zum Programm auch unter www.kunstimkarree.de