Am 26. März vor 200 Jahren wurde das Loreley-Gedicht Heinrich Heines erstmals veröffentlicht - Ein Festkonzert und ein Notenband feiern das Jubiläum
Heines Loreley-Gedicht wird 200: Wieso deshalb sogar japanische Diplomaten nach St. Goar kommen
Am Rhein bei St. Goar verschlägt es einem noch heute zuweilen den Atem, wie Falko Hönisch (von links), Katharina Blanckart und Martin Wiemer feststellen.
Jens Weber

Am 26. März vor 200 Jahren wurde das Loreley-Gedicht von Heinrich Heine erstmals veröffentlicht – nun feiert St. Goar den berühmten Text mit einem musikalischen Jubiläum. Warum das Deutschland und Japan näher zusammenbringt und sogar Helmut Kohl einst sprachlos machte.

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„Nazikawa sirenedo, kokoro wabite ...“. Alles klar? Oder vielleicht: „I cannot divine what it meaneth, this haunting nameless pain ...“. Na gut, dritter Versuch: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin ...“ Jahrzehntelang erklangen auf Rheinschiffen beim Passieren des Loreley-Felsens diese drei Variationen, japanisch, englisch und deutsch, des berühmten Gedichtes von Heinrich Heine:

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin;
Ein Mährchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Die Luft ist kühl und es dunkelt,
Und ruhig fließt der Rhein;
Der Gipfel des Berges funkelt
Im Abendsonnenschein.

Die schönste Jungfrau sitzet
Dort oben wunderbar
Ihr gold’nes Geschmeide blitzet,
Sie kämmt ihr gold’nes Haar.

Sie kämmt es mit gold’nem Kamme,
Und singt ein Lied dabei;
Das hat eine wundersame,
Gewaltige Melodei.

Den Schiffer im kleinen Schiffe
Ergreift es mit wildem Weh;
Er schaut nicht die Felsenriffe,
Er schaut nur hinauf in die Höh’.

Ich glaube, die Wellen verschlingen
Am Ende Schiffer und Kahn;
Und das hat mit ihrem Singen
Die Lore-Ley gethan.

Vertont von Friedrich Silcher, haben sich die Worte von der „schönsten Jungfrau“ auf Weltreise gemacht, wurden zum kulturellen Botschafter deutscher Kultur – und natürlich des sagenumwobenen Felsens, der von dieser kostenlosen Tourismuswerbung profitiert.

Und das seit bald 200 Jahren: Am 26. März 1824 wurde Heinrich Heines Gedicht „Die Lore-Lei“ erstmals veröffentlicht – in einer angesehenen Zeitschrift mit dem schönen Titel „Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz“. Deren Verleger hatte diesen einen Text zielsicher aus einer Auswahl von 33 Gedichten herausgepickt, die Heine ihm geschickt hatte.

Durch Vertonung in Japan berühmt

1838 vertonte Friedrich Silcher das Gedicht – und diese Version trat einen globalen Siegeszug an, wenn auch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit: So war gerade in Japan, wo das Lied bis heute eine ungebrochene, gewaltige Popularität genießt, lange Zeit die Silcher-Melodie das Zugpferd, auf das verschiedene Texte mit ganz anderen Inhalten aufgesattelt wurden. Die singbare Übersetzung des Heine-Textes wurde erst 1908 veröffentlicht.

,Am Brunnen vor dem Tore’ oder ,Die Lorelei’ in japanischer Sprache gehören so selbstverständlich zum Repertoire der Amateurchöre im Land, dass man glauben könnte, es seien japanische Lieder.

schreibt der Philosoph Karl-Heinz Isleif. Dank des Loreley-Liedes ist St. Goar seit Langem ein Fixpunkt für japanische Touristen in der Region.

Doch nicht nur Friedrich Silcher war vom Loreley-Stoff angetan: Schon bald nach Veröffentlichung des Heines-Gedichts nahmen sich Komponisten und auch Komponistinnen wie Clara Schumann des Textes an. Die damalige Musikpflege im bürgerlichen Salon darf man sich als lebendige Szene vorstellen, in der ständig neue Werke uraufgeführt wurden, was die Taschen der Musikverlage (und in geringerem Maße der Schöpfer) füllte – und durchaus zu großer Bekanntheit führen konnte.

Was läge also zum 200. Jahrestag der Veröffentlichung des Heine-Gedichtes näher, als es durch eine Zeitreise in den bürgerlichen Musiksalon zu ehren? Genau diese Idee hatten Falko Hönisch, von Beruf Opern- und Konzertsänger sowie Stadtbürgermeister von Sankt Goar, und der pensionierte Zivilrichter Martin Wiemer, der als passionierter Musikliebhaber besonders dem Kunstlied zugetan ist.

Heinrich Heine - Dichterverehrung in Hamburg
Der deutsche Dichter Heinrich Heine nach einem 1831 entstandenen Gemälde von Moritz Oppenheim.
dpa. picture-alliance/ dpa

Und so wird das Heine-Gedicht zum Stichtag am 26. März, genau 200 Jahre nach der Erstveröffentlichung, im Glasfoyer der Rheinfelshalle in Sankt Goar, erklingen – und das in einer ganzen Reihe von Vertonungen. Neben dem ebenso unvermeidlichen wie unverzichtbaren Friedrich Silcher kommen auch die Versionen von Ingeborg Bronsart von Schellendorf, Niels W. Gade, Johanna Kinkel, Friedrich Wilhelm Kücken, Carl Oberthür, Heinrich Proch, Johann Vesque von Püttlingen, Joachim Raff, Wilhelm Steifensand, Emil Steinkühler, August Wilhelmj, Zdenek Fibich, Franz Liszt und Clara Schumann zur Aufführung.

Festliches Konzert zu 200 Jahren

Einen Teil der Lieder wird Falko Hönisch interpretieren, den anderen Teil die Sopranistin Caroline Montheit. begleitet werden beide vom Pianisten Trung Sam. Und damit das Wiedersehen und -hören mit diesen Liedern keine einmalige Begegnung bleibt, kommt rechtzeitig zum Konzert ein Notenband in der Edition Walhall heraus, den Martin Wiemer als Herausgeber betreut und der 14 verschiedene Vertonungen versammelt.

Dass sich zum Festkonzert zum 200-Jahres-Jubiläum eine Reihe von offiziellen Vertretern angesagt haben – etwa vom japanischen Generalkonsulat in Frankfurt, vom Heine-Haus in Düsseldorf und vom Heinsberger Begas-Haus, wo das berühmte Loreleybild von Carl Joseph Begas (1794–1854) hängt – freut die Initiatoren in St. Goar besonders. Einmal, weil besagtes Bild mit der barbusigen Loreley auch das Titelblatt des Notenbandes ziert. Aber auch, weil Vizekonsulin Kotoe Otsuka sich in die lange Tradition stellt, die das Heine-Gedicht und seine Liedfassung von Silcher als Brücke zwischen deutscher und japanischer Kultur verbindet.

Als Helmut Kohl überrascht wurde

So erinnert Martin Wiemer gern an den Besuch eines japanischen Staatspräsidenten im Deutschland der 1980er-Jahre: Hier war – selbstverständlich – eine Rheinschifffahrt entlang der Loreley ins offizielle Programm aufgenommen worden. Als das Schiff schließlich den Schieferfelsen passierte, erhob sich der japanische Staatsgast und rezitierte das Heine-Gedicht – in perfekter deutscher Diktion und mit allen sechs Strophen. Sein Gastgeber, der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl, soll überaus beeindruckt gewesen sein.

Wenn hin und wieder bezweifelt wird, ob mit Worten der Lauf der Zeiten zu verändern ist, so kann es in diesem Fall für dieses Lied auf jeden Fall bestätigt werden. Wie hätte sich die Rheinromantik entwickelt – ohne das Gedicht von Heine? Wäre es zu Massentourismus gekommen – ohne die Silcher-Vertonung?

Loreley – ein Kobold?
Für den Band mit dem Titel „Loreley“ hat sich der Bonner Martin Wiemer intensiv mit der Entstehung der Sage befasst – und seine Erkenntnisse im Vorwort festgehalten. Die immer wieder verblüffende Erkenntnis: Der Ursprung der Loreley-Sage war alles andere als weiblich: Bevor der Mensch drastisch in das Landschaftsgefüge eingriff, war der Ort rund um das Schiefergestein an Rheinkilometer 555 für ein wundersames Echophänomen bekannt, das die Rheinreisenden verzückte. Der Volksglaube machte hierfür (männliche!) Berggeister und Kobolde verantwortlich. Erst mit Clemens von Brentano (1778–1842) nahm das Phänomen weibliche Gestalt an: Im zweiten Teil seines Romans „Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter“ von 1801 taucht mit der Ballade „Zu Bacharach am Rheine“ erstmals die Lure Lay auf.

Sicher ist eines: Katharina Blanckart hätte mehr Freizeit. Die in St. Goarshausen lebende Projektmanagerin hat im Sommer 2022 das traditionsreiche Ehrenamt der Loreley-Repräsentantin übernommen und seither Dutzende Termine übernommen, immer mit goldenem Kamm für ihr langes Haar im Gepäck. In ihr ist die alte Sage höchst lebendig – und wird in ihren Nachfolgerinnen noch viele Generationen bestehen.

Schon 2029 steht im Unesco-Welterbegebiet Oberes Mittelrheintal die Bundesgartenschau an – eine große Chance für die Region, die für Attraktionen wie Burgen und Schlösser, den Rhein und mit ihm auch die Loreley stehen. Und damit eben auch Heine und Silcher – und, wenn man sie entdecken will, die vielen anderen Komponistinnen und Komponisten, zu denen das Festkonzert am 26. März mit Liedern aus dem neue Notenband die Tür weit öffnet.

Das Konzert
Der Eintritt für das Konzert am Dienstag, 26. März, um 18 Uhr, in der Rheinfelshalle in Sankt Goar ist kostenfrei, um Spenden wird gebeten. Erbeten ist auch die vorherige Anmeldung per E-Mail an tickets.sgimfa@gmail.com oder unter Tel. 0173/572 89 95 (hier auch per SMS, WhatsApp und Signal).