Edgar Reitz zu Gast bei den Heimat Europa Filmfestspielen im Dialog über sein Werk und was davon bleibt
Heimat Europa Filmfestspiele in Simmern: Berührende Begegnung mit Filmlegende Edgar Reitz
Das Lebenswerk von Edgar Reitz findet im Simmerner Pro-Winzkino eine besondere Würdigung. Im Filmgespräch bei den Heimat Europa Filmfestspielen betonte der Regisseur die Bedeutung der Erinnerung.
Werner Dupuis

Der Schöpfer des "Heimat"-Universums erinnert sich beim Filmgespräch an das, was war, und blickt auf das, was bleibt und noch kommen könnte.

Das Lebenswerk von Edgar Reitz findet im Simmerner Pro-Winzkino eine besondere Würdigung. Im Filmgespräch bei den Heimat Europa Filmfestspielen betonte der Regisseur die Bedeutung der Erinnerung.
Werner Dupuis

Er versteht sich als Autorenfilmer, und als solcher hat er den Begriff „Heimat“ neu definiert. Regisseur Edgar Reitz hat seiner Heimat, dem Hunsrück, als junger Mensch den Rücken gekehrt, als diese ihm zu eng geworden war. Sein Weg führte ihn nach München. Der Rest ist bereits zu seinen Lebzeiten Geschichte geworden. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Heimat mündete in ein vielfach ausgezeichnetes, insgesamt fast 50 Stunden Film umfassendes Epos, aufgeteilt in die Trilogie „Heimat“ und „Die andere Heimat“. Den am 1. November 1932 in Morbach geborenen Filmemacher führte sein Weg zurück in die Region, der er ein filmisches Denkmal setzte – und die nach wie vor davon profitiert.

Zum Beispiel durch die Heimat Europa Filmfestspiele, die am vergangenen Freitag in Simmern in ihre fünfte Auflage gestartet sind. Simmern ist Schauplatz vieler Szenen in den „Heimat“-Filmen, und die Stadt hat sich den von Professor Jürgen Hardeck geprägten Slogan „Heimat der Heimat“ schützen lassen – was ausdrücklich für die gesamte Hunsrück-Region zu verstehen sei, wie Stadtbürgermeister Andreas Nikolay stets betont.

Wenn wir uns nicht erinnern, vergeht unser Leben spurlos.

Edgar Reitz im Filmgespräch bei den Heimat Europa Filmfestspielen in Simmern nach der Vorführung eines seiner frühen Werke.

Und in die „Heimat der Heimat“ kehrt der 90-Jährige nach wie vor gern zurück. Er ist Schirmherr der Heimat Europa Filmfestspiele, die auf eine Initiative von ihm zurückgehen und bei denen von Anfang an der von ihm gestiftete Preis für den besten Film des Festivals verliehen wird – der „Edgar“.

„Wenn wir einmal von unserer Heimat Europa sprechen können, wären wir ein großes Stück vorangekommen“, sagt Reitz im Filmgespräch anlässlich des ersten „Heimatendialogs“ der Festspiele. Ins Festivalprogramm eingebettet haben die Veranstalter, das örtliche Pro-Winzkino und die Stadt Simmern, auch in diesem Jahr wieder ein Reitz-Werk. Diesmal sind es die „Geschichten aus den Hunsrückdörfern“, die schon vieles vorausahnen lassen, was in „Heimat – Chronik einer Sehnsucht“, allgemein als „Heimat 1“ bezeichnet, mit emotionaler Wucht tiefe Wirkung bei den Filmzuschauern erzeugt, gekennzeichnet von der Liebe zur Region, zur Landschaft, zu den Menschen.

Im Herbst 1980 entstand der Dokumentarfilm „Geschichten aus den Hunsrückdörfern“ von Edgar Reitz, der jetzt anlässlich des „Heimatendialogs“ mit dem Filmemacher bei den Heimat Europa Filmfestspielen in Simmern gezeigt wurde.
WDR

Für Reitz war der Film eher ein „Erinnerungs- und Sammelpunkt, wo man die Eindrücke und die Erinnerungen gesammelt hat“, die während der Erkundungstouren durch den Hunsrück im Hinblick auf die zwei Jahre dauernden Vorbereitungen auf die Dreharbeiten zu „Heimat 1“ entstanden sind.

Immer wieder werden die Betrachter in diesem Zusammenschnitt der Erinnerungen tief berührt von den Landschaftssequenzen und den liebvoll inszenierten Porträts der Menschen, deren Leben Edgar Reitz so eindrucksvoll zu beschreiben weiß.

Verbindung zwischen Mensch und Landschaft

„Die Verbindung von Menschen und Landschaft hatte für mich immer große Bedeutung“, sagt er im Filmgespräch mit Programmkurator Lukas M. Dominik und erläutert warum: „Es gibt immer zwei Faktoren, Ort und Zeit. An welchem Ort und zu welcher Zeit hat eine Person gelebt?“ Dies bestimme letztendlich das Verhalten und das Leben von Menschen. „Bei der Kriegsgeneration ist diese Verbindung zwischen Mensch und Landschaft vollkommen zerrissen. Sie ist ruiniert“, stellt Reitz fest.

In den um 1980 entstandenen „Geschichten aus den Hunsrückdörfern“ hatte Reitz zahlreiche Personen vor der Kamera, für die der Zweite Weltkrieg noch deutlich präsent war. Er gab ihnen Raum, mischte sich nicht ein, ließ sie erzählen, begleitete die Charaktere mit der Kamera – und schuf damit eine eindrucksvolle Dokumentation, obwohl er sich auf diesem Gebiet als „Outsider“ bezeichnet. „Ich sehe mich nicht als Dokumentarfilmer.“

Die „Geschichten aus den Hunsrückdörfern“ seien mehr ein Nebenprodukt gewesen auf dem Weg zur ersten Reihe eines Gesamtwerks, dem noch weitere Teile folgen sollten.

Vorsicht mit dem Begriff “Heimat". Inzwischen ist dieser wieder ideologisch behaftet.

Edgar Reitz hat 30 Jahre lang dafür gekämpft, den Begriff neu zu definieren, und warnt vor aktuellen Entwicklungen.

Lange habe er mit sich gerungen, ob es den Titel „Heimat“ tragen sollte. Er habe 30 Jahre dafür gekämpft, dass der Begriff inhaltlich neu definiert werden konnte. „Mehr konnte ich nicht tun, als die Filme zu machen“, sagt er und warnt: „Vorsicht mit dem Begriff ,Heimat'. Inzwischen ist dieser wieder ideologisch behaftet.“

Dabei sei es ihm immer nur darum gegangen, Menschen anderen Menschen näherzubringen: „Ich war immer glücklich, wenn ich so viel Herz zeigen konnte. Das ist etwas so Schönes. Da denkt man, solche Menschen könnten nie etwas Böses tun.“

Wichtiger Unterschied der „Geschichten aus den Hunsrückdörfern“ zu allen „Heimat“-Filmen von Edgar Reitz: Hier ging es nicht um die, die weggehen oder weggehen wollten, sondern um die, die geblieben waren.
WDR

Um darzustellen, was er in seinen Filmen gezeigt hat, müsse eine Person die künstlerische Verantwortung tragen. „Ich habe immer für den Autorenfilm gekämpft, denn dabei ist die tiefe Verbindung mit der eigenen Identität immer vorhanden. Die Filmkunst wird zur Erinnerungskunst.“ Erst eine Filmaufnahme mache dies möglich.

Auf die Frage, ob in den Millionen von Familienfilmen, die per Smartphone heutzutage entstehen, auch ein gewisses Potenzial liegen könne, antwortete Reitz: „Damit habe ich mich nie befasst.“ Solche Aufnahmen hätten keinen künstlerischen Wert, ergänzt er, wohl wissend, dass das Medium Film zur Industrie geworden ist. Kinobesucher sollten das immer bedenken. Als Beispiel nennt Reitz den „Film über dieses Püppchen“ („Barbie“). Gegen solche Produkte der Filmindustrie „kann sich kein Autorenfilmer mehr behaupten“.

Es gehe vielmehr darum, das Vergangene und Erlebte zu einem Teil unserer Existenz werden zu lassen: „Wenn wir uns nicht erinnern, vergeht unser Leben spurlos.“ Dem tragen die Filmfestspiele Rechnung, und so sagt Reitz am Ende des Filmgesprächs: „Ich habe die große Hoffnung in mir, dass die gedanklichen Hintergründe meines Lebenswerks in Simmern eine Bewahrung behalten wird.“