Für seinen spektakulären Ausblick auf das Deutsche Eck ist die Festung Ehrenbreitstein bekannt – für Fotokunst gibt es aber seit 2015 einmal pro Jahr besonders „gute aussichten“: So lange schon macht der renommierte Wettbewerb für Abschlussarbeiten aus allen deutschen Hochschulen und Akademien, die einen Studiengang Fotografie anbieten, Station beim Landesmuseum auf der Festung. Derzeit wegen des fortdauernden Umbaus des Landesmuseums wieder einmal im Haus der Fotografie ganz nahe am Haupteingang – aber auch auf dem dort vorhandenen Raum haben die für den aktuellen Jahrgang aus 76 Einreichungen Ausgewählten, sechs an der Zahl, einen bemerkenswerten Einblick in ihre Werke aufgebaut.
Wenn man in den Koblenzer Ausstellungsjahren – und in seinen Katalogen über den ganzen Wettbewerb hinweg, der schon seit 2004 besteht – einen roten Faden sucht, so findet man ihn wohl vor allem in den Überraschungen, die die „guten aussichten“ immer wieder bereithalten. Die Vielfalt der künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten, in die Fotografie auf unterschiedlichste Art und Weise hineinreichen kann – und ebenso die Vielzahl der Themen, die dabei zum Vorschein kommen.
Bezug zu den Lebenswelten
Wenn Josefine Raab, die den Wettbewerb gemeinsam mit Stefan Becht ins Leben gerufen hat, in diesem Jahr einen gewissen Nenner der Arbeiten ausmachen soll, so ist es für sie am ehesten das Moment der „Spurensuche“. Viele der Arbeiten haben einen Anknüpfungspunkt in den Biografien der Künstlerinnen und Künstler, suchen nach Wurzeln, arbeiten sich in Geschichtliches vor.
Direkt aus ihrem Umfeld schöpft etwa Mathilde Tijen Hansen für ihr Projekt „Sonnenallee“. Sie selbst lebt seit neun Jahren auf der 3,8 Kilometer langen Berliner Straße, die durch den Film „Sonnenallee“ nach einem Roman von Thomas Brussig 1999 große Bekanntheit erlangt. Seitdem hat sich in der Straße sehr viel getan: Die dort lebenden Menschen setzen sich aus immer neuen Gruppen zusammen, Teile der Sonnenallee sind längst der Gentrifizierung anheimgefallen und chic geworden. Mathilde Tijen Hansen zeichnet das in ihrem auf Fortführung angelegten Projekt in vielen eindrucksvollen Portraits und überraschenden Architekturdetailansichten nach: „Ich interessiere mich bei meiner Fotografie für politische Macht und wie sie sich im Stadtraum manifestiert – und wie man bestimmte deutsche historische Ereignisse noch heute sieht oder Dinge, die passiert sind“, erklärt sie.

Robin C. Wolf widmet sich dem – auch bei „gute aussichten“ – seit vielen Jahren virulenten Thema der generativen Künstlichen Intelligenz mit einem ebenso individuellen wie humorvollen Ansatz: Er hat sich für „Prompt: Me“ ebensolche Prompts schicken lassen – Handlungsanweisungen, wie man sie den einschlägigen KI-Programmen vorgeben kann. Und er beweist, wie viel kreativer der Mensch letztlich doch bleibt: Aus einem Prompt von „Sabine“ mit den Kennworten „Arme, Metall, groß, Skulptur und gebrauchtes Material“ wurde eine Installation, mehrere übereinander liegende „Papierstufen“. Aus ihnen wird zur Vernissage ganz langsam Entwicklerflüssigkeit auf das fotosensitive Papier tropfen und so nach und nach das Motiv freigeben. Und für „Star Shape“ hat sich Wolf auf den Prompt „Ist ein Stern eine Form, ja oder nein?“ einen echten Hingucker einfallen lassen: „Und ich lasse die Frage in dem Fall offen und habe einfach das Universum in diese Sternform gebracht“, erklärt er seine originelle, sich auf einer Scheibe drehende Antwort.

Aus dem prallen Leben ihrer Nordtiroler Heimat hat Larissa Zauser das Projekt „Schützinnen“ entwickelt – die es nämlich überhaupt nicht gibt. Und auch so schnell nicht geben soll, wie ein Schützenobmann 2012 in einer Mitteilung verlauten ließ. Im auch touristisch bedeutenden Traditionsbetrieb ist für Frauen die Aufgabe der in Trachten gewandeten „Marketenderin“ vorgesehen – nicht aber der Griff zur Waffe. Auf der Recherche ist Zauser dann auf viele Punkte gestoßen, die ihr komplett neu waren: Etwa, dass das Brauchtum, wie es heute zelebriert wird, keineswegs die uralte Tradition ist, als die es immer verkauft wird, sondern seine Form erst zu Propagandazwecken und teils zur Zeit des Nationalsozialismus erhalten hat.
Zausers künstlerische Reaktion: Wenn die Schützen ein „Inventing the tradition“ vollziehen, kann auch sie eigene Traditionen erfinden. Und so hat sie flugs ein altes Schützen-Gruppenbild mithilfe von KI zu einer Frauengruppe umgestaltet. Und vor allem: Eine große Installation ins Haus der Fotografie gesetzt, bei der auf lilafarbenen Holzblöcken ausgeschnittene, fotografierte Gewehre auf Plexiglasscheiben quasi schwerelos in der Luft zu schweben scheinen, dahinter sind auf einer Reihe von Videomonitoren schwebende Zierfedern von Schützenhüten zu sehen. Ein starkes Denkmal der (bislang) fehlenden Schützinnen.

Nicht mit KI, aber mit dem Einfluss der Smartphonenutzung auf die einzelnen Menschen und die Gesellschaft hat sich NiKA auseinandergesetzt – und ihre Versuchsanordnungen für „Digital_Dopamine“ als Fotos und Streamvideos festgehalten. Dass das stundenlange tägliche Scrollen vom Körper mit Dopaminausschüttung und folgender Sucht quittiert wird, ist anschaulich mit bunten Smarties in einer Laborsituation umgesetzt – und gar an Tierversuche muss man auch denken, wenn sich NiKA als Ratte verkleidet, in einem zwei mal drei Meter großen weißen Kubus zunehmend gereizt hin- und herwirft. Diesen Kubus hatte sie in ihrem WG-Zimmer aufgebaut, sich darin selbst in intimen Situationen aufgenommen – das hat etwas von den sich selbst entäußernden Performances von Marina Abramović und berührt auch aus der Distanz des Videos noch eindrücklich und macht nachdenklich über die gedankenlose und hemmungslose Nutzung sogenannter „Sozialer Netzwerke“.

Das Projekt „Ostinato Interstice Rendering“ von Kyu Sang Lee zeigt, so Josefine Raab, einen jungen Künstler, der mit zwei Beinen in gleich drei Kulturen zuhause ist: Geboren in Korea, kam Lee als Kind nach Südafrika, um von dort aus – nach absolviertem Militärdienst in seinem Geburtsland – nach Deutschland zu gehen, um in Leipzig zu studieren. Aus seinen migrantischen Erfahrungen leitet er großformatige Bilder ab, in denen Zitate aus mehreren Kulturen zusammenfinden, die mehr das Vereinende als das Trennende zeigen und in seinem starken Individualstil sorgfältig orchestrierte Ensembles aufbauen.
Dass dabei die beiden typischen Grün- und Blautöne immer wiederkehren, die bei Film und Foto als Hintergrund verwendet werden, um später digital durch andere Bilder oder Filme ersetzt zu werden, ist ein interessanter Bezug zu Lees Biografie: Diese Farben symbolisieren für ihn das Gefühl des Andersseins und das Bedürfnis, sich anzupassen, während sie gleichzeitig seine Individualität betonen. Deswegen möchte er sie in einem ästhetischen Kontext präsentieren, um ihre Bedeutung über die rein funktionale Nutzung hinaus zu zeigen – die letztlich meist in ihrem Verschwinden liegt. Ein hochinteressanter Blick auf das Verlangen nach Integration.

Zumindest in zwei Kulturen ist auch Clarita Maria, die in Sambia geboren wurde und in Deutschland aufgewachsen ist. Der Titel ihres Projekts „Ichibukisho“ ist ein Wort in der Sprache Bemba, das den Akt der Erinnerung beschreibt. In Sambia war dieser Akt lange Zeit mehr auf die wörtliche Überlieferung konzentriert als auf Fotografien und Filme – und so nähert sich Clarita Maria dem Erinnern in zahlreichen Interviews an, die in der Ausstellung zu hören sind, und im Film zur Entstehung eines Gruppenbildes, der vor großen Stoffbahnen, die von einer Kolonialmacht einst initiiert wurden und heute als „typisch afrikanisch“ gelten, ganz automatisch auch den postkolonialen Diskurs mit einschließt.
Bis zum 4. August im Haus der Fotografie auf der Festung Ehrenbreitstein, der Besuch ist im Festungseintritt enthalten. Infos zum Preis und dem aktuellen Jahrgang unter www.guteaussichten.org