Eine umfangreiche Ausstellung in Bonn würdigt den Dichter,Forscher, Staatsmann und Kosmopoliten
Goethes Welt und Wirkung
Klassik Stiftung

Bonn. Es ist lang her, dass Deutschland seinem weltweit bekanntesten Dichter und Dramatiker zuletzt eine große Ausstellung widmete. Das war 1994 in Frankfurt, der Vaterstadt des Johann Wolfgang von Goethe. Im seither vergangenen Vierteljahrhundert hat sich die Welt teils grundlegend verändert. Damit ändert sich auch das Verhältnis zu Goethe, sind Fragestellungen an sein Werden, Wirken, Nachwirken andere geworden.

Höchste Zeit, befanden Stiftung Weimarer Klassik und Bundeskunsthalle Bonn, dem Autor des „Faust“, des „Werther“, des „West-östlichen Divan“ wieder einmal umfassend näherzutreten. Gemeinsam haben sie für Bonn die Schau „Goethe. Verwandlung der Welt“ auf die Beine gestellt. Und die ist ein lehrreiches, sehr sinnliches, vielfach ungewohnte Blickwinkel einnehmendes Prachtstück von Ausstellung geworden.

Das Alte ist im Untergang begriffen, das Neue noch nicht klar

Das Entree besteht aus einem Rondell mit Ausgängen nach allen Seiten. In dessen Mitte liegt umgestürzt, leichenblass und wie halb im Boden versunken „Die Reisekutsche von Goethe“. Die Installation von Asta Gröting lässt sich als Botschaft deuten: Besucher, du betrittst nun eine Welt, in der das Alte im Untergang begriffen ist, das Neue noch keine klare Gestalt angenommen hat. Dem entspricht auch der Titel der Ausstellung, die Goethe als Zeitgenossen einer Epoche gravierender Umbrüche ins Auge fasst und damit deutliche Parallelen zur Gegenwart aufweist.

Als Bub erlebte der 1749 geborene Johann Wolfgang in Frankfurt noch die Krönung eines Kaisers des Heiligen Römischen Reiches. In seinem Todesjahr 1832 demonstrierten am Hambacher Schloss Tausende für Freiheit und Volksrechte, begannen überall große Industrien und neuartige Verkehrsmittel zu sprießen. Goethes mehr als 80 Lebensjahre begannen tief im Feudalismus, sie endeten in der frühen Moderne. Wie nimmt ein vielseitig interessierter, hellwacher, gescheiter und zugleich empfindsamer Mensch solche Veränderungen wahr? Wie reagieren die Zeitgenossen auf des Dichters, Dramatikers, Romanciers, Forschers, Politikers Wahrnehmung des Neuen?

Wie die Nachgeborenen bis zum heutigen Tage? Es sind, neben zentralen Lebensstationen Goethes, solche Fragen, die immer wieder Einfluss nehmen auf die in neun Abteilungen gegliederte Ausstellung sowie die opulente Auswahl hochkarätiger Exponate. Schwerpunkt ist eine Fülle von Gemälden – beginnend mit fünf Goethe-Porträts. Die zeigen ihn mal als kantigen jungen Denker, mal als Liebesträumer mit Frauenbildnis in der Hand. Dann wieder tritt dem Betrachter der gesetzte Dichter gegenüber, schließlich der gestrenge Staatsmann.

Die Abteilung über Goethes Frankfurter Frühzeit umreißt die weiten Bildungshorizonte, die schon der junge Goethe aufgezeigt bekam: die Lutherbibel von Mattheus Merian aus dem Jahr 1704, die 1766er-Ausgabe von Lessings Schrift „Laokoon“, ein Globus von 1728, ein Shakespeare-Sammelband von 1757 stecken den Rahmen ab. Schließlich sind in diese wie in alle Abteilungen der Ausstellung Gegenwartsbezüge eingearbeitet. Hier ist es die textliche, bildliche und filmische Dokumentation der Geschichte des Frankfurter Goethe-Hauses bis hin zum Disput um den Wiederaufbau des kriegszerstörten Gebäudes in den späten 1940ern. In der Abteilung über Goethes Italienreise treten zu Tischbeins berühmtem Gemälde „Goethe in der römischen Campagna“ heute nicht minder berühmte Werke aus Andy Warhols Goethe-Serie. Zugleich wird beleuchtet, welchen Einfluss der dichtende Italienreisende auf die spätere und auch noch gegenwärtige Arkadiensehnsucht hat. Goethes Farbenlehre wird anhand seiner originalen Farbtafeln aufgedröselt und fortgesponnen bis hin zu den modernen Farbkompositionen eines Mondrian, Masson, Itten, Klee oder Rupprecht Geiger.

Goethe hätte kein nationaler Säulenheiliger sein wollen

Hier faszinieren einen die in Theaterplakaten und Filmmitschnitten von Bühneninszenierungen deutlich werdenden Wandlungen der Faust-Figur von der moralischen Tragikgestalt bis zum fortschrittsbessenen Umweltzerstörer. Da verdichtet sich das Bild eines Goethe, der die Romantik überaus kritisch sah – weil er mit deren religiösen und patriotischen Aufladungen nichts anfangen konnte und wollte. Die Vereinnahmung als nationaler Säulenheiliger hätte ihn wahrscheinlich gehörig verdrossen. An anderer Stelle, beim „West-östlichen Divan“ etwa, lernen wir eine Haltung Goethes neu schätzen: Dem Ungewohnten, Fremden, Andersartigen des Orients begegnet er neugierig, vorbehaltlos, offen und ernsthaft.

So spannt die Bonner Ausstellung ein mehr als 200 Jahre umfassendes Panorama auf. Das beschreibt Goethe und sein Œeuvre als Spiegel der Weltverwandlung – zugleich verweist es auf das weltverwandelnde Potenzial seiner Dichtung. Und wer beim Besuch mal frische Luft braucht, der geht aufs Dach der Bundeskunsthalle. Dort sind botanische Ansätze aus Goethes Weimarer Gärten im Kleinen nachempfunden.

Die Goethe-Ausstellung ist bis zum 15. September zu sehen. Weitere Infos gibt es unter www.bundeskunsthalle.de

Von unserem Autor Andreas Pecht