Erinnerungskultur 
Gedenken im Wandel der Zeiten
Auf zahlreichen Rollbannern dokumentiert die Ausstellung in der Langen Linie der Festung Ehrenbreistein die 685 Kriegsgräberstätten von Rheinland-Pfalz.
Katharina Kreuzarek

In Rheinland-Pfalz liegen 685 Kriegsgräberstätten, in denen rund 64.000 Kriegstote beerdigt sind. Eine Ausstellung auf der Festung Ehrenbreitstein dokumentiert sie und hilft beim Verstehen ihrer Geschichte und Bedeutung. 

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In einer Rede im August 1920 formulierte der spätere US-Präsident Calvin Coolidge den berühmten Satz „The nation which forgets its defenders will be itself forgotten“ – auf Deutsch ungefähr „Ein Volk, das seine Verteidiger vergisst, wird selbst in Vergessenheit geraten.“ Nachdenken über die Bedeutung des Umgangs mit Siegern wie auch mit Besiegten – und damit auch denen im Kampf Verstorbenen – ist ein großes Thema seit Menschengedenken, und auch in der bewegten deutschen Geschichte spiegeln sich historische Zeitläufe, Politikverständnis und Herrschaftsform darin unmittelbar wider. Viele werden sich daran erinnern können, wie lange sich der von den Nationalsozialisten so betitelte „Heldengedenktag“ noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg in der Umgangssprache behaupten konnte, bevor er dem seit 1952 stets zwei Sonntage vor dem ersten Advent begangenen Volkstrauertag Platz machte.

In der Sprache liegt schon der ganze Unterschied: In der Bundesrepublik wurde zunehmend kritisch mit der Kriegsgeschichte umgegangen, die Glorifizierung des Krieges und der damit verbundene Heldenbegriff waren für die meisten Menschen Vergangenheit. An die Stelle der – staatlich verordneten – Heldenverehrung trat das bewusste Gedenken an alle Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Nicht nur der Soldaten wurde gedacht, sondern auch aller durch den Krieg ums Leben gekommenen Zivilisten, der Kriegsgefangenen, überhaupt aller Zivilisten – und in Hinblick auf den Zweiten Weltkrieg auch der Zwangsarbeiter und aller Opfer des NS-Regimes. Ganz im Sinne der Rede, die Bundespräsident Theodor Heuss am Volkstrauertag 1952 mit den Worten begann: „Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.“

Forschungsband und Wanderausstellung

So, wie sich das Gedenken verändert hat, tragen auch die Orte des Gedenkens unterschiedliche Züge und erscheinen in unterschiedlichen Formen an den Gedenkstätten, die zuerst gefallene deutsche Soldaten versammelten und später zunehmend ihren Fokus – dem offiziellen Gedenken folgend – erweiterten. Allein in Rheinland-Pfalz existieren insgesamt 685 Kriegsgräberstätten, auf denen rund 64.000 Kriegstote ihre letzte Ruhe gefunden haben. Als eines der ersten Bundesländer hat RLP diese inventarisiert, die Ergebnisse dieser Bestandsaufnahme sind in einem ausführlichen Forschungsband der Denkmalpflege von der Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) herausgebracht worden. An eine größere interessierte Öffentlichkeit hingegen wendet sich eine Wanderausstellung, die derzeit auf der Festung Ehrenbreitstein im Lichthof der Langen Linie Station macht und dort noch bis zum 13. Juli zu besichtigen ist.

Bei der Ausstellungseröffnung wies Landeskonservator  Markus Fritz-von Preuschen für die Landesdenkmalpflege darauf hin, dass das Thema Kriegsgräberstätten viele Jahre keine große Aktualität gehabt habe: „Leider hat sich dies in der aktuellen weltpolitischen Situation drastisch geändert. In den Kriegen in der Ukraine und in Israel kommen täglich Menschen, Soldaten und Zivilisten, ums Leben.“ Das nun auf der Festung zu erlebende Kooperationsprojekt mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge aber reiche bereits bis ins Jahr 2015 zurück.

Initiiert von einem Herzensanliegen

Tatsächlich geht es auf ein Herzensanliegen eines Kunsthistorikers zurück, der bei der Landesdenkmalpflege wirkte, Ewald Wegner (1954–2010) hatte seinen Schwerpunkt bei der dokumentarischen Erfassung und wissenschaftlichen Bearbeitung von Kulturdenkmälern in Rheinland‑Pfalz, seine umfangreiche Sammlung zu Kriegsgräberstätten wurde nach seinem frühen Tod zur Initialzündung des nun vollendeten Erfassungsprojekts.

In der Landesdenkmalpflege in Mainz hat sich die Kunsthistorikerin Katharina Kreuzarek um die Aufarbeitung, Analyse und Publikation des Kriegsgräberstättenprojekts verdient gemacht. Im Gespräch mit unserer Zeitung erläutert sie, an wen sich die Wanderausstellung mit ihren mehr als 20 Rollbannern richtet: „Die Schau möchte den Laien und allen Besuchern eines Friedhofs aufzeigen, wie Kriegsgräberstätten auffindbar beziehungsweise identifizierbar sind.“  Denn für jeden militärischen Konflikt, sei es der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71 oder der Erste Weltkrieg, ließen sich bestimmte Grabformen oder Grabsteinformen eindeutig festmachen – und im Zweiten Weltkrieg etwa hätten sich die Anlagen der Kriegsgräberstätten deutlich geändert. „All das versuchen wir in der Ausstellung an die Hand zu geben, damit man die Stätten erkennen und verstehen kann.“

Denkmalschutz will Gesamtanlagen erhalten

Das gemeinschaftliche Kümmern um die Stätten ist eine endlose Aufgabe: Seit dem Genfer Abkommen von 1927 und der Vereinbarung der Vereinten Nationen von 1948 ist den Bestatteten aller Kriegsgräberstätten ein dauerhaftes Ruherecht zugesichert. Und damit ergeben sich automatisch auch Herausforderungen für den Umgang mit den „ewigen“ Gedenkstätten, was Katharina Kreuzarek über die mehr als fünf Jahre andauernde Beschäftigung mit ihnen deutlich bewusst geworden ist: „Über den Projektverlauf hinweg haben wir gesehen, dass Anlagen verändert wurden. Die Gräber selbst, die als anerkannte Kriegsgräber gelten, dürfen wegen des ewigen Ruherechts nicht verändert werden - für die Anlagen aber gilt das nicht, solange sie nicht unter Denkmalschutz stehen.“

Ungefähr 60 der insgesamt 685 Kriegsgräberstätten in Rheinland-Pfalz stehen bereits unter Denkmalschutz – Katharina Kreuzarek erklärt: „Wir sind bestrebt, noch mehr von ihnen unter Schutz zu stellen. Wir wollen dadurch versuchen, dass die Gesamtanlagen in ihrer ursprünglich konzipierten Variante erhalten bleiben. Denn leider mussten wir bei einigen sehen, wie der Verweil- und Gedenkcharakter wegfällt.“ Dann blieben nur noch einfache Gräber übrig – und nicht die oftmals auch architektonisch oder gartenarchitektonisch bemerkenswerten Anlagen. Auch für diese sensibilisiert die Wanderausstellung nachdrücklich.

Die Ausstellung „Den Toten zum Gedächtnis, den Lebenden zur Mahnung“ ist bis zum 13. Juli im Lichthof der Langen Linie der Koblenzer Festung Ehrenbreitstein zu sehen, ihr Besuch ist im Festungseintrittspreis inkludiert.