Alle Jahre wieder wird Konsumkritik laut - doch der Gabentausch unterm Christbaum ist von großer Bedeutung
Gabentausch unterm Christbaum: Schenken ist ein roter Faden der Menschheitsgeschichte
Symbolbild
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Alle Jahre wieder wird Konsumkritik laut – doch schenken und beschenkt werden ist von großer Bedeutung und hat eine lange Tradition. Wolfgang M. Schmitt hat sich das Phänomen genauer angesehen.

Ist je ein Jahr vergangen, in dem Ende August nicht beklagt wurde, dass nun schon wieder Lebkuchenherzen und Schokonikoläuse in den Supermärkten zu kaufen sind? Allgemeines Kopfschütteln. Schlimm, dieser Kommerz. Dabei ist es eine Frage von Angebot und Nachfrage – letztere scheint offenbar zu bestehen, sonst würden die Geschäfte nicht ihre wertvollen Verkaufsflächen frühzeitig für Milka, Lindt, Ferrero und Co. freiräumen. Nie liegen Kaufrausch und Konsumkritik näher beieinander als in der Vorweihnachtszeit.

Immer wieder ist da zu hören, dass Geschenke doch eigentlich überflüssig, nicht nötig oder oberflächlich seien. Überhaupt sollte Weihnachten eine Zeit der Besinnung und nicht des Kaufrauschs sein. Selbst wer in den vergangenen elf Monaten bedenkenlos konsumierte, wird nun skeptisch. „Wir schenken uns nichts“ dürfte einer der am häufigsten geäußerten Sätze in der Weihnachtszeit sein. Gefolgt dann ab Heiligabend von „Eigentlich wollen wir uns ja nichts schenken, aber ...“.

Radikalen Konsumverzicht hält kaum einer durch, weshalb vor Weihnachten gern ein doppeltes Spiel gespielt wird. Die einen empören sich über die rein kommerziell ausgerichteten Weihnachtsmärkte, shoppen dafür aber so viel online, dass der Paketbote unter der Last zusammenzubrechen droht. Andere schenken sich bewusst nur Kleinigkeiten und machen sich dafür aber selbst große Geschenke, in dem sie zwischen den Jahren in die Südsee fliegen. Manche beleuchten ihr Haus, als müsste es als Kulisse in einem amerikanischen Weihnachtsfilm dienen, worüber sich vielleicht diejenigen empören, die grundsätzlich nur Praktisches oder Geld verschenken – aber unpraktischerweise 42 Sorten Plätzchen backen.

„Widersprüchliche Weihnachten!“, möchte man ausrufen, aber diese Paradoxie ist schon in der Weihnachtsgeschichte selbst enthalten, kommt doch Jesus in einem Stall zur Welt und wird auf Stroh gebettet, während wenig später die Heiligen Drei Könige ihm, dem Sohn Gottes, wahre Kostbarkeiten – Gold, Weihrauch und Myrrhe –, bringen.

Symbolträchtige Geschenke der Heiligen Drei Könige

Diese müssen trotz ihres immensen monetären Werts Symbol bleiben für etwas, was mit irdischen Gütern sich schlichtweg nicht bezahlen lässt. Das Gold steht für königliche Würde, der Weihrauch verweist auf den Heiligen Geist, und die Myrrhe, womit man zu Jesu Zeiten die Verstorbenen einbalsamierte, deutet bereits auf das Ende am Kreuz hin.

Geschenke, zeigt sich hier, haben neben dem monetären einen symbolischen Wert, der entscheidend ist, ist doch das, was der Beschenkte dem Schenkenden bedeutet, nicht zu beziffern. Es sei denn, man folgt der neoliberalen Logik, nach der selbst ein jeder Mensch seinen Wert und Preis hat, was dann allerdings häufig in dem Unwort Humankapital ausgedrückt wird. Der neoliberale Ökonom und Wirtschaftsnobelpreisträger Gary S. Becker sah selbst in Kindern primär langfristige, von Eltern getätigte Investitionen mit positivem psychologischen Mehrwert.

Doch jenseits der ökonomischen Sphäre ist der Austausch von Geschenken eine uralte Praxis. Der französische Ethnologe Marcel Mauss beschrieb das bereits in seiner bahnbrechenden Studie „Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften“ (Suhrkamp) von 1923/24. Sich auf Berichte von Forschungsreisenden beziehend, stellt Mauss heraus, dass es auch in nicht-westlichen Gemeinschaften einen regelrechten Zwang gibt, Geschenke zu erwidern. Schenken ist – bis heute – für gewöhnlich kein einseitiger Prozess, sondern es interagieren zwei Menschen, Familien oder ganze Gesellschaften untereinander. Schenken ist kommunikativ und völkerverbindend. Nicht nur erkannte Mauss eine Pflicht des Gebens, sondern auch des Nehmens.

Noch immer ist das Zurückweisen eines Geschenks ein besonderer Affront. Bevor Individuen Geschenke austauschten, waren es Clans oder Stämme, wenngleich „das, was ausgetauscht wird, nicht ausschließlich Güter und Reichtümer, bewegliche und unbewegliche Habe, wirtschaftlich nützliche Dinge“ waren, erklärt Mauss. „Es sind vor allem Höflichkeiten, Festessen, Rituale, Militärdienste, Frauen, Kinder, Tänze.“ Obwohl das Erwidern von Gaben freiwillig war, wurde es als obligatorisch angesehen, bei Missachtung der unausgesprochenen Regeln konnte gar Krieg drohen.

Das wäre doch nicht nötig gewesen

In unserem Alltag findet sich ein Rest dieser Gabenrituale noch immer, wenn der am Christbaum gern geäußerte und eher unwahre Satz „Das wäre doch nicht nötig gewesen“ fällt. Keineswegs aber sind solche Höflichkeitsphrasen beim Schenken bloßes Beiwerk wie Lametta, vielmehr machen sie den Kern unseres Miteinanders aus. Eine Gesellschaft, in der alle radikal nüchtern nur die Wahrheit sagen, ist nicht erstrebenswert.

Schenken bildet also eine Konstante in der Menschheitsgeschichte. Häufig wird heute kritisiert, dass an Weihnachten sich mehr und mehr eine Überbietungslogik ausbreitet: Kleine Kinder werden mit Geschenken überhäuft, Großeltern, Tanten und Onkel konkurrieren miteinander, aber auch Erwachsene beschenken sich oft so, als stehe die Wertschätzung auf einem Preisschildchen, was jene in die Bredouille bringt, denen die finanziellen Mitteln fehlen. Neu ist, wie Mauss zeigt, dieses Phänomen keineswegs.

Mit dem Begriff Potlatsch beschreibt er ein rauschendes Fest des Schenkens, das von bestimmten reichen Indianerstämmen praktiziert und sogar den eigenen Ruin bedeuten konnte. Verschwendung gab es in vorkapitalistischen Kulturen, wenngleich der Sinn bei den Indianern noch ein religiöser war, heute aber in der Adventszeit trotz christlichem Anlass die Kauf- und Schenkexzesse eher profaner Natur sind.

In unseren gegenwärtigen Schenkeskapaden zeigt sich nicht nur ein totales und in der Tat befremdliches Aufgehen in der Konsumwelt, sondern auch ein zum Scheitern verurteilter Versuch. Ein Geschenk sollte zwar erwidert werden, aber es ist zugleich unbezahlbar – so sehr man sich auch in Unkosten stürzt. Denn das Geschenk kommt, sofern es der Schenkende wahrhaftig meint, von Herzen, obgleich es oft mit dem Portemonnaie bezahlt wird. Selbst etwas basteln kann man selbstverständlich auch. Wem jedoch aus freien Stücken – nicht weil es die Werbung suggeriert – danach ist, viel zu schenken, der sollte nicht mit Konsumkritik bedacht werden. Diese lässt sich in unserer auf Überfluss und Gewinnmaximierung basierenden Gesellschaft auch die anderen elf Monate im Jahr gut artikulieren – vielleicht auch leben. Wolfgang M. Schmitt