Die Quecksilbersäule steigt hoch an diesem Montagabend, doch zum Glück geht ein Lüftchen durch die Gräben der Festung Ehrenbreitstein. Ein paar Bläserskalen sind zu hören, Streicher stimmen nach – das Staatsorchester Rheinische Philharmonie ist auch schon da, sitzt sogar bereits auf der Bühne, ist aber nicht zu sehen durch einige Stellwände und das gewaltige Bühnenbild, das Christian Binz auf die Bühne gebaut hat. Dutzende von Stahlgittern eingerahmte Kunststofftanks sind auf und vor der Bühne zu Wänden gestapelt.
Was das mit Giacomo Puccinis „Madama Butterfly“ zu tun hat? Das findet man recht einfach durch einen Blick auf das „Original“-Bühnenbild der Uraufführung 1904 an der Mailänder Scala heraus, das ein traditionelles Haus an einem Hügel nahe bei Nagasaki zeigen soll. Dort sind eben solche von Stäben unterbrochene, durchsichtige Blöcke zu sehen: die an japanische Vorbilder angelehnten Schiebetüren. Auf- und zuschieben kann man die weißen Tanks nicht – aber ab Einsetzen der Dunkelheit auf der Festung können sie von innen in verschiedenen Farben beleuchtet werden.

Schon dieses Bühnenbild-Zitat zeigt: Die Neuproduktion der Puccini-Oper, die am 5. Juli Premiere feiert, ist und bleibt in Japan verortet. Die Geschichte: Die junge Japanerin Cio-Cio-San (genannt Butterfly) heiratet den amerikanischen Marineoffizier Pinkerton, der diese „Ehe“ jedoch nur als vorübergehende Verbindung sieht. Während Pinkerton in die USA zurückkehrt, bleibt Butterfly hoffnungsvoll und treu – sogar nachdem sie ein gemeinsames Kind geboren hat. Als Pinkerton Jahre später mit einer amerikanischen Ehefrau zurückkehrt, um das Kind zu holen, zerbricht Butterflys Welt – sie übergibt ihm das Kind und tötet sich selbst.
„Damit macht sie genau das, was man eben nicht machen soll“, resümiert der Koblenzer Intendant Markus Dietze, der bei der diesjährigen Festungsproduktion Regie führt: „Sie gibt das Trauma, das sie selbst durch den Freitod ihres Vaters erlebt hat, an die nächste Generation weiter.“ Kein Wunder, dass das Theater den Besuch der Produktion für Publikum ab 14 Jahren empfiehlt – schließlich werden in „Madama Butterfly“ eben solche harten Realitäten verhandelt.
In der kulturellen Aneignung nicht allein lassen
Für Dietze ist es dabei ganz wichtig, dass es eben um den Westen und Japan und nicht irgendein Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen geht – und er ist bei diesem Stück besonders radikal gegen das sogenannte „Whitewashing“, also gegen die Besetzung der Figur der Cio-Cio-San durch eine nicht asiatische Person, die dann mit asiatischem Make-Up geschminkt würde. Und wichtig ist ihm auch, die Figuren in der kulturellen Aneignung, die der Oper nun einmal zu eigen ist, nicht „allein zu lassen“, sondern genau hinzuschauen und alle Handlungen gut zu erklären.
Seit ihrer Uraufführung haben Regisseure des Stückes damit zu tun, dass „Madama Butterfly“ ein Paradebeispiel für die imperialistische Sicht des Westens auf den Rest der Welt um 1900 abgeben kann, wenn man es sich zu leicht macht: Schnell wird aus der jungen Japanerin, die lange auf die Rückkehr ihres amerikanischen Gatten wartet, ein Zerrbild einer vermeintlich unterwürfigen Frau, die in einer kulissenhaften, nach dem Geschmack des Exotismus ausgestatteten Fantasiewelt liebt und leidet.

Regisseur Dietze hat deswegen in der Vorbereitung verschiedene Deutungsebenen des Stückes untersucht, um sich den Figuren und der Handlung zu nähern. Und so wurde aus Fragestellungen und Zuschreibungen ein Grundgerüst von Motivationen und Hintergründen, die seine Regie für die einzelnen Figuren vom großen Ganzen in die kleinsten Aktionen herunterbricht. So hat er etwa die These von Cio-Cio-Sans Streben nach Emanzipation wie folgt aufgefädelt: Alles beginnt für die junge Frau, die in ihrer Gesellschaft ganz am Ende mehrerer Machtachsen steht, mit der Suche nach einer neuen Identität. Dies versucht sie über die Konversion zu einer neuen Religion für die Hochzeit mit einem Ehemann aus einer anderen Kultur, dessen Liebe ihr wie ein Zutritt zur erhofften Freiheit erscheint. Als sie erkennt, dass Pinkerton ihre Treue nicht erwidert hat, ist ihr Freitod kein Opferakt, sondern ein Ausdruck gescheiterter Emanzipation, in dem die junge Frau sich und ihrem Selbstbild treu bleibt.
Man sieht: Markus Dietze hat „Madama Butterfly“ in diesem und vielen weiteren Analysesträngen sehr ernstgenommen – und er hat auch eine Antwort auf die zentrale Frage, warum es zu diesem zentralen Missverständnis über die Verbindung von Pinkerton und Madama Butterfly über die Möglichkeit einer dauernden Verbindung kommen kann: „Wenn wir die letzten acht Minuten des ersten Aktes hören mit diesem wunderbaren Duett, dann ist ganz klar: In diesem Moment glauben alle an die wahre Liebe und daran, dass daraus etwas werden kann“, erklärt er. Puccini schwelgt in schönster Musik, Sopran und Tenor vereinen ihre Stimmen in höchsten Höhen: Für acht Minuten ist in „Madama Butterfly“ die Welt noch in Ordnung.
Das Theater Koblenz zeigt „Madama Butterfly“ am 5., 6., 9., 11., 12. und 13. Juli jeweils ab 20 Uhr auf der Festung Ehrenbreitstein. Infos und Tickets unter www.theater-koblenz.de