Dass sich Koblenz nun in einer Reihe nennen darf mit den doch recht klangvollen Cinefest-Schwesterstädten, hat ganz wesentlich zu tun mit seiner Rolle als Standort des Bundesarchivs: Das nämlich veranstaltet das Internationale Festival des deutschen Film-Erbes, so der vollständige Titel, gemeinsam mit dem Hamburgischen Centrum für Filmforschung Cinegraph – und setzte sich in Person seines Präsidenten Michael Hollmann auch für den neuen Ableger an Rhein und Mosel ein.
Dabei sollte die Erstausstrahlung des Koblenzer Cinefests, an dem neben Bundesarchiv und Odeon-Apollo-Kino auch das Kulturamt der Stadt beteiligt ist, eigentlich bereits 2020 über die Leinwand flimmern – mit der nun gezeigten Auswahl des Hamburger Originalprogramms von 2016 –, musste wegen Corona aber, das alte Lied, auf das jetzige Datum verschoben werden. Ein Umstand, in dem die Leiterin der Abteilung Filmarchiv im Bundesarchiv, Petra Rauschenbach, allerdings kein allzu großes Problem erkennt, zumindest mit Blick auf die Thematik, denn: „Die im Koblenzer Programm abgebildeten Motive Exil und Flucht“, sagt sie, „das Ankommen und Arbeiten in einem fremden Land besitzen nach wie vor eine große Aktualität.“
Von Hitler bis Pinochet
Und erweisen sich auch in der filmischen Retrospektive als ein die Geschichte durchziehendes, stetig wiederkehrendes Motiv: „Bei Exil“, sagt Rauschenbach, „denken wir heute natürlich als Erstes an die NS-Zeit, aber es gab allein im 20. Jahrhundert mehrere ganz unterschiedliche Exilwellen, die auch die Filmindustrie betrafen – von den gewaltsamen Auswüchsen der russischen Oktoberrevolution und der Verfolgung der Juden in Nazideutschland über den Ungarischen Volksaufstand und den Prager Frühling bis hin zur Pinochet-Diktatur in Chile, in deren Folge viele dort lebende Künstler nach Deutschland emigrierten.“
Eben diese ganz unterschiedlichen Epochen bilden nun auch die in Koblenz gezeigten Filmtitel ab – der älteste 1918 uraufgeführt, der jüngste 2016 –, wobei Rauschenbach betont: „Nicht alle Beiträge beschäftigen sich inhaltlich mit den Themen ,Flucht und Exil‘, aber sie vereinen ausnahmslos Autoren, Regisseure und Schauspieler, die im Exil gelebt haben.“
Ein gutes Beispiel hierfür sei die Komödie „Nie wieder Liebe“ (1931), die das Koblenzer Cinefest am Donnerstag, 23. März, eröffnet. Mehrere im Film mitwirkende Schauspieler, erklärt Rauschenbach, hätte in den Folgjahren „ein tragisches Schicksal“ ereilt: Lilian Harvey etwa unterhielt nach Hitlers Machtergreifung weiterhin Kontakte zu jüdischen Schauspielkollegen, geriet daraufhin bald selbst ins Visier der Gestapo und wanderte 1939 schließlich über Frankreich in die Vereinigten Staaten aus. Ihr Filmpartner Julius Falkenstein wiederum sah sich im Dritten Reich als Jude mit dem jähen Ende seiner Schauspielkarriere konfrontiert, wäre wohl ebenfalls emigriert, doch starb noch 1933 an einer Hirnhautentzündung.
Diese Schicksale sichtbar zu machen, sie nachzuvollziehen, sagt Rauschenbach, sei eines der wesentlichen Anliegen des Koblenzer Cinefests. „Zugleich ist es uns aber auch wichtig zu zeigen, wie schwierig es gerade für Autoren und Schauspieler war, ihrer Arbeit in einem fremden Land nachzugehen, vor welchen Problemen beispielsweise viele Deutsche standen, die nach 1933 in Hollywood versuchten, Fuß zu fassen.“
Ein Aspekt, auf den auch der Programmtitel im vorangestellten Versatzstück „Gebrochene Sprache“ anspielt, denn: „Ich muss als Schauspieler die Freiheit der Sprache beherrschen, die ganz wesentlich ist für meine Arbeit“, erklärt Rauschenbach. Da viele Filmschaffende dieses Potenzial im Exil jedoch nicht länger hätten ausschöpfen können, seien in den 1930ern in Hollywood etwa Autorenteams entstanden, deren Mitglieder – allesamt Auswanderer – sich beim Schreiben auf je nur einen bestimmten Aspekt wie Dramaturgie oder Pointen fokussiert hätten.
Es sind Hintergründe wie diese, die schließlich auch fernab der Filme beleuchtet werden sollen, vor allem in den Werkeinführungen vor deren Ausstrahlung durch die Mitarbeiter des Bundesarchivs. Nach dem finalen Beitrag „In Peliculas Escondidas. Un viaje entre el exilio y la memoria“, einer Doku über chilenische Künstler und Intellektuelle, die vor der dortigen Militärdiktatur Zuflucht in Deutschland suchten, wird zudem deren Regisseurin Claudia Sandberg für eine Diskussion zugeschaltet.
Filme mit Aussagekraft
„Es geht uns nicht nur darum, das deutsche Filmerbe zu sichern, sondern es auch für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen“, betont Rauschenbach, die im Filmarchiv, einem der größten weltweit, mehr als 336 000 deutsche Filme und Koproduktionen beaufsichtigt. Historische Streifen aus mehr als 100 Jahren, die beim Cinefest zumindest in Teilen zurück auf die große Leinwand finden, deren Aussagekraft zugleich „noch heute sehr hoch ist“, wie Rauschenbach betont, trotz ihres oft respektablen Alters. Weshalb sie sich auch für den neuen Koblenzer Ableger wünscht, „dass wir hier kein einmaliges, sondern ein regelmäßig wiederkehrendes Format entwickeln können“.
Das Cinefest-Programm auf einen Blick
- Donnerstag, 23. März, 19 Uhr: „Nie wieder Liebe“ (D, 1931), ab 18.30 Uhr Eröffnung des Cinefests durch die Koblenzer Kulturdezernentin Margit Theis-Scholz und den Präsidenten des Bundesarchivs, Michael Hollmann
- Freitag, 24. März, 17.30 Uhr: „Az aranyember – Der rote Halbmond“ (HU, 1918)
- Freitag, 24. März, 20 Uhr: „Der Mann, der seinen Mörder sucht“ (D, 1930), „Wissen Sie nicht, wo Herr Kisch ist?“ (DDR/CSSR, 1985)
- Samstag, 25. März, 17.30 Uhr: „Blonder Tango“ (DDR, 1985)
- Samstag, 25. März, 20 Uhr: „Du haut en bas – Von oben nach unten“ (FR, 1933)
- Sonntag, 26. März, 17.30 Uhr: „In Peliculas Escondidas. Un viaje entre el exilio y la memoria“ (ARG/D, 2016), danach Gespräch mit Regisseurin Claudia Sandberg
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