Mit seinen umfangreichen Studien, den daraus gespeisten Publikationen zu Kultur, Politik und Natur des Landes gilt Philipp Franz Freiherr von Siebold als einer der berühmtesten Japanforscher der Geschichte. Sechs Jahre lang lebte der studierte Arzt zwischen 1847 und 1853 im ehemaligen Kloster St. Martin in Boppard, heute schaut er nicht weit von dort aus dunklen Büsten-Augen durch hell erleuchtete Museumsräume. Doch die ernste Miene hätte sich wohl bald aufgehellt bei jenem Anblick, der sich Siebold in dem Ausstellungshaus dieser Tage bietet. Unter dem Titel „Flowing Together“ nämlich feiert das Museum dort Boppards 60-jährige Städtepartnerschaft mit Ōme – und präsentiert zu diesem Anlass ganz unterschiedliche Arbeiten von acht japanischen Künstlern.
Es ist eine in dieser Form seltene Werkschau zwischen traditionellen Techniken und zeitgenössischen Positionen, die – ganz in Siebolds Sinne – Spannendes preisgibt über Kunst und Kultur aus dem Land der aufgehenden Sonne, daneben aber auch noch weitere Besonderheiten aufweist, wie Kuratorin Aki Norton betont, denn: „Die Arbeiten“, sagt sie, „sind einerseits oft inspiriert vom idyllischen Tama-Fluss und der üppigen Natur, für die das gleich vor den Toren Tokios gelegene Ōme bekannt ist, andererseits handelt es sich hierbei aber auch um sehr persönliche, private Kunstwerke.“ Wodurch am Ende bestenfalls auch die „Essenz der japanischen Kunst, die ihr zugrunde liegenden Prozesse und Gedanken sichtbar werden“, benennt Norton das Kernanliegen der Schau.
Faszination Fluss trifft auf geschnitzte Farbschichten
Das sich im Folgenden dann auch konsequent verwirklicht sieht, besonders eindrucksvoll etwa bei Kawai Gyokudo (1873–1958), einer der renommiertesten Vertreter der traditionellen japanischen Malerei (Nihonga), die sich unter anderem durch den Gebrauch von Mineral- anstelle von Ölfarben auszeichnet, bei den gestalterischen Mitteln bevorzugt auf Pigmente, Leim oder Blattgold zurückgreift. In Boppard ist Gyokudo nun mit ebensolchen stilistischen Arbeiten vertreten, kunstvoll auf Seide aufgetragene Motive, vielfach geprägt vom Lieblingsthema des Malers, dem Fluss, der hier mal im Abendrot passiert wird von einem Flößer, dort aufgesucht von einem einsamen Angler, der die Schnur gleich unterhalb des sprudelnden Wasserfalls ausgeworfen hat.
Während Gyokudo auf diese Weise schließlich auch seine Faszination für die Symbolik des endlosen Fließens – und damit den Rhythmus der Natur – ausdrückt, beeindrucken Kentaro Hiranos Gemälde vor allem durch ihre Fertigungsgeschichte und den dadurch hervorgerufenen Effekt, denn: Wer sich die teils abstrakten, ebenfalls oft landschaftlich geprägten Darstellungen anschaut, wird dabei je nach Blickwinkel immer wieder Neues entdecken. Was laut Aki Norton ganz unmittelbar zusammenhängt mit der einzigartigen Technik des Malers, der „die Farbe nicht direkt auf die Leinwand aufträgt, sondern Blumen, Bäume oder Wolken durch eine Art Schnitzverfahren formt, bei dem die Farbschichten nach und nach mit Wasser aufgelöst werden“.

Mehr als drei Monate dauere dieser aufwendige Prozess, an dessen Ende schimmernde Gemälde aus Hunderten Farbverläufen stehen, „Räume der Ruhe“, wie die Kuratorin sie nennt, die sich derart übrigens auch in den Werken ihres Mannes Cole Norton finden lassen. Nur dass der Wahl-Japaner in seinen Bildern keine Landschaften versammelt, sondern nackte, sich räkelnde Frauenkörper, arrangiert vor farbgewaltigen Hintergründen, die der endlosen Weite des Universums entlehnt scheinen.
Eine Mischung aus Realität und Symbolismus, in deren Spannungsfeld er den Körper „auf eine sakrale Ebene“ heben und dabei vor allem auch dessen „göttliche Verbindung zu allen lebenden Wesen“ betonen wolle, sagt der Maler über die aus Mineralien, Pigmenten und Sumi-Tusche gefertigten Darstellungen. In denen das Geistige folglich ebenso mitschwingt wie bei Kuratorin Aki Norton selbst, die den Modellen ihrer Blaudruck-Fotografien – wenn überhaupt – nur Blumen als spärliche Bekleidung zugesteht, in den Aufnahmen „die innere statt der äußeren Schönheit abbilden“ will.
Erotische Motive? Könnte man hier ob der Nacktheit auf den ersten Blick durchaus vermuten; die Künstlerin allerdings zeigt die Protagonistinnen stattdessen im natürlich-authentischen Kontrast zu den sonst oft sexualisierten Frauenbildern und zielt damit auch auf einen Diskurs darüber, „wie wir im Alltag auf Körper schauen“.

Nicht weniger lohnend ist schließlich auch ein Blick auf die Vertreter der plastischen Kunst, darunter etwa Tamotsu Funakoshi, der seine Keramikskulpturen mithilfe der Anagama-Ofentechnik aus dem 7. Jahrhundert formt, den Ton stets individuell händisch und ohne Töpferscheibe bearbeitet und sich bei der Gestaltung nicht selten von seiner früheren Tätigkeit als Ingenieur in der Automobilbranche inspirieren lässt. Modernes Industriedesign verschmilzt in diesen Arbeiten bemerkenswert natürlich mit den originär organischen Formen – zu bestaunen vor allem auch in Funakoshis „Buddha-Händen“, die mal zum Gebet erhoben sind, oft auch Pflanzen halten.
Und damit wie die Mehrzahl der ausgestellten Werke die Natur würdigen, eine gute Portion Ōme transportieren in ihrem jeweils ganz eigenen Stil, den im Verlauf ihrer Karriere zweifellos auch Mariko Takatori entwickelt hat: Die Kimono-Künstlerin nämlich zeichnet mit Fadenkleber zarte Motive auf seidenen Untergrund, schmückt den Stoff mit filigranen Details wie Blumen, Spinnenweben oder Insekten; auf einem anderen, für Takatoris Schwiegertochter entworfenen Exemplar tauchen derweil inmitten floraler Elemente kleine Schiffe auf – als Zeichen der gemeinsam angetretenen Lebensreise.
Kunst als Seelennahrung
Womit letztlich auch hier wieder einiges im Fluss scheint, die Ausstellung ohnehin überaus harmonisch zusammenfließt – und dadurch ganz nebenbei auch gute Argumente liefert für das Kunstverständnis Aki Nortons, die sagt: Sie, die Kunst, sei „wie ein fließender Fluss, der unseren Geist und unsere Seele nährt, ein Fluss des Lebens.“ Der in der Werkschau, Stichwort „Flowing Together“, zugleich auch symbolisch steht für die enge Freundschaft, den kulturellen Austausch zwischen den Städtepartnern.
Für ein bereicherndes Miteinander, das sich in der Bopparder St.-Severus-Basilika dann auch noch einmal künstlerisch-ausdrucksstark verfestigt: in einer Koproduktion von Cole Norton und Bruder Stephan Oppermann. Ersterer mit seiner (buddhistischen) Darstellung des Lebenskreislaufs samt Wiedergeburt auf einem japanischen Faltbildschirm, der Benediktinermönch wiederum mit zwei massiven Quadern aus gestampftem Lehm- und Ackerboden, verbunden durch ein Seil als Ausdruck des christlich-jüdischen Glaubens an das eine Leben, von dem infolge des Todes nur die Seele überdauert.

„Vom Staub bist du genommen, zum Staub kehrst du zurück“, heißt es hierzu in der Bibel. Ein Zitat, das Oppermann in seiner Installation frei interpretiert hat, um nun über die hiervon eingerahmte Arbeit Cole Nortons zu sagen: „Beide Lebensanschauungen, von Grund auf verschieden, ergänzen sich hier in einem Raum, ohne sich etwas zu nehmen. Beides darf sein. Das ist Freiheit – und unheimlich schön.“
Die Ausstellung ist im Museum Boppard in der Kurfürstlichen Burg (Burgplatz 2) noch bis zum 31. August zu sehen. Weitere Infos – auch zum umfangreichen Begleitprogramm mit Aki und Cole Norton – unter www.museum-boppard.de