Drei Altmeister und ein finnischer Ausnahmetrompeter begeistern beim Festival in Engers - Ein Trio feiert Weltpremiere
Festival in Neuwied: Die Ruhe im Schloss – Jazz, der die Herzen wärmt
Vielschichtig: Am Samstagabend (Bild links) spielten (von links) der Finne Verneri Pohjola (Trompete), der Schwede Lars Danielsson (Bass) und der Brite John Parricelli (Gitarre). Am Abend davor sprangen Danielsson und Parricelli als Duo für den erkrankten Ketil Bjørntstad ein.
Jörg Niebergall

Drei Altmeister und ein finnischer Ausnahmetrompeter haben das Publikum beim dreitägigen Jazzfestival Neuwied begeistert – ein neues Jazztrio feierte im Schloss Engers gar seine Weltpremiere.

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Als Verneri Pohjola nicht mehr seine Trompete, sondern seine Worte sprechen lässt, da ist zu spüren, wie nervös der Finne ist. Er erzählt, wie stolz er ist, mit den beiden Altmeistern, dem schwedischen Bassisten Lars Danielsson und dem britischen Gitarristen John Parricelli, im Trio zu spielen – erst im Studio und nun zur Weltpremiere hier im Schloss Engers.

Ausdrucksstark und filigran: Der finnische Trompeter Verneri Pohjola
Jörg Niebergall

Er erzählt, dass er diesen einen Song zu den Aufnahmen für den ersten Langspieler des Trios mitgebracht hat, ein eher unbekanntes finnisches Weihnachtslied. Dass sie in einem französischen Schloss nur noch zehn Minuten hatten, um es für das Album „Trio“ einzuspielen. Dass er zweifelte. Dass es dann gleich beim ersten Versuch klappte. „Es wurde perfekt.“

Danielsson sagt verschmitzt: „Auf dem Album ist es perfekt.“ Pohjola witzelt zurück: „Wir werden es heute hier zerstören.“ Um mit viel Charme hinzuzufügen: „Ich bin so glücklich, für Sie alle zu spielen.“ Er blickt auf die Altmeister und sagt: „Und mit euch.“

Zart, manchmal fast zerbrechlich

Dann macht er das, was die Zuhörer seit fast einer Stunde verzaubert: Er füllt den Dianasaal mit seiner Trompete. Nicht laut tönend oder gar kreischend, sondern warm, zart und manchmal fast zerbrechlich. Am Ende seines Solo-Intros haucht er einige tiefe Atemzüge in sein Instrument, Danielsson und Parricelli stimmen ein und verwandeln das Schloss in einen finnischen Wintertraum. „Peu d’Amour“ – kleine Liebe.

Verneri Pohjola ist die Entdeckung dieses 47. Neuwieder Jazzfestivals – inmitten der Altmeister, zu denen sich am Sonntag der deutsche Pianist Rainer Brüninghaus gesellt. Am Freitagabend hätte ein weiterer, der Norweger Ketil Bjørnstad, das Festival eigentlich eröffnen sollen. Doch weil er kurzfristig erkrankt war, sprangen Danielsson und Parricelli als Duo ein.

Das Duo Lars Danielsson (Iinks) und John Parricelli spielte am Freitag als Ersatz für den erkrankten Ketil Bjornstad
Jörg Niebergall

Leider blieben an diesem Abend etliche Plätze leer. Welch ein Jammer – ist es doch ein Ereignis zu erleben, wie der Schwede seinen Bass zum Singen bringt, mal tastend, suchend, mal tänzelnd, trommelnd – und wie der Brite die Grenzen der Gitarre auslotet, wie er die Welt der Musik in allen Dimensionen durchschreitet, mit Pat-Metheny-Klangteppichen oder karibischen Saitenschlägen. Atemraubend ist die Dynamik der beiden. Wie ein Sturm toben Gitarre und Bass durch den Dianasaal.

Überwältigend ist das Duo in einigen melodiös-betörenden Stücken wie dem Joni-Mitchell-Song „Both Sides Now“ oder dem Carla-Bley-Klassiker „Lawns“. Auf den hat Parricelli seinen Kompagnon am Bass erst aufmerksam gemacht, erzählt er. Der Schwede ist verzückt, umarmt sein Instrument, tänzelt mit den Fingern auf den Saiten.

In diesen Momenten, die ins Herz schießen, ist plötzlich auch Ketil Bjørnstad im Raum. „Eine gute Melodie zu hören, ermöglicht uns, als Mensch überleben zu können“, hatte er im Interview mit unserer Zeitung gesagt. Ja, denkt man sich, atmet tief ein und seufzt.

Dass der Trompeter Verneri Pohjola diesem Duo eine besondere Note schenken kann, hat viel mit seinem nuancierten und reichen Spiel zu tun. Er erhöht sich nicht über den Klangteppich der Mitspieler, sondern legt sich sanft, oft fast zärtlich darauf ab. Wie Danielsson und Parricelli entlockt er seinem Instrument Töne, die Grenzen überschreiten.

Die Trompete stampft, grunzt, jauchzt, haucht, schallt, keucht, knarzt. Der Finne kreiert so im Trio immer neue musikalische Gemälde. Manchmal betupft er sie nur. So entstehen Bilder – mit Anleihen beim existenzialistischen Talk-Talk-Sound oder den sphärischen Klängen eines Nils Petter Molvær –, oft entstehen auch Neuschöpfungen oder originelle Interpretationen von Klassikern wie „Mood Indigo“.

Seine Musik spricht für sich

Völlig ohne Worte präsentiert Rainer Brüninghaus sein Solokonzert am Sonntagnachmittag. Kein Wort des Grußes, kein Wort der Erklärung. Bei dem Deutschen, der als Mitglied der Jan Garbarek Group Weltruhm in der Jazzszene erlangte, spricht die Musik für sich.

Viele kennen ihn als Pianist der Jan Garbarek Group: Am Sonntag lud der deutsche Jazzpianist Rainer Brüninghaus zur Solomatinee ins Schloss.
Jörg Niebergall

Während das Trio musikalische Gemälde erschafft, reist der 74-Jährige Brüninghaus zwischen musikalischen Inseln umher, auf denen er Melodien, kleine Motive umspielt, sich von ihnen wieder entfernt, um eine neue Insel anzusteuern. Auf der einen tanzt er auf einer Boogiewelle, um sich auf der nächsten an einer kleinen Träumerei zu ergötzen.

Zwei große Reisen unternimmt er, die beide rasant und gewaltig enden – zur Freude der Zuhörer im Dianasaal, die frenetisch applaudieren. Irgendwie ist es auch eine Zeitreise in die fast vergessene Zeit der großen Solo-Pianokonzerte eines Keith Jarrett oder Wolfgang Dauner. Brüninghaus lässt sie heute wiederaufleben.

Der Pianist Rainer Brüninghaus
Jörg Niebergall

Als Verneri Pohjola das erste Mal seine Trompete im Schloss Engers sprechen lässt, da haben Lars Danielsson und John Parricelli schon begonnen. Dann spielt der Finne seinen ersten Ton – noch zart, zerbrechlich, vielleicht etwas nervös.

Doch dann wärmt seine Trompete alles in diesem barocken Saal, in dem der Klang so klar ist, dass die Musik überall in die Herzen dringen kann. Mit der Wärme kommt die Ruhe, die alles durchströmt. Auch den Trompeter. „La Calme au Château“ spielen sie. Die Ruhe im Schloss.