Als Biennale angelegt, findet das Festival seit 2015 nun zum dritten Mal statt. Wegen des bald großen Publikumsinteresses riefen Intendant Markus Müller und sein Tanzdirektor Honne Dohrmann gleich noch eine kleinere Ausgabe für die Zwischenjahre ins Leben. Kontinuität und hoher Qualitätsanspruch sowohl bei der hauseigenen Compagnie tanzmainz wie auch bei den Festivals machen sich bezahlt: Seit den Zeiten von Martin Schläpfer stand das rheinland-pfälzische Staatstheater nicht mehr derart im Fokus der am Tanz interessierten Öffentlichkeit weit über das Rhein-Main-Gebiet hinaus.
Faszinierende Fantasieanreger
Mehr noch: Zeitgenössische Tanzkunst ist in Mainz zu einer boomenden und neuen, nicht zuletzt junge Publikumsschichten ansprechenden Sparte geworden. Im laufenden Betrieb von tanzmainz können sich die Ticketverkäufe neben Oper und Schauspiel sehen lassen. Das Festival selbst hat sich zum regelrechten Renner entwickelt: Schon in der ersten Stunde nach Kassenöffnung für den 2019er-Durchgang waren mehr als 2000 Karten verkauft worden. Viele der rund 30 Vorstellungen des Festivals sind ausverkauft, für einige gibt es nur noch Restkarten.
Den Prolog gestaltete jetzt am Eröffnungsabend auf der Kellerbühne U17 mit Cie Philippe Saire eines der führenden Moderneensembles der Schweiz. „Hocus Pocus“ nennt sich dessen Stück für Kinder und Erwachsene. Ist das noch Tanz, wenn zwei Männer mit Mitteln des Schwarzen Theaters und anderen Licht-Schatten-Tricks in einem Fenster von Puppentheatergröße eine gespenstische Teilkörper- und Gliedmaßenperformance zeigen? Jedenfalls ist es eine kunstvoll hoch entwickelte Art des Körperausdrucks und ein faszinierender Fantasieanreger.
Nicht nur wesentlich opulenter, sondern auch tänzerisch ganz anders fiel anschließend die eigentliche Eröffnungsvorstellung im Großen Haus mit der Compagnie von Wayne McGregor aus. Der Brite zählt seit mehr als zwei Jahrzehnten zu den wichtigsten Gegenwartschoreografen weltweit. Sein Markenzeichen ist die Verbindung von Tanz, Wissenschaft und Technik. In Mainz wurde seine 2017 entstandene Arbeit „Autobiography“ gezeigt: Ein furioses Stück, das den vier Frauen und sechs Männern auf der Bühne in höchster Dichte und Virtuosität die Realisation fast der ganzen Breite zeitgenössischen Tanzausdrucks abverlangt – in den obendrein mannigfache Elemente aus dem klassischen Figurenrepertoire eingearbeitet sind.
„Autobiography“ setzt sich aus 15 Teilen zusammen, von einem Algorithmus aus 23 Kurzszenen zufällig ausgewählt und kombiniert. Eigentümlicher Hintergrund der überwiegend von Technobeats angetriebenen, ruhelosen Choreografie: McGregor hatte vorab sein Genom entschlüsseln lassen und die Szenen, angelehnt an seine 23 Chromosomenpaare, geschaffen.
Konzentration und Emotion
Die Einzelteile des willkürlichen Tanzmosaiks tragen Titel wie „Schlaf“, „Instinkt“, „Wissen“. Was dem Zuseher allerdings kaum hilft, das weithin völlig abstrakt bleibende und eher wenig zu Herzen gehende Geschehen zu entschlüsseln. Gleichwohl ist die Güte des Tanzes von derart hohem Niveau, dass den Gästen mit Ovationen gedankt wird. Den Abend beschließt die Spätvorstellung im Kleinen Haus mit einem schieren Wunder. Die Grande Dame des modernen Tanzes, Louise Lecavalier aus Kanada, tanzt mit ihrer Choreografie „Battleground“ ein Meisterwerk über die Kämpfe, die Menschen mit sich selbst ausfechten.
Was die heute 60-jährige einstige Mitbegründerin und Fronttänzerin der Weltklasseformation La La La Human Steps auf einem Lichtquadrat, teils zusammen mit ihrem Partner Robert Abubo, zeigt, ist ein beispielloses Furioso aus Kondition, Konzentration, Emotion, Akkuratesse und geballter, aber fein gelenkter Körperenergie. Schon mit dem Eröffnungsabend demonstrierte so das tanzmainz-Festival, wozu es da ist: dem hiesigen Publikum die Begegnung mit der vielgestaltigen Breite zeitgenössischer Tanzkunst von meisterlicher Klasse zu ermöglichen.
Weitere Infos unter: www. staatstheater-mainz.com