Entstanden ist dieser bemerkenswerte Zyklus in den Jahren zwischen 2004 und 2008 – bis vor Kurzem noch deponiert in einer Berliner Galerie, mittlerweile nun im Besitz des Koblenzer Ludwig Museums, das die Werke von Samstag, 11. Dezember, an in der Schau „Daniella Sheinman – Drawings against War“ präsentiert. „Wir haben uns nach der Ausstellung 1999 nie ganz aus den Augen verloren, haben uns zwischendurch auch immer wieder besucht“, sagt Museumsdirektorin Beate Reifenscheid über ihre langjährige Verbindung zu Sheinman. Anfang des Jahres habe sich die Künstlerin dann bei ihr gemeldet und erklärt, sie wolle dem Ludwig Museum ihre „(9/11 Series)“ schenken.
Strukturen zwischen Rauchschwaden und Stahlgerippen
Gekennzeichnet sind die Werke dabei – und das ist typisch für Sheinman – durch ihren Minimalismus und die daraus resultierenden Deutungsmöglichkeiten. Mit Grafit zeichnet die Künstlerin schwarze Linien auf drei Meter hohe Leinwände, keine Menschen, stets Strukturen, die mal aufsteigenden Rauchschwaden, mal den verzogenen Stahlgerippen der eingestützten Zwillingstürme ähneln. „Man kann nie sagen, dass es sich hierbei um dieses oder jenes handelt“, befindet Reifenscheid. „Die Formen sind immer nur angedeutet, sodass man erst in der Gesamtschau erahnt, was damit gemeint ist.“
Offenkundig hingegen ist das Motiv in Sheinmans Arbeiten: Stets dominieren Tod, Leid und Zerstörung. Rasant stürzende Linien assoziieren jene Bilder der Verwüstung, die den Betrachter nach den Anschlägen „einfach nur schockiert“ hätten, über die man damals voller Betroffenheit gedacht habe: „Das kann doch gar nicht sein“, erinnert sich Reifenscheid an das „Unfassbare“, das Sheinman wiederum in ihrer Serie einzufangen versucht.
Die Künstlerin greift hierfür die schmerzhafte Tragödie auf, vor allem aber auch ihre eigenen Gefühle und überträgt sie ins Kreative. Wobei die aus den Werken hervortretende Anarchie, die darin transportierte Angst keineswegs exklusiv auf den Folgen von 9/11 gründet, auf Afghanistan- oder Irakkrieg. Sheinman nimmt in ihren Bildern gleichermaßen auch Bezug auf die zweite Intifada (2000–2005), auf das durch den militärischen Konflikt mit den Palästinensern nochmals verstärkte Gefühl, „als Israeli auf einem Pulverfass zu leben“, wie Reifenscheid es nennt.
Parteinahme oder gar Schuldzuweisungen allerdings sucht man in dieser Auseinandersetzung vergebens: „Sheinman hat keinerlei Berührungsängste mit der arabischen Welt – ganz im Gegenteil“, betont Reifenscheid. „Ihr geht es vielmehr um die Absurdität, dass Juden und Muslime in vielen israelischen Städten friedlich zusammenleben, während sie sich etwa im Gazastreifen bis aufs Blut bekämpfen.“
Künstlerischen Ausdruck findet diese Haltung schließlich in einer auf das Notwendigste begrenzten Handschrift: Im Laufe der Zeit, sagt Sheinman selbst über ihr Œuvre, habe sie die Schichten nach und nach abgetragen und versucht, auf diese Weise zum Kern der Dinge vorzustoßen. Geboren 1947 in Tel Aviv, widmete sich die Künstlerin dabei in den 1960er- und 1970er-Jahren zunächst noch der figurativen Ölmalerei, ehe sie sich unter dem Einfluss des deutsch-israelischen Malers Chaim Kiewe in den 80ern endgültig dem Abstrakten zuwendete.
Die reiche Farbpalette in Sheinmans Werk wich in der Folge jener Selbstbeschränkung auf Zweitönigkeit, die sich schließlich auch in der „(9/11 Series)“ wiederfindet. „Als ich zu Schwarz und Weiß überging“, sagt die Künstlerin hierzu, „hatte ich das Gefühl, dass das Grundgemälde keine Farbe mehr braucht, um es zu bedecken. Grafit auf Leinwand spiegelt die genaue Essenz meiner künstlerischen Aussage wider, weshalb sie so bleiben muss, wie sie ist.“
Ein Credo, an dem sich im Übrigen bis heute nichts geändert hat: Für eines ihrer aktuellen Projekte etwa fertigte Sheinman in ihrem Atelier in Mazor, drei Kilometer entfernt von der Koblenzer Partnerstadt Petah Tikva, Bilder, deren Strukturen jenen von Neuronen ähneln – menschlichen Zellen also, die Informationen durch elektrische und chemische Signale übertragen. Auch hier besteht die Komposition aus nicht mehr als schwarzen Grafitlinien auf weißem Grund, auch hier klingen – wenn auch unterschwellig – wieder Themen wie Sterblich- oder Verletzlichkeit an.
„Wir können nie das ganze Bild sehen, wir müssen uns immer entscheiden“, sagt Sheinman – überaus treffend auch mit Blick auf ihr eigenes Wirken. „Wenn wir uns zurückziehen, werden wir das Ganze sehen. Wenn wir näher kommen, werden wir die Details besser erkennen. Jede Entscheidung beinhaltet ein Zugeständnis.“
Bilder sollen auch nach der Ausstellung präsent bleiben
Im Ludwig Museum soll die „(9/11 Series)“ derweil auch über die Ausstellung hinaus sichtbar bleiben. Ein Teil der Werke werde nach deren Abbau zwar eingelagert, so Reifenscheid, ein anderer jedoch soll mit stetig wechselnden Exponaten weiterhin zu sehen sein – in der ständigen Sammlungspräsentation des Hauses. Doch zunächst einmal gehört den Arbeiten nun auf der gesamten dritten Etage die uneingeschränkte Aufmerksamkeit – bei der Vernissage am Samstag, 11. Dezmber, ab 17 Uhr nicht zuletzt auch jene Daniella Sheinmans: Die Künstlerin nämlich ist auf Einladung der Stadt bereits am Donnerstag nach Koblenz gereist.
Die Ausstellung „Daniella Sheinman – Drawings against War“ ist im Ludwig Museum noch bis zum 30. Januar zu sehen.