Von außen sieht die „Meditationskabine“ schlichter aus, als sie eigentlich ist. Und gänzlich tatenlos soll in ihr trotz eng begrenzter Fläche auch niemand bleiben. Zumindest nicht geistig. Wer das Konstrukt aus nackten Aluminiumstangen betritt, mag darin Fragen – und bei entsprechender Verweildauer auch Antworten – finden zu Raum- und Selbstbestimmung, innerhalb des vorgegebenen Rahmens vielleicht gar den (ideologisch verstellten) Blick auf die Außenwelt verlieren.
Experimentierfreude, Neugier, Offenheit: All diese Ausprägungen des damaligen Zeitgeists umgeben die 1970 entworfene Installation, die nun zusammen mit vielen anderen Werken Erwin Wortelkamps im Koblenzer Ludwig Museum zu sehen ist. Wobei die „Meditationskabine“ zugleich auch viel verrät über das Frühwerk des in Hamm (Kreis Altenkirchen) geborenen Künstlers, denn: Gesellschaftskritisch, diskursanregend, teils mit bitterbösen Spitzen gespickt ist zunächst die Mehrzahl seiner Arbeiten; erst nach 1990 wendet sich der heute 86-Jährige verstärkt der Natur zu, ohne seine kritische Haltung hierfür aufzugeben.
Vom Fernseher zur Skulptur
„Wortelkamp ist ein politisch denkender Kopf, dessen Werke nicht nur sichtbar durchdrungen sind von formalen Akten der Formgebung, sondern immer auch physisch und geistig“, erklärt Museumschefin Beate Reifenscheid mit Blick auf den entsprechend gewählten Ausstellungstitel „Durchdringungen“. Ein Charakteristikum, das sich im Gesamtwerk des Malers und Bildhauers tatsächlich konsequent verfolgen lässt – die Koblenzer Präsentation allerdings unterscheidet zur besseren Orientierung die beiden oben genannten Schaffensphasen, richtet den Blick im Erdgeschoss also zunächst einmal auf die frühen 60er- bis späten 80er-Jahre.
Zu sehen sind dort neben der „Meditationskabine“ auch zahlreiche Zeichnungen, die Wortelkamp anfangs weniger als eigenständige Exponate betrachtete, sondern vielmehr als reine Konstruktionsskizzen für seine – oft ebenfalls ausgestellten – (Modell-)Skulpturen. Entsprechende Werkpaare finden sich etwa zu einer Serie von Metallkonstruktionen, bei deren Formgebung sich der Künstler von Fernsehgeräten inspirieren ließ, im Detail vor allem von deren Farbröhren, die hier nun quer (und teils beweglich) durch die eckigen Rahmen streben.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes fallen zudem auch die – gleichfalls erst zeichnerisch festgehaltenen – „Kopfkabinen“ ins Auge, mit Gitterstäben versetzte Kästen, die übergestülpt werden können und für Wortelkamp in dieser Verwendung sinnbildlich stehen für die Engstirnigkeit, die Borniertheit der Menschen. Doch: Der Westerwälder kann Kritik auch weitaus unverblümter, wenn er beispielsweise die Mitglieder eines Kulturausschusses als rundliche Figuren zeigt, die ihre Köpfe als bekennende Denkverweigerer lieber in den Händen tragen als auf dem Hals.
Dabei sind es eben diese zunehmend emanzipierten Zeichnungen, von denen aus es – auch in der Schau – nicht mehr weit ist zu Wortelkamps malerischer Erweckung. Nach dem Bezug seines Zweitwohnsitzes im italienischen Acquaviva entstanden dort seit 1986 vermehrt farblich gestaltete, oft seriell angelegte Bilder. Darunter auch seine meist in dunklen Tönen, aus kreisrunden Bahnen und kreuzenden Linien komponierten „Köpfe“, die in Koblenz zusammen mit drei grob gearbeiteten Holzskulpturen zu sehen sind, die in ihrer Formgebung an die besagten Malereien anknüpfen.

Andernorts greifen derweil abstrakte Hände durch den Rahmen, um im gleichfarbigen Hintergrund fast gänzlich zu versinken, schlängeln sich Taucher entschlossen gen Meeresgrund – zwei Beispiele von wenigen, in denen der Mensch bei Wortelkamp physisch in Erscheinung tritt. Wobei die Gemälde des Künstlers für Direktorin Reifenscheid vor allem auch in Sachen Haptik überaus spannend sind, „weil er hier sehr körperlich, ja, bildhauerisch arbeitet, die Pigmente oft mit der Hand statt mit dem Pinsel aufträgt, das Papier immer wieder ritzt, anreißt, schneidet.“
Was so schließlich auch ein Stockwerk höher erkennbar wird, wo es nun merklich bunter zugeht, die Motive fast ausnahmslos von der Natur inspiriert sind: Die Olive etwa würdigt Wortelkamp hier in einer Serie schwarzer Punkte auf braun-gelbem Grund, die Orange wiederum darf sich ungehemmt strahlend vor bläulich-grüner Kulisse zeigen – korrelierend hierzu ist gleich daneben übrigens auch die imposante Holzskulptur „Der Orangenpflücker“ zu sehen.

Doch: Dominiert wird der Raum vor allem durch die Serie „Vielleicht ein Blatt“, in der Wortelkamp vor changierenden Grün- und Brauntönen – wohl eine Anleihe an den Wandel der Jahreszeiten – Strukturen andeutet und Fragmente versammelt, die für seine Verhältnisse recht konkret auf die titelgebenden Laubblätter verweisen. Auf anderen Bildern treibt der Künstler seine Faszination sogar noch ein gutes Stück weiter und verwendet natürliche Erzeugnisse wie Tannennadeln gleich als gestaltendes Element.
Auch das ein Beleg dafür, „wie intensiv sich Wortelkamp in seinem Werk mit der Natur befasst“, sagt Reifenscheid über den Künstler, der in Hasselbach (Kreis Altenkirchen) seit 1975 ein Atelier betreibt, im Umland Weiden und Wiesen erwarb und dort ab 1986 den heute zehn Hektar großen Skulpturenpark Im Tal anlegte.
Der Baum als Alter Ego
Eine besondere Beziehung, so die Museumschefin, pflege der Bildhauer dabei seit Langem auch zu Bäumen, die er als Alter Ego betrachte, sich zudem immer wieder künstlerisch anregen lasse von deren wuchtiger Kraft bei gleichzeitiger Verletzbarkeit. Weshalb natürlich auch diese eindrucksvollen Naturgebilde nicht fehlen dürfen in der Ausstellung, in der sie allerdings verhältnismäßig klein und in ungewohnter Erscheinung auftreten: als tiefschwarze Skulpturen aus Totholzstücken, die Wortelkamp nicht etwa mit Schnitzmesser oder Dechsel bearbeitet hat, sondern – ganz natürlich – mit Feuer. Und es zeigt sich: Die Merkmale der Durchdringung, sie sind auf ihre Art selbst in diesen künstlerisch kaum modifizierten Objekten zu finden.
Die Ausstellung wird an diesem Sonntag, 1. Juni, um 11 Uhr im Ludwig Museum eröffnet und ist dort anschließend bis zum 24. August zu sehen. Weitere Infos – auch zum umfangreichen Begleitprogramm – online unter www.ludwigmuseum.org