Der Liebe wegen nach Koblenz: Sopranistin wirkte nach ihrer Bühnenkarriere als Gesangslehrerin - Jetzt wird sie 90 Jahre alt
Elisabeth Szemzö-Goese: Zum Glück Sängerin
22 Jahre lang stand Elisabeth Szemzö-Goese auf der Opernbühne – noch länger währte ihre zweite Karriere als Gesangspädagogin. Jetzt feierte sie ihren 90. Geburtstag. Fotos: Claus Ambrosius/Theater Koblenz
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Koblenz. 22 Jahre lang sang Elisabeth Szemzö-Goese große Opernpartien auf den Bühnen Europas, bevor sie sich für eine noch längere Zeit ihrer Leidenschaft widmete, dem Gesangsunterricht - jetzt konnte die in Koblenz lebende Sopranistin ihren 90. Geburtstag feiern.

Mit einem Tastendruck zurück in die Vergangenheit: Aus den Boxen der Stereoanlage klingt, leicht verrauscht, grandioser Gesang. Schwüre ewiger Liebe im Angesicht einer bevorstehenden Exekution, großes Pathos: Es ist das Schlussduett aus Umberto Giordanos Oper „Andrea Chenier“. Mitgeschnitten wurde diese Passage in einer Aufführung Ende der 1970er-Jahre – und zu erleben ist in ihr Elisabeth Szemzö-Goese in ihrer letzten Rolle am Theater Koblenz. Wenig später sagte sie der Opernbühne Adieu – um in ihrer Wahlheimat im Alter von 50 Jahren eine zweite Karriere als Gesangslehrerin zu starten.

Heute sitzt die gebürtige Ungarin auf dem Sessel in ihrer Wohnung in einem Vorort von Koblenz mit direktem Blick auf den Rhein, in dem die Abendsonne glitzert. Und sie hat noch jeden Einsatz parat aus „Andrea Chenier“, noch jedes Wort der Oper, die sie an vielen Theatern und auch in Koblenz – das war damals in Deutschland noch üblich – in der deutschen Übersetzung unter dem Titel „André Chenier“ gesungen hat. „Diese Aufnahme habe ich lange nicht mehr angehört“, sagt sie nachdenklich. Ein Kompliment nimmt sie lächelnd an und weist darauf hin, dass sie natürlich auch die vielen kleinen Dinge heraushört, die sie damals noch besser hätte machen können – „aber insgesamt überwiegt der gute Eindruck“.

Das kann man wohl sagen: Elisabeth Szemzö-Goese, die am 19. März ihren 90. Geburtstag feiern konnte, verfügte in ihrer Gesangkarriere über eine Stimme, die wie geschaffen war für die Heldinnen der veristischen italienischen Oper zwischen Verdi, Puccini und Giordano. Mehr als 40 Partien sang sie an europäischen Bühnen – und das von Anfang an in den großen Hauptrollen. Dass die junge Frau, die südlich von Budapest, direkt an der Donau aufgewachsen war, dereinst Opernsängerin werden sollte, hatte extrem gute Voraussetzungen – beide Eltern, Lehrer von Beruf, waren auch musikalisch gebildet und hatten für Klavierunterricht für die beiden Töchter und den Sohn gesorgt.

Und so brauchte es nur einen kleinen Umweg: Elisabeth, die eigentlich Klavierlehrerin werden wollte, wurde an der Musikakademie in Budapest nicht auf ihrem Wunschinstrument ausgebildet, sondern stattdessen in Chorleitung geschult. Doch glücklicherweise entdeckte einer ihrer Professoren per Zufall ihre Qualitätsstimme und sorgte dafür, dass sie sofort mit dem Gesangsstudium beginnen konnte.

Von da an ging es rasch bergauf für die junge Sängerin, die von Anfang an mit einer großen Stimme gesegnet war. Gleich das Debüt beim ersten Engagement im österreichischen Klagenfurt absolvierte sie in ihrer persönlichen Schicksalspartie: Als Marie in Smetanas „Verkaufter Braut“ hinterließ sie derart bleibenden Eindruck, dass sie ans Staatstheater nach Wiesbaden verpflichtet wurde. Überall sang sie die Marie – und es war auch diese Partie, die auf den in Wiesbaden als Solotänzer engagierten Horst-Hans Goese mächtigen Eindruck machte: Was mit einem Blumenstrauß nach der Generalprobe begann, mündete in eine Ehe, die beide Künstler über gewisse Umwege hinweg nach Koblenz führen sollten.

Diese Umwege waren vordergründig zunächst sehr erfreulich: Schon die zweite Rolle in Wiesbaden in einer Uraufführung, „Hexenjagd“ nach Arthur Miller in einer Oper des US-amerikanischen Komponisten Arthur Ward, sollte zum Karrieresprungbrett für die ungarische Sopranistin werden. Die ursprünglich vorgesehene Sängerin der Rolle der Abigail, Anja Silja, hatte abgesagt – so kam Elisabeth Szemzö zu einer im Fernsehen übertragenen Produktion, die ihr viel Aufmerksamkeit und reihenweise Angebote einbrachte. Viele Gastierverpflichtungen und ein Festengagement in München folgten – aber auch die Einsicht, dass ein Leben im Flugzeug und im Nachtzug mit einer glücklichen Ehe eher schlecht in Verbindung zu bringen ist.

Die Wende kam 1970 mit Koblenz: Horst-Hans Goese hatte hier eine Anstellung als Ballettmeister gefunden, und so wurde die Stadt an Rhein und Mosel zum festen Domizil des Paares. Hier sang Elisabeth Szemzö-Goese Partien wie Desdemona („Otello“), Aida und Senta („Der Fliegende Holländer“).

Und sie sang auch die Elisabeth in „Don Carlos“, mit der sie eine besonders markante Erinnerung verbindet: In derselben Spielzeit stand diese Verdi-Oper auch in Mainz auf dem Programm, Szemzö-Goese war auch dort für die Produktion verpflichtet worden – in der italienischen Originalfassung „Don Carlo“. Als aber nun kurz vor einer Aufführung der Mainzer Sänger des Don Carlo erkrankte, wurde kurzfristig der Koblenzer Don Carlos geholt – und die Sopranistin stand vor der Entscheidung: In welcher Sprache wollen wir uns in Mainz begegnen? Und so wurde das Mainzer Publikum Zeuge einer italienischsprachigen Vorstellung, in der nur der Tenor auf Deutsch sang – seine Sopranistin aber je nach Gesangspartner zwischen Deutsch und Italienisch wechselte. Der Applaus war gewaltig.

Lehrerin mit Leidenschaft

Nach 22 Jahren auf der Opernbühne begann Elisabeth Szemzö-Goese an der Koblenzer Musikschule, später dann auch an der Universität und gastweise im Ausland ihre Tätigkeit als Gesangslehrerin, die sie nach der Pensionierung als Kontrolle für langjährige Schüler noch bis zur Corona-Pandemie ausübte. Generationen haben bei ihr das Singen gelernt – und ihre Ergebnisse eines Forschungsprojekts an der Bonner Uni sind heute noch unter dem Buchtitel „Singen – Ein akustisches Erlebnis“ lieferbar.

Das schönste Geschenk zum 90. Geburtstag hat Elisabeth Szemzö-Goese sich über viele Jahre hinweg selbst vorbereitet: Am Geburtstagswochenende waren nicht nur viele einstige Gesangsschülerinnen und -schüler zu Gast, sondern auch fünf junge Leute – teils Familienmitglieder, teils Kinder eines Patenkindes –, denen sie sich so eng wie Enkelkindern verbunden fühlt. Und die Jubilarin, die auch gern in Budapest, Berlin und München gelebt hat, ist bis heute glücklich über die Entscheidung für Koblenz, wo sie mit ihrem schon vor längerer Zeit verstorbenen Ehemann gute Jahre verbracht hat: „Koblenz ist wunderschön, und ich bin hier bis heute sehr glücklich.“