Johannes Palm hat die Tage nach dem Ahrtal-Hochwasser in Bildern festgehalten - und plädiert damit auch für einen besseren Katastrophenschutz
Eine Tragödie in Schwarz und Weiß: Johannes Palm hat die Tage nach der Ahrtal-Flut in Bildern festgehalten
Szenen einer Jahrhundertkatastrophe: Johannes Palm war mit seiner Leica Q2 unmittelbar nach der Flut in Ahrweiler unterwegs und hat dort das Ausmaß der Zerstörung festgehalten.
Johannes Palm

In Johannes Palms Leben gibt es gefühlt wenig, was er noch nicht gemacht hat: Intensivpfleger war er, Rettungssanitäter, später Firmengründer und studierter Katastrophenmanager. Seine Leidenschaft jedoch gilt der Fotografie, besonderen Aufnahmen, wie sie im Juli 2021 auch in Ahrweiler entstanden sind. Palm war dort unmittelbar nach der Flut, um die Gefühlswelt der Menschen in Bilder zu fassen. Rund 200 Fotos sind dabei entstanden, über die der Andernacher nun mit uns gesprochen hat.

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Herr Palm, es heißt bekanntlich, ein Bild sagt mehr als 1000 Worte, wobei mir gleich Ihre Aufnahme eines Mannes in den Sinn kommt, der erschöpft in einem Sessel sitzt – um ihn herum Wasser, Schlamm, die Trümmer seiner Existenz. Was waren das für Eindrücke, die sich Ihnen so kurz nach der Flut im Ahrtal geboten haben?

Es war im Ganzen zunächst einmal sehr chaotisch. Als ich in Ahrweiler ankam, gab es dort keine Organisation oder Einteilung von Helfern, auch niemanden, der geschaut hat, ob die Menschen in Sachen Arbeitsschutz richtig vorbereitet sind. In der Innenstadt ist mir dann als Erstes dieser vollkommen ungewohnte sensorische Mix aufgefallen: der Geruch von Fäkalien, Schlamm, Dreck, Chemikalien, dazu die Geräusche von Besen und Schneeschiebern, keuschende Menschen, Gegenstände, die bewegt wurden, zugleich aber kaum Gespräche.

Es wurde richtig angepackt, wobei mich überrascht hat, dass an diesem ersten Tag nach der Flut bereits vieles aufgeräumt war – nicht im Sinne von Ordnung, aber die Gegenstände standen zum Großteil schon nicht mehr in den Häusern, sondern auf den Straßen, die immer noch fünf bis zehn Zentimeter hoch mit Schlamm bedeckt waren.

Resigniert blickt ein Mann in die Kamera, der im Hochwasser sein kürzlich erworbenes Haus samt Geschäft verloren hat.
Johannes Palm

Welche Geschichten sind Ihnen denn rückblickend besonders in Erinnerung geblieben?

Als tragisch habe ich das Schicksal des Mannes auf dem von Ihnen beschriebenen Bild empfunden. Er hatte sich gerade erst selbstständig gemacht, das Haus gekauft, darin sein Geschäft eröffnet – und nun war alles weg und nicht versichert. Er stand nach der Flut quasi vor den Scherben seines Lebens, hatte resigniert und eine Art Galgenhumor entwickelt. Wie übrigens viele dort. Es gab immer wieder Menschen, bei denen eine gewisse Leichtigkeit zu erkennen war, wodurch schließlich auch Aufbruchsstimmung verbreitet wurde. Auf einem der Fotos ist zum Beispiel ein Helfer aus Köln zu sehen, der gerade ein Brot isst vor einem Kühlschrank, auf den er mit Schlamm geschrieben hat: „Et hät jood jejange“.

Wie herausfordernd war dieses Umfeld auch für Sie als Fotograf? Schließlich sind die Menschen nach einer solchen Katastrophe nicht nur körperlich, sondern auch mental an ihrer Belastungsgrenze, viele haben in der Flut Angehörige oder Freunde verloren. Und dann kommt ein Fremder mit seiner Kamera und schießt in eben dieser höchst fragilen Gemengelage Fotos.

Man hat mich bei meiner Arbeit schon wahrgenommen, aber, ich denke, nicht negativ, weil die Menschen von mir nicht mit unnötigen Fragen belästigt oder vom Aufräumen abgehalten wurden. Natürlich habe ich sie vorher gefragt, ob es in Ordnung ist, wenn ich dort fotografiere, und manche haben sich dann auch gleich positioniert, sich Arm in Arm vor der Kamera aufgestellt. Wie gesagt: Es war keine Zeit des Jammerns, viele Menschen hatten vermutlich auch noch gar nicht die Tragweite dessen begriffen, was dort gerade passiert war. Sie wollten in erster Linie funktionieren – und haben das auch getan. Wobei sie von den zahllosen Helfern motiviert und unterstützt, ja, in gewisser Weise auch getragen wurden.

"Et hät jood jejange": Ein Helfer aus Köln setzt der Flutkatastrophe Humor und rheinische Leichtigkeit entgegen.
Johannes Palm

Nun bezeichnen Sie Ihre Arbeit selbst auch als „Sozialfotografie“, in der Sie bevorzugt solche Menschen in den Fokus rücken, die sonst oft übersehen werden – Obdachlose beispielsweise. Inwiefern hilft einem diese Einstellung, Ihre Erfahrung in solchen Momenten?

Das hilft einem zweifellos, weil ich durch meine Arbeit als Fotograf, aber auch durch mein Studium im Krisen- und Risikomanagement über die Jahre eine gewisse Empathie entwickelt habe für Situationen wie diese, eine Antizipation, durch die ich anhand von Gestik und Mimik erkenne, ob und wo gerade ein Zugang ist zu meinem Gegenüber. Wobei meine Philosophie eigentlich schon immer war, Menschen auf meinen Bildern in Würde zu zeigen – oder ihnen ihre Würde zurückzugeben.

Bemerkenswert ist daneben auch die Hoffnung, die auf den Fotos immer wieder durchscheint: hier ein Lächeln, dort ein hochgereckter Daumen. Hat Sie diese positive, resolute Stimmung – die Sie in Ihren Bildern ja auch ganz gezielt eingefangen haben – überrascht?

Eigentlich nicht. Ich war in meinem Leben als Anästhesieluftretter bei mehr als 1000 Hubschraubereinsätzen mit an Bord, nicht nur, aber oft auch bei dramatischen Notfällen, und habe schon in dieser Zeit festgestellt, dass bei den meisten Menschen nach einem schlimmen Erlebnis eine unglaubliche Kraft zum Vorschein kommt, ein Spirit, mit dem man sich vielleicht auch selbst in eine andere mentale Verfassung versetzen möchte, um die Situation besser bewältigen zu können.

Was aber einen Tag später auch schon wieder ganz anders aussehen kann. Ich denke zum Beispiel, dass bei vielen Menschen im Ahrtal erst nach dem Aufräumen, nach der damit einhergehenden Ablenkung die Frage aufkam, wie es jetzt eigentlich weitergeht. Und wenn die Betroffenen damals schon gewusst hätten, wie lange sie etwa auf das Geld von ihrer Versicherung warten müssen, hätten sie die Trümmer vermutlich gar nicht mehr weggeräumt.

Johannes Palm
Johannes Palm

Neben den Menschen haben Sie in Ihren Fotos allerdings auch die zerstörerische Kraft des Wassers dokumentiert, die unvorstellbare Verwüstung ganzer Straßenzüge.

Ja, weil wir in Deutschland ein Verwundbarkeitsparadox haben – in der Form, dass Menschen sich in einer gut funktionierenden Infrastruktur oft sicher fühlen, dadurch aber im Fall von Krisen und Katastrophen umso hilfloser sind. Das konnte man im Ahrtal gut beobachten, wo man ebenfalls nicht damit gerechnet hat, dass das Wasser irgendwann mal so durch die Straßen schießt, dass es derart hoch steigt. Insofern müssen die Menschen jetzt für den Wiederaufbau kämpfen, zugleich sehe ich aber auch, dass wir gerade auf bürgerlicher Ebene genauso weitermachen wie zuvor und offenbar nicht viel gelernt haben aus der Flut – das zeigt sich aktuell auch wieder in Süddeutschland.

Extreme Unwetter gibt es immer häufiger, wir haben auch die Geodaten und wissen, wo sie auftreten, doch weder der Staat noch die Bürger ergreifen die notwendigen Maßnahmen. Dabei gibt es beispielsweise schon heute Lamellen und Aluminiumsysteme für 300 bis 600 Euro, mit denen sich Fenster und Türen effektiv abdichten lassen. Mein Eindruck ist, dass wir uns zu wenig mit Katastrophenvorsorge beschäftigen, weil es immer noch zu viele gibt, die daran zweifeln, dass in Sachen Klimawandel gerade unheimlich viel passiert. Und das, obwohl bei Tausenden Hitzetoten im Jahr, ständig neuen Überschwemmungen und tennisballgroßen Hagelkörnern eigentlich offensichtlich ist, dass irgendwas nicht stimmt.

Die Bilder sind einerseits eine künstlerische Mahnung, andererseits aber auch eine Ermunterung, Krisen zu bewältigen.

Johannes Palm

Das übergeordnete Ziel der Serie, sagen Sie, sei daher auch, das Bewusstsein für Naturkatastrophen und deren Folgen zu schärfen. Gelingt das, um noch mal auf die Redewendung zu Beginn unseres Gesprächs zurückzukommen, mit Bildern besser als mit Worten?

Ich bin davon überzeugt, dass Bilder das Thema ein Stück weit näher an die Menschen herantragen. Dennoch verharren wir in Deutschland nach wie vor in unserer Komfortzone, obwohl wir uns eigentlich längst mit den notwendigen Risikoanalysen beschäftigen müssten. Das passiert zwar inzwischen auf Bundes- und Landesebene, wird aber viel zu langsam auf die kommunale Ebene transportiert.

Natürlich gibt es keine Lösungen, die sich von heute auf morgen umsetzen lassen, aber man könnte die Menschen beispielsweise besser informieren, den Kindern in der Schule schon beibringen, wie man sich etwa bei Hochwasser verhält. In Japan ist das heute bereits der Fall: Dort lernen Kinder etwa auch, wie man ein Feuer löscht, während wir uns seit dem Elbe-Hochwasser 2002 kaum bewegt haben und der Staat die Katastrophenvorsorge fast vollständig auf die Bürger abwälzt, anstatt selbst zu handeln.

Würden Sie denn trotzdem der Aussage zustimmen, dass die Bilder auch ein Mutmacher sind, weil sie sehr viel Menschlichkeit zeigen?

Definitiv. Die Bilder sind einerseits eine künstlerische Mahnung, die auf wissenschaftlichen Grundlagen beruht, andererseits aber auch eine Ermunterung, Krisen zu bewältigen – und sie im besten Fall gar nicht erst mit einer solchen Wucht wie im Ahrtal auf die Menschen zukommen zu lassen.

Das Gespräch führte Stefan Schalles

Die 200 Bilder umfassende Serie ist online zu finden auf Johannes Palms Homepage oder bei Instagram.