In der Citykirche: Porträts des israelischen Künstlers Youval Yariv zeigen Vordenker eines liberal-sozialen Zusammenlebens
Ein künstlerisches Plädoyer für Europa
In seinen Porträts, die zurzeit in der Koblenzer Citykirche zu sehen sind, zeigt der israelische Künstler Youval Yariv große Persönlichkeiten der europäischen Geschichte. Unter den abgebildeten Vordenkern, die sich für ein humanistisches und friedliches Zusammenleben einsetzten und damit zum Zusammenwachsen des Kontinents beitrugen, finden sich unter anderem auch Sigmund Freud (links) und Heinrich Heine. Fotos: Schalles

Koblenz. Knapp drei Wochen sind es noch bis zur Wahl des EU-Parlaments, und nie zuvor schienen die Stimmen der Europakritiker lauter als in jenen Tagen. Regulierungswütig, bürgerfern und teuer lauten nur drei von zahlreichen Vorwürfen gegen das kontinentale Staatenbündnis. Die positiven Aspekte der EU – Stichwort: Reisefreiheit, politische Stabilität – drohen dabei im Wust der Unmutsbekundungen zunehmend unterzugehen, auch weil sie für viele heute längst zur Selbstverständlichkeit geworden sind.

Doch wie ist das geeinte Europa, in dem wir nun seit knapp sieben Jahrzehnten leben, eigentlich entstanden? Welche Vordenker haben die EU in ihrer heutigen Form geprägt? Wer Antworten auf diese Fragen sucht, wird derzeit in der Koblenzer Citykirche fündig. Dort stellt der israelische Künstler Youval Yariv seit Sonntag 17 Porträts großer Europäer aus.

Der jüdische Künstler, Jahrgang 1942, lebt seit den 1980er-Jahren in Deutschland und setzt sich in seinem Werk intensiv mit dem Holocaust auseinander, dem – mit Ausnahme seiner Eltern – seine gesamte Familie zum Opfer fiel. Mit seiner neuen Ausstellung „Je suis Européen“ („Ich bin Europäer“) lässt Yariv das Trauma seiner Vorfahren nun erstmals hinter sich und wendet den Blick stattdessen in die Zukunft.

Die Symbolik aus seinem bisherigen Werk ist jedoch auch in der neuen Ausstellung allgegenwärtig. So zieren beispielsweise Strichlisten den Hintergrund jedes Porträts. Eine Anspielung auf die bürokratisch-gründliche Vernichtungsmaschinerie des Dritten Reiches, die gleichzeitig auch als Mahnung gelesen werden kann: „Seht her, was uns womöglich bevorsteht, wenn der Populismus siegt und das europäische Projekt scheitert.“

Ob dies die Botschaft der Bilder ist, bleibt letztlich im Dunkeln. Yariv verzichtet bewusst auf Erklärungen und setzt stattdessen auf eine Symbolik der Mehrdeutigkeit. Seine Porträts wirken dabei stets düster – und entbehren doch nicht einer gewissen Zuversicht, die sich meist in hellen Farben an den Bildrändern äußert. Abgebildet sind Persönlichkeiten, die sich trotz erheblicher Widrigkeiten für ein humanistisch geprägtes und liberal-soziales Zusammenleben auf dem Kontinent einsetzten – auf den unterschiedlichsten Wegen.

Da wäre unter anderem Immanuel Kant, gezeichnet als weiser Mann. Eine Hand streckt ihm ein Mikrofon entgegen – gemalt in grellen Regenbogenfarben –, weil der Denker uns auch heute noch viel zu erzählen hat. Kant vertrat stets die These, dass der Mensch an sich nicht gut ist und es daher logischerweise immer wieder zu Kriegen komme. Der Frieden, so der Philosoph, muss immer wieder hart erarbeitet werden. Ein aufwendiger Prozess, der in Yarivs Zeichnung durch einen Karren dargestellt wird, den eine unkenntliche Figur im Hintergrund außer Reichweite lodernder Flammen schiebt.

Wie bei den anderen Denkern in der Schau ist auch Kants Gesicht von parallel verlaufenden roten Strichen gezeichnet. Die Spuren einer intellektuellen Auseinandersetzung mit den oft rückwärtsgewandten Weltbildern ihrer Zeit?

Ein anderes Bild zeigt Simone Veil, die erste Präsidentin des europäischen Parlaments. Die französische Jüdin verlor im Holocaust – wie Yariv selbst – fast ihre gesamte Familie und setzte sich nach dem Krieg dennoch intensiv für die Aussöhnung mit den Deutschen ein. Auch an Veils Gesicht ragt ein Mikrofon.

Im Hintergrund steht derweil ein Haus lichterloh in Flammen. Eine Anspielung auf die weitgehende Zerstörung Europas im Zweiten Weltkrieg? Auch diese Frage bleibt unbeantwortet, die durch das Bild implizierte Mahnung jedoch ist unverkennbar.

Dabei zieht sich das Konzept des bewusst groß gestalteten Interpretationsspielraums wie ein roter Faden durch die Ausstellung. Ob Adorno, Spinoza, Descartes oder von Suttner: Stets werden Lebensumstände und gesellschaftliche Umbrüche nur ikonografisch angedeutet, nie belehren die Porträts, nie prangern sie an. Yariv stellt vielmehr eine breite Deutungspalette bereit, die im Eingangsbereich lediglich durch knappe biografische Texte zu den Abgebildeten ergänzt wird.

Welche Botschaft der Betrachter aus diesem Zusammenspiel zieht, bleibt letztlich allein ihm überlassen. Und genau diese Eigenverantwortung ist der größte Wert der Schau. Wer sie besucht, kommt nicht umhin, sich mit der europäischen Geschichte, mit den Personen, die durch ihr Schaffen auch die Europäische Union in ihrer heutigen Form beeinflussten, auseinanderzusetzen.

Von dort ist es nur noch ein kurzer Weg zu einer ehrlichen Diskussion über Europa, zu einer sachlichen Gegenüberstellung seiner zweifellos vorhandenen Fehler und seiner Vorzüge.

Am Ende der Schau hängt ein Bild Yarivs aus dem Jahr 2014. Darauf zu sehen ist eine Trümmerlandschaft, aus der verwaiste Rednerpulte emporragen. Über montierten Mikrofonen nichts als Rauch. Wie also sieht sie aus, die Alternative zu einem vereinten Kontinent? Und wohin führt die Rückkehr zu Populismus und Kleinstaaterei? Zwei weitere offene Fragen, die den Besucher unweigerlich denkend zurücklassen.

Die Ausstellung in der Citykirche ist noch bis zum 26. Mai dienstags bis samstags von 7.30 bis 19 Uhr zu sehen. In diesem Zeitraum werden mittwochs jeweils um 19 Uhr zwei bis drei der ausgestellten Persönlichkeiten näher vorgestellt.

Von unserem Redakteur Stefan Schalles