Nein, es ist nichts einzuwenden gegen das auf der Godesberger Bühne vorgetragene Ansinnen, die schieren Dreiviertelmehrheiten von männlichen Theaterintendanten, Regisseuren und Stückautoren bis in unsere Tage endlich zu brechen. Kein Widerspruch auch gegen den Befund, es mangle an guten Rollen für ältere Schauspielerinnen. Und unterschreiben kann man gewiss, dass im gesellschaftlichen Alltag wie – erst recht? – im Theaterleben noch immer männliches Dominanzverhalten bis hin zum blanken Sexismus ihr Unwesen treiben.
Von alltäglichen Verbal-Zumutungen, vom Begrapschen, von Missbräuchen in der Normalität außerhalb der Theatermauern berichten sechs Bonner Frauen. Das ist bedrückendes Dokumentationstheater, formal getragen vor allem von Sprechen im Chor, was unterstreicht: Hier werden nicht vereinzelte Extrembeispiele benannt, sondern ist von vielfachen Erfahrungen vieler Frauen die Rede.
Dazwischen zeigen fünf Schauspielerinnen und zwei ihrer männlichen Kollegen in Spielszenen auf und um eine riesenhafte „Besetzungscouch“, wie frauenfeindlich es häufig zugeht am Theater – dieser bis in die Gegenwart hierarchisch strukturierten Institution geradezu feudalen Machtzuschnitts. Das ist eine gelungene Mischung aus Informations- und Agitproptheater, eine Sphäre ausleuchtend, von der das normale Publikum selten etwas mitbekommt
Für den Emanzipationsdiskurs um das Theater ist ein Phänomen besonders des Nachdenkens wert, das am 130-minütigen Abend mehrfach angesprochen wird: die Rolle der Frau im Kanon der Bühnenklassiker. Ob Heilige oder Hure: Die letztlich sich selbst befreiende, freie oder gar triumphierende Heldin sei sie nie, heißt es in Bonn. Stattdessen am Ende meistens tot – hingemordet oder von eigener Hand entleibt.
Medea, Antigone, Iphigenie, Helena, Ophelia, Emilia Galotti, Gretchen, Johanna, Lulu …. Die Reihe der Frauen ist endlos, die auf die Bühne gerufen werden, um zu sterben. Das Bonner Regieteam sieht darin in summa quasi einen Genozid an den Frauen der künstlerischen Welt; angestiftet durch die seit der Antike anhaltende Hegemonie schreibender Männer von Hesiod und Sophokles über Shakespeare, Lessing und Goethe bis zu Wedekind, Brecht und noch jüngeren.
Beim gespielten Probenstreit um Lavinias Vergewaltigung in Shakespeares „Titus Andronicus“ geschieht dann jenes Unglück, das die Inszenierung in unterirdische Banalitäten stürzt: Die Schauspielerinnen Birte Schrein und Sandrine Zenner werden vom Boden „eingesogen“ und landen in den katakombischen Fluren unter der Bühne. Von da an ist die Theatervorstellung eine Videoaufführung, die mit Mitteln billigster Horror- und Splatterfilmerei versucht, satirisch zu sein. Bert Brecht, Dieter Wedel, Jack the Ripper sind dort unten die Frauenausnutzer und Frauendrangsalierer, die mit Hackmesser und Maschinenpistole Frauen schlachten.
Bis dahin war der Abend zwar etwas berichtslastig und gesellschaftskritisch kräftig zugespitzt, doch inhaltlich wie szenisch durchaus klug, erhellend, Nachdenken wie auch berechtigten Zorn provozierend. Die filmische Horrorpassage im Keller indes packt zum ernsten Ansatz ein überflüssiges, lächerliches Krakeel – ironische Metaphorik hin oder her. Danach fällt es schwer, die zum kollektiven Schlusschor komprimierte Utopie einer frauenemanzipierten und damit auch für Männer besseren Welt noch gebührend zu überdenken.