Dass das Heeresmusikkorps Koblenz viel mehr im Repertoire hat als traditionelle deutsche Marschmusik: Das ist eine Binsenweisheit. Besonders für Hunderte treuer Besucherinnen und Besucher des jährlichen Benefizkonzerts des Heeresmusikkorps zugunsten von HELFT UNS LEBEN, der Initiative für Menschen in Not der Rhein-Zeitung und ihrer Heimatausgaben. RZ-Chefredakteur Lars Hennemann bedankte sich am Donnerstagabend herzlich beim Publikum in der ausverkauften Rhein-Mosel-Halle für diese Treue: Schon zum 44. Mal konnte das Benefizkonzert begangen werden, das HELFT UNS LEBEN so wertvoll unterstützt. Und doch war das Konzert in gewisser Hinsicht eine Premiere.
Denn auf dem prallen Programm stand eine ebenso vielfältige wie ambitionierte Auswahl größtenteils lateinamerikanischer Musik, viele Titel davon gehören nicht zum Repertoirekanon des immer wieder gern Gehörten. Und trotzdem gelang das außergewöhnliche Konzerterlebnis ausgesprochen begeisternd, wenn man nach den Reaktionen des Publikums geht. Denn dieses erfreute sich lautstark der Leistung der Musikerinnen und Musiker – was seinen Grund einerseits in der guten Form hat, in der das Heeresmusikkorps Koblenz auftrat, andererseits in der bestechenden Leistung des neuen Mannes am Dirigentenpult: Seit April 2024 leitet Hauptmann Holger Kolodziej das Heeresmusikkorps Koblenz.
Gefällt ihnen so was? Das geht jetzt den ganzen Abend so. Also machen sie sich locker!
Hauptmann Holger Kolodziej
Er wandte sich nach Beginn des Konzerts ans Publikum: „Gefällt ihnen so was? Das geht jetzt den ganzen Abend so. Also machen sie sich locker!“ Das Lockermachen fiel ausgesprochen leicht, denn wie Kolodziej das Orchester leitet: Das muss man nicht nur gehört, sondern auch gesehen haben. Ein vorwiegend lateinamerikanisches Programm lebt davon, dass die Musikerinnen und Musiker die stark synkopierte Musik mit viel Rhythmusgefühl und Flexibilität umsetzen, und das gelingt eben am besten, wenn ihr Leiter diese Tugenden vorgibt. Und genau da punktet Hauptmann Kolodziej mit großem Talent und schwungvollem Ganzkörpereinsatz, der im zweiten Programmteil bis zu einem Tänzchen des Dirigenten führte.
Noch dazu ist Kolodziej ein ausgesprochen guter Musikerklärer – und machte so das Erleben mancher Stücke spannend, das ohne seine einführenden Worte vor jedem Werk weniger intensiv ausfallen könnte. Als Beispiel: „Alvorada“ von Antonio Carlos Gomes (1836-1896) gewinnt enorm an Erlebniswert, wenn man nicht nur über den übersetzt „Morgenröte“ lautenden Titel aufgeklärt ist, sondern auch erfährt, dass darin die brasilianische Natur erwacht, inklusive einer fernen Schiffssirene. Und mit Erscheinen der gleißenden Morgensonne wird es nicht nur im Orchester triumphal laut, sondern wird auch in der Rhein-Mosel-Halle das Saallicht auf gleißend hell umgestellt. Ein Aha-Erlebnis zu einer Musik, die sogar an Richard Wagners „Siegfried“ mit seinem „Waldweben“ oder dem Vorspiel des dritten Aktes erinnert.

So kann man in diesem Konzert nicht nur mitwippen und die südliche Stimmung genießen, sondern noch jede Menge dazulernen. Etwa, dass der spanische Volkstanz Malagueña aus Andalusien stammt, eine Vorläuferin des Flamencos ist, und wie dieser meist auf der Gitarre erklang. Beim Konzert des Heeresmusikkorps ist das dann mit einer Malagueña des Komponisten Ernesto Lecuono nachzuerleben.
Zum spanischen Konzertteil gehören auch die bei Fans der sinfonischen Blasmusik bekannten Stücke zweier US-amerikanischer Komponisten: „El Camino Real“ von Alfred Reed (1921-2005) mit einer guten Portion Orientalismus und „El toro loco“ von Ken McCoy (1946-2018) mit seiner sehr bildhaften Schilderung eines Stierkampfes, die das Heeresmusikkorps mit viel Klangschmelz und Verve ausstattet. Dabei kommt, wie den ganzen Abend über, den gleich vier Perkussionisten des Orchesters eine große Bandbreite an Aufgaben zu.

Die exotischste dieser Aufgaben war sicherlich das Spiel eines selten so prominent zum Einsatz kommenden Instruments: Der vor wenigen Tagen im Alter von 91 Jahren verstorbene Komponist und Musikproduzent Quincy Jones ließ in seinem Stück „Soul bossa nova“ 1962 die vor allem aus der Samba bekannte Reibetrommel Cuíca mit ihrem quietschenden, an ein hysterisches Lachen erinnernden Klang zu besonderen Ehren kommen.
Dieses Stück gehört zu den sicherlich bekanntesten des Konzertprogramms – wie auch „Tico tico no fubá“ von Zequinha de Abreu aus dem Jahr 1917. Unzählige verschiedene Versionen des rasanten Stückes entstanden über die Jahrzehnte. Eine ikonische Interpretation gab 1947 die Schauspielerin und Sängerin Carmen Miranda unter einem unvergesslichen Tutti-Frutti-Hut im Film „Copacabana“. Für das Heeresmusikkorps gehört es auch ohne Obst schon länger zu den absoluten Paradestücken – und durfte angesichts seines brasilianischen Schöpfers keinesfalls fehlen in diesem besonderen, energiegeladenen Abend, der schon jetzt Lust macht auf neue Repertoireerkundungen des Heeresmusikkorps Koblenz unter seiner neuen Leitung.