Uraufführung in Koblenz
Dreiteiliges Musiktheater mit Ohrwurmpotenzial
Choreograf Andreas Heise findet im Schlussteil des Abends mit dem hoch motivierten Koblenzer Ballettensemble zu eindringlichen Bildern.
Matthias Baus. Matthias Baus für das Theater Koblenz

„Into the fire“: Drei ganz unterschiedliche Stücke des Komponisten Jake Heggie sind mit ihrer wunderbaren Musik, Tanz, Performance-Kunst und vielen anderen Zutaten im Koblenzer Theaterzelt zu einem spartenübergreifenden Ereignis verwoben.

Die Uhr tickt für Franziska Feser: Wenn der Abend „Into the fire: Musiktheater von Jake Heggie“ beginnt, hat die Bildhauerin auf der Bühne nur eine gute halbe Stunde Zeit, aus einem Klumpen Lehm eine Frauenbüste zu formen. Nicht viel Zeit auch für das große Schicksal, das so kompakt verhandelt wird. Den Auftakt, den Liederzyklus „Camille Claudel: Into the fire“, hat der US-amerikanische Komponist Heggie (Jahrgang 1961) inspiriert von der Geschichte der französischen Bildhauerin Camille Claudel (1864–1943) geschrieben. Zeitlebens stand die herausragend talentierte Künstlerin im Schatten von Männern, starb in einer psychiatrischen Anstalt, erst posthum wurde ihre Kunst allgemein anerkannt – das wäre locker auch genug Stoff für eine große Oper.

Nun findet Claudels Schicksal in Koblenz immerhin als Liederzyklus den Weg auf die Theaterbühne: Nach dem enormen Erfolg von Heggies Oper „Dead Man Walking“ am Theater Koblenz 2022 hat sich der damals inszenierende Intendant Markus Dietze dazu entschlossen, das Werk über Camille Claudel neben eine Choroper und einen weiteren Liederzyklus Heggies zu stellen. Daraus geworden ist ein szenisches Triptychon, das wie wohl nur selten am Theater anzutreffen mehrere Sparten und Kunstformen zusammenführt – und das bei aller Verschiedenheit der absolut eigenständigen Teile in jedem Teil zu dramatischer Schlüssigkeit findet.

Mezzosopranistin Danielle Rohr verkörpert im ersten Teil von „Into the fire“ mit leidenschaftlicher Durchdringung die Bildhauerin Camille Claudel.
Matthias Baus. Matthias Baus für das Theater Koblenz

Selbstverständlich ist das keineswegs, schließlich ist ein Liederzyklus in seiner musikalischen Kleinteiligkeit nicht unbedingt eine dankbare Ausgangsbasis für eine Bühnenumsetzung. Doch hier läuft schon zu Beginn alles in einem Räderwerk aus ganz verschiedenen Kunstsystemen zusammen, die einander bedingen und ergänzen: Da ist einmal die Mezzosopranistin Danille Rohr, die als Camille Claudel mit ernster, leidenschaftlicher Durchdringung singend erzählt von den Seelennöten einer verkannten Künstlerin, die stets im Schatten ihres Geliebten August Rodin stand. Die ihre Werke als „steinerne Kinder“ bezeichnet, und genau ein solches „steinernes Kind“, eine Skulptur, auf der Bühne zerschlägt.

Gleichzeitig ist auch Rodin die ganze Zeit über gegenwärtig – in Person des Tänzers Andreas Heise, der als „The Body“ auch für viele andere Menschen/Männer steht und immer wieder auch direkt mit der Sängerin agiert. Und zu all dem entsteht live auf der Bühne und in Projektion auf ein Stoffsegel vergrößert, die erwähnte Skulptur durch Bildhauerin Franziska Feser, die gegen Ende auch kurz eine Künstlerfreundin Claudels darstellen wird, bevor sich deren Schicksal unter zu Herzen gehenden Klängen erfüllt. Ein intensives Kammerspiel, das von der Rheinischen Philharmonie unter der aufmerksamen und dramatisch stringenten Leitung des Dirigenten Sejoon Park (wie auch im Schlussteil) perfekt begleitet wird und eine hohe Messlatte für den Rest des Abends legt.

Humorvolle Choroper mit sehr viel Liebe zur großen traditionellen Unterhaltungsmusik: „The Radio Hour“ mit Jana Gwosdek (Mitte) als Nora.
Matthias Baus. Matthias Baus für das Theater Koblenz

Und hochkarätig geht es weiter, wenn auch – nach der ersten von zwei Pausen – gänzlich anders. Wie eine große US-Show für die Ohren hat Jake Heggie seine Choroper „The Radio Hour“ konzipiert. Ihre originelle Handlung: Nora, eine Frau mittleren Alters, hat einen ausgesprochen schlechten Tag hinter sich, als sie in ihrer Singlewohnung eintrifft. Dort ist sie allerdings nicht allein: Der Opernchor verkörpert nicht nur die inneren Stimmen Noras, sondern übernimmt auch das Programm des alten Radios, aus dem Werbebotschaften und Songs tönen, die allesamt beängstigend direkt auf Noras Situation zugeschnitten sind.

Heggie hat sich diesem Chor-Divertissement mit sehr viel Liebe zur großen traditionellen Unterhaltungsmusik gewidmet und verhandelt in einer Episode über zwölf Rosen, er die für die zwölf Halbtöne der chromatischen Tonleiter stehen, augenzwinkernd auch noch die vielen Möglichkeiten der Musik. Das ist musikalisch grandios, aber auch eine Herausforderung, die der Koblenzer Opernchor mit Bravour besteht. Die Sängerinnen und Sänger bringen sich mit enormer Spielfreude und bemerkenswerter Präzision ein: Wie gut, dass ihr Chorleiter Lorenz Höß in diesem Mittelstück des dreiteiligen Abends auch die musikalische Leitung am Pult des Orchesters übernimmt. Markus Dietze zeigt sich dabei von seiner heiteren Seite, hat reihenweise gute Ideen parat und hält den Chor wie auch die großartig, hier ausnahmsweise einmal stumm und nur mit der packenden Kraft ihrer Mimik agierende Jana Gwosdek als Nora gehörig auf Trab.

Im Schlussteil des Abends, „The Deepest Desire: Four Meditations on Love“, kommt auch das Koblenzer Ballettensemble zum Einsatz.
Matthias Baus. Matthias Baus für das Theater Koblenz

Was kann nach zwei solch unterschiedlichen Werken noch kommen? Glücklicherweise nichts, was zwanghaft nach Verbindung sucht und vorgibt, alles zusammen müsse einen großen Sinn ergeben. Dabei knüpft auch Teil 3 von „Into the Fire“ an Vergangenes an, zunächst über Jahre zurück sogar an „Dead Man Walking“. Die Geschichte über eine Nonne, die einem in der Todeszelle auf seine Hinrichtung wartenden Mörders beisteht, beruht auf den Lebenserinnerungen der Ordensschwester Helen Prejean. Jake Heggie hat sich mit Sister Helen angefreundet – und sie um Texte für einen Liederzyklus gebeten, den er unter dem Titel „The Deepest Desire: Four Meditations on Love“ vertont hat.

Diesen Schlussteil hat Markus Dietze ganz dem Tanz überlassen, und dabei gibt es einen Zirkelschluss: Wie zu Beginn tritt wieder Mezzosopranistin Danielle Rohr auf, und die Choreografie für das Koblenzer Ballettensemble liegt in den Händen von Andreas Heise, der mit ihr im Auftakt über Camille Claudel als Tänzer zu erleben war. So findet sich alles zusammen: Wenn die Sängerin über die Lebens- und Glaubenserfahrungen (und -krisen!) der Ordensschwester singt, ist das hoch motiviert antretende Ballettensemble mal Schulklasse, mal ein unbeirrbar nach vorn schreitender Mainstream-Lindwurm. Oder aber einfach emotionaler Gradmesser der Lebensäußerungen zwischen Freude und Verzagtheit, männlicher Rivalität und überbordender Liebe.

Ein trotz seiner Kürze eindrucksvoller Schlussteil

Andreas Heises neoklassisch basierte Choreografie findet vor allem im geschickten Zusammenführen von Ballettensemble und der Sängerin zu anrührenden und eindringlichen Bildern, die noch unterstreichen: Angesichts der starken Texte und der erneut ohrwurmverdächtigen Melodien fällt der Schlussteil mit 18 Minuten ziemlich kurz aus. Der Schlussapplaus für alle Beteiligten (auch für Dorit Lievenbrück und Berhard Hülfenhaus für Bühne und Kostüme in verschiedenen Konstellationen und für Videokünstler Georg Lendorff) spricht Bände: Dem hätte man gern sogar noch länger zugehört und zugesehen.

Termine und Tickets unter www.theater-koblenz.de