Ausstellung Schloss Balmoral
Die Sayner Hütte taucht gänzlich ein in Kunst
Yana Zschiedrich stellt in der Sayner Hütte ihr Projekt "Hybris" vor, das mittlerweile schon weit über die Kunstszene hinaus für Aufsehen gesorgt hat: Sie lässt Mehlrwürde Styropor aus Dämmplatten verstoffwechseln - dabei ensteht am Ende des Prozesses ein neuer Baustoff.
Julius C. Schreiner

Zum ersten Mal ist die Artist Residency Schloss Balmoral mit ihrer Jahrgangsausstellung zu Gast im Industriedenkmal Sayner Hütte: Vom 10. Mai an sind dort 16 Positionen von 2024 zu sehen - Zum Auftakt gibt es eine große Party.

. Man soll die Feste feiern, wie sie fallen: Das trifft auch auf Schloss Balmoral zu, vor 30 Jahren als Künstlerhaus gegründet, mittlerweile internationaler als Artist Residency etikettiert. Vor dem großen Festprogramm zu diesem Anlass gibt es allerdings schon jetzt eine große Party: Am Samstag, 10. Mai, lädt Schloss Balmoral erstmals in die historische Sayner Hütte, um 16 verschiedene künstlerische Positionen vorzustellen. Die Jahresschau soll auch durch die deutlich limitierte Laufzeit von nur neun Tagen Festivalcharakter erhalten – und sie hat sich ein Thema gesetzt, das auch über die Kunstwelt hinaus in aller Munde ist: Immersion.

Im Großen und Ganzen soll es, so die Ausstellungsmacherinnen Agnes Schofield und Balmoral-Leiterin Katharina Fink, dabei um das Gefühl des Abtauchens und Sich-Versenkens gehen. Das sind zwei mögliche Bedeutungen von Immersion – zusätzlich wird der Begriff jüngst aber auch für populäre Kunstschauen, meist rund um einen bestimmten berühmten Künstler, genutzt, um in Projektionswelten, animierten Bildern, Klängen, Mitmachstationen und mitunter gar Düften mit Haut und Haaren abzutauchen. Das allerdings, so versichern die Kuratorinnen lachend, ist nicht zu erwarten, oder gar zu befürchten: Die Künstlerinnen und Künstler des Jahrgangs 2024 haben sich dem Thema der Ausstellung ganz unterschiedlich gewidmet, nehmen als Bezugspunkte etwa Immersion und Wissenschaft, die Beziehung zwischen dem Menschen und der ihn umgebenden Natur, soziale Themen oder auch historische Reflexion in den Blick.

Der französische Künstler Florent Dubois widmet sich in Zeichnung, Malerei, Keramik, Installation und Video vorzugsweise der kritischen Auseinandersetzung mit Alltagsobjekten.
Claus Ambrosius

Dass das erstmals in der architektonisch markanten Gießhalle der Sayner Hütte passiert, ist dem abwechslungsreichen Jahresprogramm des Industriedenkmals zu verdanken, das beiden Ausstellungsmacherinnen gut gefallen hat. Außerdem war ihnen sehr wichtig, dass ihre Idee vom zeitlich begrenzten Kunstfestival und die Arbeit von Balmoral am neuen Ort herzlich willkommen geheißen wurden: „Wir feiern mit dieser Ausstellung ein Wiedersehen mit vielen Künstlerinnen und Künstlern“, erklärt Künstlerhaus-Leiterin Fink. „Im besten Fall haben sie sich in Bad Ems wohlgefühlt, und wir wollen, dass sie auch dort, wo sie jetzt mit ihrer Kunst hingehen, warm empfangen werden.“

Dazu dürfte die Partystimmung beitragen, für die die außergewöhnliche Vernissage am 10. Mai um 17 Uhr sorgen soll, für die ganz bewusst der Eintritt frei ist und für deren Groove nach den Begrüßungsreden (auch in deutscher Gebärdensprache) von 20 Uhr an auch DJ Augenroller aus London zuständig sein wird. Beim Aufbau der Ausstellung in der großen, prächtigen Gießhalle ist schon zu erahnen, wie vielgestaltig die Kunst ist, die in diesen neun Tagen zu erleben ist: Inmitten der Halle liegen bereits zwei Gestalten, die ein bisschen wie verunglückte, große Plüschtiere wirken. Und tatsächlich sollen sie das auch sein: Der französische Künstler Florent Dubois widmet sich in Zeichnung, Malerei, Keramik, Installation und Video vorzugsweise der kritischen Auseinandersetzung mit Alltagsobjekten. Er bezeichnet sich selbst als einen „begnadeten Liebhaber massenhaft produzierten Schickschnacks, bizarrer Trainingsanzüge, exotisch bedruckter Stoffe, regionaler Folklore“ und dabei auch des Karnevals – Ehrensache, dass in einer Collage auch die Mainzer Variante mit ihren typischen Schwellkopffiguren verarbeitet wird.

Mit keinem Hinweis verraten die feinen Bleistift-Grundrisszeichnungen von Sonya Schönberger die Orte, die sie abbilden - ihre Wahrnehmung ändert sich allerdings entscheidend, wenn man erfährt oder weiß, dass diese Struktur zum NS-Konzentrationslager Sachsenhausen gehört.
Sonya Schönberger

Die Werke seiner Jahrgangskollegin Dora Dukesac hingegen widmen sich der Wahrnehmung von Natur auf ganz spezielle Weise: „In ihrem Projekt, das sie in ihrer Zeit in Bad Ems erarbeitet hat, untersuchte sie, was menschliche und nicht menschliche Wesen verbindet – und sie erinnerte sich an Dinge, die uns mit der Welt verbinden, und daran, wie wir eingebunden sind in alles“, erklärt Agnes Schofield. So hatte die kroatische Künstlerin beispielsweise untersucht, wie wohl eine Schlange die Welt wahrnimmt – und dann versucht, das Ergebnis in für uns hörbare akustische Signale umzusetzen. In der Sayner Hütte hängen von ihr – auffällig in glutrotem Licht im ehemaligen Hochofen – aus Biomaterie entstandene Strukturen, die elektrische Signale in Schwingungen übersetzen und so als Lautsprecher fungieren.

Den Schnittstellen von Geschichte, Erinnerung und persönlicher Erzählung widmet sich die in Berlin lebende Künstlerin Sonya Schönberger. Sie war, wie Katharina Fink erläutert, schon mehrfach Balmoral-Stipendiatin und hat die in Sayn gezeigten Werke vor zwölf Jahren in New York geschaffen, wo sie im Rahmen eines Rheinland-Pfalz-Stipendiums arbeitete, das dort damals noch über ein Apartment verfügte. Entstanden sind damals ganz feine Bleistiftzeichnungen, die teils rätselhaft bleiben, teils durch ihre Symmetrie auf die richtige Fährte führen: Schönberger hat hier Architekturstrukturen festgehalten – aber nicht irgendwelche. Sie zeichnet Pläne von Konzentrationslagern der Nationalsozialisten nach: Sobald man dies beim Nähertreten erfährt, schlägt die primäre Faszination über die Schönheit von Strukturen sofort und brutalstmöglich um.

"SeineSucht" heißt das Fotoprojekt der in Mainz und Frankfurt lebenden Künstlerin Grit Reis, das beim Gastaufenthalt in der Seine-Metropole Paris 2024 entstanden ist.
Grit Reiss

Ganz andere Eindrücke von der Unterbringung von Menschen hat Grit Reiss bei ihrem Paris-Stipendium im vergangenen Jahr in ihren Fotografien verarbeitet, die aus der Höhe der Sayner Hütte in zweieinhalb Meter langen Rollen herunterhängen: Sie war zu Gast bei einem langjährigen Akademiepartner von Schloss Balmoral, der Cité Internationale des Arts. „Direkt davor fanden sich zahllose kleine Zelte, die auch an vielen anderen Orten der Stadt zu sehen sind“, erzählt die in Mainz und Frankfurt lebende Künstlerin. Die Bewohner der Zelte sind allesamt Menschen, die als Geflüchtete nach Frankreich gekommen sind und in den kleinen, mobilen Behausungen eine einjährige Wartezeit bis zur Eröffnung ihres Asylverfahrens hinter sich zu bringen versuchen. Daraus ist ihre eigene Fotoserie entstanden, die das Element des Blicks durch das Zelt in die umgebende Stadt aufgenommen hat.

Und gleich Hunderte lebende Co-Künstler hat Yana Zschiedrich, die im vergangenen Jahr das Stipendium für ein ortsunabhängiges Projekt erhalten hat, mit in die Sayner Hütte gebracht. Für eine Arbeit, die an sich schon spektakulär aussieht, aber umso beeindruckender wird, je mehr man darüber erfährt. Zschiedrich beschäftigt sich derzeit intensiv mit ökologischen Fragestellungen und hat mit ihrem aktuellen Projekt, das sie im Gepäck hat, bereits für Aufsehen über die Kunstszene hinaus gesorgt: Sie lässt Würmer Dämmplatten zerfressen, die derzeit im Zuge der Neuisolierung von Gebäuden massenhaft anfallen. Die meist mit Pilzschutz behandelten und verklebten Platten enden meist als Deponie-Sondermüll mit einer Halbwertzeit von geschätzten 5000 Jahren, erklärt die Künstlerin. Lässt man sie aber von Mehlwürmern fressen, kann aus dem so gewonnenen Kot relativ unaufwendig ein neuer, betonähnlicher Baustoff gewonnnen werden. Dargestellt ist das in der Versuchsanordnung inklusive Erklärvideo – und einer großen Wand aus Dämmplatten, die von den fleißigen Mehlwürmern, gelenkt durch die Künstlerin, ein gestaltetes Relief gefressen haben: eines der wohl ungewöhnlichsten Projekte, die das daran nicht arme Schoss Balmoral in seinen 30 Jahren gesehen hat.

Eröffnung am 10. Mai von 17 bis 24 Uhr, freier Eintritt, danach bis zum 18. Mai zu den normalen Öffnungszeiten der Sayner Hütte, Infos, auch zum reichhaltigen Rahmenprogramm, unter www.balmoral.de