Denn bis dahin hatte göttlicher Fluch das Fürstengeschlecht der Atriden ins Mahlwerk der Blutrache getrieben: Vettern, Gatten, Eltern, Kinder mussten Generation um Generation einander erschlagen. Aischylos – der zur Zeit des Übergangs von der Tyrannei zur Frühdemokratie in Griechenland lebte – durchbricht im Schlussteil der „Orestie“ den archaischen Racheautomatismus mit einem Hoffnungsschimmer auf bessere Zeiten: Ein juristischen Prinzipien folgendes Gerichtsverfahren hebt barbarisches Blutrachegesetz und Götterfluch auf.
Endet der Fluch nie?
Die Bonner Inszenierung tut das nicht. Sie versammelt zum Finale vielmehr alle zuvor Ermordeten und ihre Mörder in festlichem Bankettoutfit unserer Tage unter einem riesigen, bedrohlichen Wachturm und lässt sie geschäftsmäßig bis freundlich miteinander parlieren (Kostüme: Bettina Werner und Rabea Stadthaus; Bühne: Jil Bertermann). Will sagen: Es herrscht die feine Gesellschaft. Die Fürsten der Gegenwart aus Business und Politik bestimmen das Reglement des Zusammenlebens nach ihrem Interesse. Und folgerichtig steht am Ende des zweistündigen Theaterabends die Frage: „Endet er nie, der Fluch?“
Damit kommt die Bonner Regie angesichts gegenwärtiger Tendenzen und zweieinhalb Jahrtausenden Zivilisationsentwicklung zu einem weniger optimistischen Schluss als Aischylos. Das ist verständlich und auch legitim. Wie die Inszenierung überhaupt manchen Aspekt des Stückes von heute aus betrachtet und in diesem Sinne auch interpretiert. Womit die Regie quasi den Blickwinkel des hier zweiköpfigen Chores einnimmt. Bernd Braun und Moritz Löwe erzählen im Eingangschor die Vorgeschichte vom Trojanischen Krieg um die schöne Helena, von der Opferung Iphigenies durch ihren Vater Agamemnon zwecks guten Windes für die Griechenflotte. Ihre Erzählung über jene Schrecknisse tragen sie indes schmunzelnd, ja in lockerer Süffisanz vor, als handle es sich um Kinderstreiche mit stets absehbaren Folgen. Diese Haltung behalten beide den ganzen Abend bei, wirken so wie wissend amüsierte Beobachter aus einer anderen Welt und späteren Zeit.
Aus dieser Sicht wird Kassandra zum schwulen Geliebten Agamemnons und ihre Weissagung zum aufgemotzten Hokuspokus. Daniel Breitfelder hält die Seherin in einer bemerkenswerten Balance zwischen augenzwinkernder Komik und ernster Metaphorik. Ähnlich verhält es sich mit dem Agamemnon von Wolfgang Rüter: Die Selbstgefälligkeit seines pathetischen Gestus als heimgekehrter Sieger von Troja führt einen Zug schierer Trotteligkeit mit sich. Beide spielen bisweilen Lachen machende Momente mit ebenso geschicktem Understatement aus wie die zwei Chordarsteller.
Tödliche Vergeltung
Königin Klytaimnestra und ihr Geliebter Aigisth (Christian Czeremnych) ermorden im ersten Teil Agamemnon und Kassandra als Rache für die Opferung Iphigenies und des Königs Treuebruch. Im zweiten Teil üben dann, im Sinne der Blutrache folgerichtig, die Kinder Agamemnons an der Mutter Klytaimnestra tödliche Vergeltung für die Ermordung des Vaters und ihren Treuebruch. Sophie Basse gibt die Königin ausdrucksstark in fast klassischer Tragödenmanier; auch die Geschwister Orest und Elektra (Sören Wunderlich, Sandrin Zenner) sind fast ohne persiflierende Brechungen gezeichnet.
Derart ergibt sich in toto ein Abend, der als Versuch gelten kann, die „Orestie“-Tragödie in von heute aus tragikomisches Licht zu tauchen. Von wenigen mutwillig ausufernden Überzeichnungen abgesehen, ist das ein durchaus interessanter Versuch auf des Messers Schneide zwischen Amüsement und Tiefgang geworden.
Tickets und Termine unter Tel. 0228/ 778.008 sowie unter www.theater-bonn.de