30 Jahre Exzellenzförderung
Die neue Schlossherrin genau zur rechten Zeit
Zwischen 1759 und 1764 ließ der Trierer Erzbischof und Kurfürst Johann Philipp von Walderdorff Schloss Engers als Jagd-, Lust- und Sommerschloss nach Plänen von Johannes Seiz erbauen - vor 30 Jahren wurde es der Landesstiftung Villa Musica Rheinland Pfalz übereignet und ist seitdem ein Haus der Musik.
Claus Ambrosius

Seit 30 Jahren macht die Landesstiftung Villa Musica in Schloss Engers herausragende junge Musikerinnen und Musiker fit für ihre Karriere. Unter ihnen eine Geigerin, die seit dieser Saison Künstlerische Leiterin der Villa Musica ist: Ervis Gega.

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Der Aha-Effekt ist heute für Besucher immer noch derselbe wie vor vielen Jahren. Von welcher Seite man sich Schloss Engers auch nähert – auf einmal liegt es unerwartet in all seiner Pracht vor einem. Ein Juwel von einem Barockschloss, im Vergleich zur umgebenden historischen Bebauung mächtig und den Neuwieder Stadtteil seit der Erbauung zwischen 1759 bis 1762 unverändert dominierend.

Erst beim Näherkommen bemerkt man hörend – nicht immer, aber sehr oft – die Besonderheit dieses Schlosses: Seit 1995 ist es ein Haus der Musik. Nicht durch Willen des Adels oder eines reichen Mäzens, sondern durch den Entschluss der Landesregierung, das Schloss nach einer umfassenden Restaurierung der Landesstiftung Villa Musica zu übereignen. Deren Aufgabe ist seit ihrer Gründung 1986 die Förderung des musikalischen Spitzennachwuchses, vor allem mit Projekten der Kammermusik – und die Veranstaltung von Konzerten.

Seit der Saison 2024/2025 Künstlerische Leiterin der Landesstiftung Villa Musica: die Mainzer Geigenprofessorin Ervis Gega.
Arek Glebocki/Villa Musica

All das geschieht seit 30 Jahren in Schloss Engers konzentriert in der Akademie der Villa Musica  - und das wird Ende Mai mit zwei seit Langem ausverkauften Jubiläumskonzerten im prachtvollen Diana-Saal gefeiert. Eine der Festrednerinnen, die auch selbst mit einer Triobesetzung auftreten wird, kann wie nur wenige Menschen davon berichten, was Schloss Engers für sie und andere Musikerinnen und Musiker bedeutet: Ervis Gega. Vor gut einem Jahr wurde die gebürtige Albanerin, die an der Mainzer Musikhochschule Professorin für Geige ist, als neue Künstlerische Leiterin der Villa Musica von der Saison 2024/2025 an vorgestellt.

Die gemeinsame Geschichte von Erivs Gega und Schloss Engers begann kurz nach dem Stapellauf des Akademiebetriebs vor 30 Jahren: Die junge Geigerin war als Teenager mitsamt ihrer Familie vor den politischen Wirren ihrer albanischen Heimat nach Deutschland geflohen und in Rheinland-Pfalz gelandet. Die außergewöhnliche Begabung der Tochter einer Musikerfamilie wurde rasch erkannt, von 1990 bis 1993 studierte sie beim legendären Geigenprofessor Yfrah Neaman in Mainz, um anschließend ihre Ausbildung in seiner Solistenklasse in London fortzusetzen.

Alles begann mit einer wertvollen Geige

Den Schritt nach England unternahm Gega bereits mit der Villa Musica im Gepäck – genauer gesagt mit einer wertvollen Guarneri-Geige aus der Instrumentensammlung der Kulturstiftung Rheinland-Pfalz. Diese wird von der Villa Musica an außergewöhnlich begabte Nachwuchstalente verliehen. „Das Beste, was einem Interpreten passieren kann“, nennt Gega das heute rückblickend.

Doch bei der Geige sollte es nicht bleiben: Schon bald wurde Ervis Gega reguläre Stipendiatin der Villa Musica und nahm an zahlreichen Kursprojekten der Stiftung teil. Deren einmaliges Kurskonzept hat vielleicht noch niemand so gut erklärt wie Ervis Gega: Sie hatte damals erwartet, von berühmten Professoren in verschiedenen Kammermusikwerken angeleitet zu werden  – und war komplett überrascht, als sie feststellte, dass die Werke sogar  gemeinsam mit den Professoren musiziert und dann auch in den abschließenden Konzerten im ganzen Land aufgeführt werden: „Das ist eine Erfahrung, die einem jungen Künstler ganz neue musikalische Horizonte eröffnen kann“.

Als junge Stipendiatin der Villa Musica hat Ervis Gega Schloss Engers Ende der 90er-Jahre erstmals kennengelernt - heute ist sie Künstlerische Leiterin der Landesstiftung und sozusagen Schlossherrin im barocken Prachtbau.
Arek Glebocki/Villa Musica

Auch nach ihrer Stipendiatenzeit bliebt sie beinahe nahtlos der Villa Musica verbunden. Zunächst als jüngste Dozentin in der Geschichte der Landesstiftung – und als solche unterrichtete sie natürlich immer wieder in Engers. An ihre erste Begegnung mit dem Schloss erinnert sich die heute 51-Jährige noch gut und gern: Sie war gemeinsam mit dem Mainzer Komponisten Volker David Kirchner nach Engers gekommen, wo gerade Vorspiele um die Stipendien liefen.

Das Schloss und sein Diana-Saal: Heute bezeichnet Ervis Gega sie als „Schmuckkästchen“, damals kam ihr all das traumhaft und gigantisch vor. Dazwischen liegen unzählige Konzerte in aller Welt als Solistin – und mehr als 24 Jahre bei der Klassischen Philharmonie Bonn, zunächst als Konzertmeisterin und Solistin, bis sie dem Orchestergründer Heribert Beissel nach seinem Tod 2021 als Künstlerische Leiterin nachfolgte und fortan für die Durchführung einer der größten deutschlandweiten Reihen großer Sinfoniekonzerte verantwortlich war. Dazu noch die Lehrtätigkeit in Mainz, die Gründung einer Familie… Man ahnt, dass Ervis Gega über das musikalische Talent hinaus auch eine überaus effiziente Managerin sein muss.

Retterin in der Not

Nichts weniger als eine Kombination all dieser Fähigkeiten brauchte es auch für die Villa Musica, denn in Mainz wurde nicht weniger als ein Retter in der Not gesucht. Die Landesstiftung hatte über bald 40 Jahre hinweg zwar unablässig ihre Aufgaben verfolgt und fleißig bis zu 140 Konzerte pro Saison im ganzen Bundesland veranstaltet – doch nach der Insolvenz der stiftungseigenen Schloss Engers GmbH, die für den Hotel- und Gastronomiebetrieb zuständig war, im Juli 2022 und den folgenden Rechtsstreit darüber war der Ruf der Landesstiftung angeschlagen.

Welche neue Leitungsperson würde aus diesem Stimmungstief heraushelfen? Viele Namen waren im Spiel - ausgewählt wurde Ervis Gega, die sich schon mit der Veröffentlichung des ersten von ihr erstellten Saisonprogramms nicht etwa als stromlinienförmige Lösung „aus Hausmitteln“ erwies, sondern als kühne Visionärin. Das stellte schon das mit internationalen Stars gespickte Eröffnungskonzert der Saison klar, bei dem sich mit Marc Bouchkov (Geige), dem Bratschisten Adrien La Marca, dem Cello-Überflieger Kian Soltani und dem Gitarristen Petrit Çeku einige der prominentesten neuen Villa-Dozenten in einem spektakulären Abend vorstellten.

Viele neue Chancen für die Stipendiaten

Seitdem ging es Schlag auf Schlag: Gleich nach Saisonbeginn wurde ein von Ervis Gega initiiertes Orchesternetzwerk aus der Taufe gehoben, durch das Villa-Musica-Talente künftig solistisch mit einer Handvoll großer Sinfonieorchester auftreten werden – darunter die drei großen Landesorchester in Koblenz, Mainz und Ludwigshafen. Die Konzertreihe im Arp Museum Bahnhof Rolandseck, die vor fünf Jahren von der Villa Musica übernommen wurde, ist durch eine deutliche Aufwertung mit Nachdruck in die Wahrnehmung auch des Bonner Publikums zurückgekehrt und nun regelmäßig ausverkauft. Ebenfalls mit Gegas Amtsantritt wurden neue Ausbildungsmodule eingeführt, die von der musikwissenschaftlichen Einführung aller Kurse bis zum individuellen Karrierecoaching reichen. Letzteres folgt der Überzeugung Gegas, dass sich Musiker heute viel flexibler in ihrem Karriereweg zeigen müssen – und auch in Sachen Selbstvermarktung etwa über die Sozialen Netzwerke stark gefordert sind.

Noch einige solcher neuen Projekte hat Ervis Gega für die kommenden Spielzeiten vorbereitet - welche, will sie noch nicht verraten. Dass sie sich der Villa Musica nach der ersten Saison, die passend unter dem Motto „Aufbruch“ stand, mit noch mehr Nachdruck will, zeigt ihre jüngste Entscheidung: Im vergangenen Monat hat sie ihre überaus erfolgreiche Tätigkeit bei der Klassischen Philharmonie Bonn beendet. „Beides mit voller Kraft – das geht nicht“, antwortet sie auf die Frage nach den Gründen. Was sie macht, will sie richtig machen – und so war die Verpflichtung nach Rheinland-Pfalz für sie ebenso der rechte Schritt zur richtigen Zeit, wie sie Künstlerische Leiterin für die Villa Musica ein Volltreffer und für Engers die ideale „Schlossherrin“ zur rechten Zeit ist.