Schauspiel Regisseur Matthias Fontheim liest im Klassiker von Anton Tschechow viel über Konflikte unserer Gegenwart
"Die Möwe": Von wegen langweilig
Die Möwe, die Kostja (Ian McMillan) geschossen hat, soll ein Sinnbild für Aufbruch und Freiheit sein. In Anton Tschechows Stück bleibt allerdings vor allem die Sehnsucht danach. Foto: Theater Koblenz/Baus
frei/Matthias Ba

Koblenz. Bei Anton Tschechow, da passiert doch nichts. Langeweile und Stillstand prägen seine Stücke: Regisseur Matthias Fontheim braucht im Vorgespräch zu seiner neuen Schauspielinszenierung am Theater Koblenz nicht lange, bis er auf die Vorurteile zu sprechen kommt, die dem Werk des russischen Dramatikers und Schriftsteller häufig entgegenstehen. „Langeweile, Stillstand in der Handlung – das sind alles Klischees“, sagt er, der gerade mitten in den Proben zum Schauspiel „Die Möwe“ steckt.

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Von unserer Redakteurin Anke Mersmann

Er lobt das Werk vielmehr als ungemein vielschichtig und thematisch vielseitig: „Kunst, Kultur, Theater, familiäre und private Verstrickungen und Beziehungen, Natur, Weltgeschehen, Überleben im Alltag, Hierarchien: Da steckt so viel drin, dass ich ,Die Möwe' als sehr lebendige und kraftvolle Beschreibung von Welt verstehe, die nach wie vor Bestand hat“, erklärt Fontheim. Das, was Tschechow im 19. Jahrhundert niedergeschrieben habe, wie er Figuren samt ihren Probleme und Sehnsüchten charakterisiere, sei sehr gut übertragbar auf unsere Gegenwart, denn: „Es sind menschliche Konflikte, aus denen heraus all unsere heutigen Probleme der Welt entstehen. Trump, Putin, Assad und wie sie alle heißen, sind auch nur Menschen. Nur sitzen die an den Knöpfen und in Machtpositionen.“

Wer den Regisseur, der zum zweiten Mal als Gast am Theater Koblenz arbeitet, so reden hört, könnte meinen, er möchte mit seiner Inszenierung Tschechows „Möwe“ mit aller Macht als brandaktuelle Position zur globalen Politik und humanitären Krisen auf die Bühne bringen – dem ist aber nicht so. Wenn Fontheim von der Sinnfälligkeit des Stücks für unsere Tage spricht, ist das seine Interpretation beziehungsweise hofft er, diese Transferleistung bei seinen Zuschauern erwirken zu können. Mit dem Schauspiel, mit seiner Inszenierung will er allerdings nah am Stück bleiben und über eine sehr genaue, feinfühlige Figurenzeichnung dem Autor, dem Werk und seiner Gültigkeit für unsere Tage gerecht werden.

„Bei den Figuren setzen wir an, über sie entsteht die thematische Vielfalt von Szene zu Szene“, meint Fontheim und spricht davon, dass Stimmungen und Gefühle der Charaktere sehr häufig und sehr abrupt wechseln. „Das führt zu extremen, berührenden, gefährlichen und absurden Begegnungen der Figuren untereinander – und meine Aufgabe als Regisseur ist es, in der Replik sehr genau darauf zu schauen und herauszukristallisieren, was dieser Wandel für das Miteinander der Figuren, ihre Verfassung und die jeweilige Situation bedeutet“, sagt Fontheim. Kurzum: Von Satz zu Satz, von Szene zu Szene geschehe etwas auf zwischenmenschlicher Eben in der „Möwe“. „Deshalb finde ich dieses Stück so unglaublich handlungsintensiv – auch wenn die Oberfläche manchmal anderes vermuten lässt“, meint der Regisseur.

Für ihn ist es bereits das dritte Mal, dass er unter diese Oberfläche der „Möwe“ vorstößt. 2003 inszenierte er das Stück in Graz, 2009 am Staatstheater Mainz, das er zu jener Zeit als Intendant leitete. Als er gefragt wurde, ob er das Stück für Koblenz ein drittes Mal auf die Bühne bringen möchte, hatte er kurz überlegen müssen, ob er dazu bereit ist. „Eine solche Situation, ein Stück dreimal zu inszenieren, habe ich noch nie gehabt. Aber ich habe dann nur einmal kurz in den Text gesehen und war sofort dafür, weil das Stück so großartig ist.“ Ein Kosmos sei es geradezu, in dem sich immer wieder Neues entdecken lasse und weshalb auch nicht die Gefahr bestehe, sich mit einer Regiearbeit zu wiederholen. „Das hat auch mit Entwicklung zu tun, damit, wie sich mein Leben verändert. Ich verstehe das Stück dadurch anders, die Sicht auf die Figuren verändert sich, also kann ich mich auch anders damit auseinandersetzen, als ich es vielleicht vor einigen Jahren tat“, meint er. Stillstand gibt es also auch bei ihm nicht.

Die Handlung
Die Schauspielerin Arkadina verbringt den Sommer auf dem Landgut ihres Bruders Sorin. Sie hat ihren Liebhaber dabei, den Schriftsteller Trigorin. Arkadinas Sohn Kostja, angehender Schriftsteller, hat die Gesellschaft zur Uraufführung seines Theaterstücks geladen, das allerdings durchfällt. Für die Hauptrolle hat Kostja Nina vorgesehen, in die er verliebt ist. Nina scheint sich mehr für Trigorin zu interessieren, der aus der Gesellschaft der jungen Frau Inspiration für eine kleine Erzählung schöpft – Motiv für die junge Nina ist dabei eine von Kostja geschossene Möwe, Sinnbild für Aufbruch, Freiheit, Entfaltung. Wie Kostja leiden auch die anderen Figuren in Tschechows Komödie an ihrem missglückten Leben, ihrer unerfüllten Sehnsucht und ihrer vergeblichen Liebe.

Das Leitungsteam
Inszenierung: Matthias Fontheim
Bühne und Kostüme: Stefan Heyne
Dramaturgie: Juliane Wulfgramm

Die Darsteller
Raphaela Crossey, Magdalena Pircher, Ksch. Tatjana Hölbing, Lisa Heinrici, Christof Maria Kaiser, Ian McMillan, Marcus Mislin, Jona Mues, David Prosenc, Reinhard Riecke

Die Premiere findet am Samstag, 13. Mai, um 19.30 Uhr im Großen Haus statt. Es gibt noch Karten, Tickets unter Telefon 0261/129 28 40 sowie unter www.theater-koblenz.de