Bühne Schauspiel am Theater Koblenz changiert zwischen altem und neuem Stil, feinen Nuancen und grobem Geschrei
"Die Möwe": Ein Abend der Gegensätze
Sehnsucht, Frust und Wut sind die Gefühle, die die Figuren wie Nina (Magdalena Pircher) und Kostja (Ian McMillan) in Antons Tschechows Stück „Die Möwe“ antreiben. Foto: Theater Koblenz/Baus
Baus

Koblenz. Der frühere Intendant des Mainzer Staattheaters, Matthias Fontheim, hat am Theater Koblenz Anton Tschechows Klassiker „Die Möwe” inszeniert. Bei der Premiere gab es jetzt kräftigen Applaus – der allerdings ein bisschen darüber hinwegtäuscht, dass man während der zweidreiviertel Stunden auch hin- und hergerissen sein konnte. Denn zu sehen sind interessante Regieideen und einige große Spielmomente, jedoch eingebunden in viele Passagen eines Theaterstils, der im Stück ausdrücklich kritisiert wird: haltloses Geschrei und Gehabe.

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„Die Möwe” ist ein häufig gespieltes Werk, doch wurde es von den Theatern ringsum selten so aufgegriffen wie von Tschechow 1896 ausgewiesen: als Komödie. Meist überwogen die tragischen Implikationen der Story über eine Gesellschaft, die sich zu Tode langweilt während der Sommerfrische auf einem Gut in der russischen Provinz. Es stoßen die großstädtische Theaterdiva Arkadina nebst ihrem Liebhaber, dem erfolgreichen Schriftsteller Trigorin, auf Ortsansässige, die in der Weite und zugleich Enge ihres Lebensraumes versauern.

Durch und durch doppelbödig

Hier treffen selbstzufriedene wie selbstsüchtige Alte auf von Veränderung träumende Junge. Hier wandeln Frustrationen mannigfach auf dem vermeintlichen Ausweg der Liebe – die jedoch stets genau den Falschen gilt und nur neues Elend gebiert. Mag sein, die komischen Komponenten erschließen sich heute nur noch bedingt. Oder aber: Mancher Theatermacher kann sich nicht zu jenem diffizil Filigranen durchringen, das für die Darstellung der tragikomischen Doppelbödigkeit beim Tschechows Personal nötig wäre.

Fontheims Regie geht einen Zwischenweg. Sie greift kräftig ins Textoriginal ein, um die Protagonisten hinreichend heutiges Alltagsidiom sprechen zu lassen. Das passt zu den Kostümen von Ausstatter Stefan Heyne, die aus Kaufhäusern um die Ecke stammen könnten. Damit ist das Stück um 120 Jahre von seiner Entstehungszeit hinweg in die Gegenwart gezogen und greift in Koblenz die aus Mainz für Fontheim bekannte quasirealistische, bisweilen schnoddrige Sprechweise auf. Mit der ist das Ensemble indes kaum vertraut, weshalb sich immer wieder der hierorts gepflegte Stil eines, sagen wir, modernisierten Naturalismus durchdrückt.

Manchmal passt das recht gut, weil das Stück auch den Gegensatz zwischen altbackenem und neuem Theater zum Thema hat. Wenn Raphaela Crossey als Arkadina tobt, brüllt, sich die Kleider vom Leibe reißt und am Boden wälzt, um den abspenstig werdenden Geliebten kirre zu machen, kann das in dieser Überspanntheit nur als gespieltes Theater der alten Art gedeutet werden. Wobei alte Art nun meint: der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts modern gewordene (und gewesene), lautstark brachiale Seelenstriptease.

Der schönste Gegensatz dazu ist eine Szene, in der Magdalena Pircher als Backfisch Nina und Jona Mues in der Rolle des schüchternen, in sich gekehrten Erfolgsautors Trigorin einander näherkommen. Das sind leise, dichte, sehr fein nuancierte Minuten, in denen das Mädchen ihr Schwärmen für den Star als Vorbild eigener Ambitionen auf eine Karriere als Jungschauspielerin anklingen lässt. Mues wiederum bremst den seinem Spiel stets eigenen Zynismus so weit herunter, dass offen bleibt, ob Trigorins Bescheidenheit und Selbstzweifel echt sind oder nur ein Trick, die Maid zu verführen.

Zunehmend düster

Will Fontheim dies als neues Theater verstanden wissen? Wohl eher nicht, dafür kapriziert sich die Regie doch über allzu weite Strecken auf Eskalationen hin zu aggressivem Toben und Schreien. Ian McMillan etwa hängt als Kostja in der Dauerschleife des demonstrativ ewig zornigen und verzweifelten Tragöden fest. Der Abend wird in seinem Verlauf immer düsterer. Erst fällt Zug um Zug das Horizontprospekt einer malerischen Landschaft mit See. Nach der Pause hat sich jedwede Lebens- wie auch Theaterillusion verflüchtigt: Man spielt auf nackter, roher Bühne; das ganze Ensemble nun mit jenem tristen Schwarz gekleidet, in dem Lisa Heinrici (Mascha) schon zuvor die personifizierte Erduldung der Hoffnungslosigkeit gegeben hat.

Tschechow sah die alte Lebensart des zaristischen Russland an ihrem Ende angekommen, in Koblenz wird diese Sicht auf die heutige Weltgesellschaft übertragen. Doch während der Stückeschreiber in der Erwartung von etwas nachfolgend Besserem noch schmunzeln konnte, überwiegen bei Fontheim Wut und Hoffnungslosigkeit.

Eintrittskarten und weitere Infos unter Telefon 0261/129 28 40

Von unserem Autor Andreas Pecht