Mittelrhein-Museum rückt den Koblenzer Verleger und Tourismuswegbereiter ins Zentrum einer neuen Kabinettausstellung
Die Kunst des Reisens: Mittelrhein-Museum zeigt Schau zu Karl Baedeker
Karl Baedeker steht im Zentrum der neuen Ausstellung im Mittelrhein-Museum. Neben historischen Reiseführern des Verlegers und Objekten aus dessen Nachlass sind dabei auch Arbeiten von Künstlern zu sehen, die ihre Eindrücke in der Fremde im Bild festhielten, darunter etwa Ernst Toepfers „Maler am Strand von Visby“ (1910). Foto: Mittelrhein-Museum
MRM

Koblenz. Das Thema Reisen ist dieser Tage wohl so aktuell wie selten: Die Corona-Inzidenzen sind rückläufig, monatelange Lockdowns (vorerst) passé, wodurch sich den nach Urlaub Dürstenden wiederum die Möglichkeit bietet, ihrem Fernweh nach langem Verzicht nun endlich wieder nachzugeben. Insofern passt es ganz gut ins Bild, dass das Koblenzer Mittelrhein-Museum (MRM) sich genau dieses Aspekts in seiner neuen Ausstellung annimmt: „In Bildern durch Europa. Mit Karl Baedeker durch die Sammlung des Mittelrhein-Museums“ heißt der Titel der Schau, die von diesem Freitag, 18. Juni, an im Romanticum am Zentralplatz zu sehen ist.

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Im Fokus steht dabei ebenjener Koblenzer Verleger (1801–1859), der als einer der Urväter des Reiseführers den Weg mit bereitete für heutige Formen des (Massen-)Tourismus. „Baedeker hat vielfach Standards gesetzt, er war beispielsweise der Erste, der Stadtpläne und Karten in seine Publikationen integrierte“, erklärt MRM-Sammlungsleiterin Claudia Heitmann, die die Schau gemeinsam mit Barbara Koelges vom Landesbibliothekszentrum (LBZ) Rheinland-Pfalz kuratiert. Der Tourismuspionier, in Essen geboren, gründete 1827 in Koblenz eine Verlagsbuchhandlung und gab dort ab 1835 Reiseführer heraus, die international bald zum Inbegriff der Fachliteratur wurden. Mit genauen Beschreibungen von Land und Leuten sowie ständig aktualisierten Informationen zu Fahrplänen oder Unterkünften begleiteten die kleinen roten Bücher Reisende fortan nach Ägypten ebenso wie in die Alpen oder nach Italien.

„Baedeker“, sagt Heitmann, „hat sich sehr genau überlegt, was die Menschen interessieren könnte. Er hatte die Vision, seine Reiseführer für möglichst viele zu schreiben, gleichzeitig aber auch den Anspruch, damit vor allem das gebildete Bürgertum anzusprechen. Die Veröffentlichungen waren mit einem klaren Bildungsauftrag versehen.“ Was sich nicht zuletzt auch in der detailreichen Aufbereitung der Bücher widerspiegelt: „Sie sind praktisch und nicht zu speziell, gehen in ihrer Beschreibung, etwa von Architektur oder Pflanzenwelt, allerdings auch unheimlich in die Tiefe“, betont Barbara Koelges. So habe Baedeker seine Veröffentlichungen beispielsweise immer wieder um Korrekturbemerkungen ergänzt, habe neue Erkenntnisstände einfließen lassen. Ein Beispiel hierfür: „Bei einem Bauwerk in Ägypten hat er zunächst sehr genau dessen Substanz beschrieben und später dann in einer überarbeiteten Fassung noch nachgetragen, aus welchem Steinbruch das verwendete Gestein stammte.“

Wobei Baedeker längst nicht nur in Sachen Architektur eine bemerkenswerte Detailliebe an den Tag legte: In seinen Reiseführern bewertete der Verleger auch Hotels und Restaurants, gab Tipps zu geeigneten Unterkünften oder angemessenem Trinkgeld, riet Italienreisenden nebenbei dazu, sich vorab in der fremden Sprache zu üben, da ansonsten unweigerlich höhere Preise drohten – und fügte seinen Büchern zu diesem Zweck gleich noch einen Sprachführer bei. Auch das war in der damaligen Zeit revolutionär.

„Baedeker“, sagt Koelges, „wollte mit seinen Publikationen vor allem auch die teuren Fremdenführer, von denen man zuvor mehr oder weniger abhängig war, überflüssig machen. Das war sein erklärtes Ziel.“ Ländliche Regionen habe er hierzu etwa grundsätzlich selbst erwandert, um in der Folge minutiöse Angaben fertigen zu können über die für die Strecke benötigte Zeit oder empfehlenswerte Rastgelegenheiten.

Womit sich über Baedeker in der Ausstellung schließlich schrittweise das Bild eines Menschen zusammenfügt, der, selbst begeisterter Reisender, in seinen Veröffentlichungen Genauigkeit und Aktualität zur obersten Grundregel erhob und seine Unternehmungen stets mit viel Leidenschaft und Akribie vorantrieb. Untermalt wird das in der Schau etwa durch historische Baedeker-Ausgaben, Reisetagebücher sowie einzelne Objekte, darunter Wanderstöcke oder Taschen, aus dem vom LBZ verwalteten Familiennachlass. Spannende Exponate, die zudem noch um Arbeiten von Künstlern ergänzt werden, die zwischen 1837 und 1956 selbst auf Reisen gingen und ihre Eindrücke im Bild festhielten. „Wir haben, ausgehend von der Literatur Baedekers, Werke aus der MRM-Sammlung ausgewählt, die typische Destinationen aus dem 19. sowie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts abbilden“, erklärt Heitmann – und damit aus einer Zeit, in der das Reisen auch durch das Aufkommen der Eisenbahn allmählich für immer breitere Bevölkerungsschichten möglich wurde.

In der Schau schreitet der Besucher somit – nach Regionen geordnet – von Nord nach Süd, vom schwedischen Gotland über Deutschland und die Alpenregion bis nach Frankreich und Italien. Das Ziel, betont Koelges, sei, „Bilder und Texte in einen Dialog zu setzen“, in eine „korrespondierende inhaltliche Verknüpfung“, in der die Kunstwerke das zeigen, was Baedeker in seinen Reiseführern beschreibt – und umgekehrt.

Dabei finden sich in den Abbildungen neben erwartbaren Sehnsuchtsorten wie Pompeji oder dem Forum Romanum durchaus auch solche, mit denen man – zumindest in jener Zeit – nicht unbedingt gerechnet hätte. Skandinavien etwa, das Ende des 19. Jahrhunderts infolge der Norwegenliebe Kaiser Wilhelms II. auch in der einfachen Bevölkerung zu einer der beliebtesten Urlaubsadressen avancierte. Der Monarch machte sich damals an Bord der „Hohenzollern“ regelmäßig auf in die nordische Fjordlandschaft und zog – quasi im Schlepptau – bald auch begeisterte Touristen mit. „Besonders beliebt“, sagt Heitmann, „waren Schifffahrten, auf denen man hoffte, den Weg des Kaisers zu kreuzen. Die waren meist innerhalb kürzester Zeit ausgebucht.“

Die Ausstellung ist bis zum 5. September zu sehen, dienstags bis sonntags jeweils von 10 bis 18 Uhr.

Von unserem Redakteur Stefan Schalles