Ausstellung im Ludwig Museum
Die Kunst des kritischen Humors
Unter dem Titel "Es war einmal" präsentiert das Koblenzer Ludwig Museum Arbeiten des früheren Künstlerkollektivs um Rainer Gross, Manfred Boecker und Wolfgang Niedecken. Der oft humorige Unterton findet sich dabei auch in der Arbeit "Sau-er-Bier", in der ein doppletes Bilderrätsel versteckt ist.
Stefan Schalles

Vor den ironischen Kommentierungen von Manfred Boecker, Rainer Gross und Wolfgang Niedecken ist niemand sicher. In den 70ern nehmen sie in ihrer Kunst Gesellschaft und Kreativbetrieb aufs Korn. Das Ludwig Museum zeigt ihre Arbeiten nun in Koblenz.

Rund um Lehmbrucks Gestürzten wird es plötzlich bunt an den weißen Wänden, konterkarieren deplatziert wirkende Motive den in Verzweiflung zusammengesunkenen Körper. Eine Sau ist dort zu sehen, daneben der knallig rote Schriftzug „ER“, weiter rechts zudem ein der Werbung entlehntes Bierglas: Sauerbier also, klar doch. In den Zwischentönen allerdings gleich noch ein weiteres Bilderrätsel: ein in Ozeanblau gemaltes Auge (Englisch: „eye“, gesprochen wie „I“), gefolgt von Herz, „U“ und Hirsch („deer“) – ergibt in Kombination „I love you, dear“, „Ich liebe dich, meine Liebe“.

Wer etwas über die neue Ausstellung im Koblenzer Ludwig Museum erfahren möchte, über deren künstlerische Grundstimmung, muss eigentlich nur das soeben beschriebene Werk zurate ziehen – und befindet sich bereits auf dem rechten Weg der Erkenntnis, denn: Was Rainer Gross und Manfred Boecker hier exemplarisch zeigen, ist im Allgemeinen so etwas wie der Wesenskern jenes Künstlerkollektivs, das die beiden Anfang der 70er-Jahre mit dem späteren BAP-Frontmann Wolfgang Niedecken ins Leben riefen. Im Studium an den Kölner Werkschulen traf das Trio erstmals aufeinander, fühlte sich in der gemeinsamen Ablehnung gegenüber Kunstbetrieb und (spieß-)bürgerlicher Gesellschaft schnell vereint – und wirkte in der Folge ein knappes Jahrzehnt im kreativen Zusammenspiel.

Gezeigt werden in der Ausstellung auch Wolfgang Niedeckens mit Schokolade und Pralinen verzierte "Golgatha"-Kreuze, benannt nach jenem Hügel, auf dem Jesus der Bibel zufolge gekreuzigt worden sein soll.
Stefan Schalles

„Sowohl den Museen als auch der dagegen gerichteten Fluxus-Bewegung“, erzählt Gross heute, „fehlte in unseren Augen die Leichtigkeit. Das wirkte alles sehr ernsthaft, auch aufgesetzt, wohingegen wir eigentlich mehr auf Spaß aus waren, mit Humor arbeiten wollten.“ Wie eben in jenem collageartigen Acrylgemälde „Sau-er-Bier“ aus den Jahren 1978/1986.

Die Gemeinschaftskunst des Kollektivs, sie ist in ihrer Vielfalt schwer zu greifen – und gerade deshalb angenehm anregend –, zeigt sich zwischen den im Raum schwebenden XXL-Salzstangen Manfred Boeckers und den mit Pralinen befüllten „Golgatha“-Kreuzen Wolfgang Niedeckens auch stilistisch überaus wandelbar. Und im Ansatz stets experimentierfreudig. Nichts wird so richtig ernst genommen in den Arbeiten, ironische Reflexe auf Kunstmarkt und Gesellschaft lassen sich aus dem Gezeigten verlässlich herauslesen. Wobei auch immer wieder Zeitkritisches mitschwingt, etwa, wenn Niedecken in einer Collage aus dem Jahr 1973 Fotos von Frauen in Unterwäsche zeigt und diese flankiert mit Zitatschnipseln zur weiblichen Erwerbsrealität zwischen stupider Fließbandarbeit und dogmatischer Unterbezahlung.

Frontalangriff aufs Spießertum

Während die Frau hier also in der gängigen Wahrnehmung vieler Zeitgenossen präsentiert wird – ungeeignet für geistig anspruchsvolle Aufgaben, dafür umso prädestinierter als Lustobjekt –, setzt sich Gross einige Meter weiter auf seine Art mit dem Überkommenen auseinander: Für seine erste große Einzelausstellung in Lausanne rückte er 1984 Jacques Sablets (1749–1803) Porträt „Der Maler in seinem Atelier mit seinen Eltern“ zu Leibe. „Ich fand das Bild sehr übertrieben“, erklärt Gross rückblickend. „Vor allem die Art, wie sich Sablet darauf als Künstlerfürst inszeniert.“ 

Also griff der Kölner kurzerhand korrigierend ein, ergänzte die drei Personen des Originals um die gleiche Anzahl aufgeklebter Puppenbilder, die er zuvor in der Stadt erworben hatte, malte drumherum noch den Genfer See vor idyllischer Bergkulisse, eine einsame Ente neben blutroten Wellen, für Sablet und dessen Eltern zudem noch ein paar grell leuchtende Puppenbäckchen. Und fertig war der nächste Frontalangriff auf die empfundene Spießigkeit, der im Übrigen auch ein weiteres Charakteristikum des Künstlerkollektivs offenlegt.

Das Originalporträt Jacques Sablets ergänzte Rainer Gross in dieser Mehrfachcollage (links) überaus einfallsreich um weitere Elemente. Rechts ist seine Arbeit "Louisville Slugger" (1976/77) zu sehen.
Stefan Schalles

Denn: Das – oft fotorealistische – Spiel mit Original und kopierten Fragmenten, deren malerische Erweiterung und (spöttische) Kommentierung prägt einen Großteil der Arbeiten des Trios. Mal werden die reduzierten Formen des Visionärs der bildlichen Abstraktion, Piet Mondrian, um Pin-up-ähnliche Fotos von Frauen in Bademode erweitert, dann wieder Artikel aus Zeitschriften nachempfunden, in denen das Bild von Schauspielstar und Sexsymbol Jane Russell plötzlich oberhalb der eigens konstruierten Überschrift „Irgend etwas im Kleid selbst“ auftaucht.

Dabei geht es keineswegs ausschließlich (medien-)kritisch zu. Manchmal sind es auch einfach nur Tapetenmotive, die Manfred Boecker von Cowboy- bis Jagdsymbolik auf die Leinwand aufträgt, oder Niedeckens „Hundertmohl“ betitelte Polaroidsammlung von 100 Orten, an denen er mit BAP (und Manfred Boecker) zwischen 1981 und 1992 auf der Bühne stand.

Die "Wunschbilder" malten Manfred Boecker und Wolfgang Niedecken auf Vorschlag der Rezipienten. Entsprechend breit ist die Palette der entstandenen Motive.
Stefan Schalles

Rainer Gross wiederum lebte zu dieser Zeit bereits in den USA: 1973 war er dem US-Maler Howard Kanovitz nach New York gefolgt, wo er in den ersten Jahren vor allem mit Larry Rivers zusammenarbeitete – und bis heute als Künstler lebt. Niedecken und Boecker hingegen entschieden sich mit der BAP-Gründung für eine musikalische Karriere und waren mit dieser bekanntermaßen nicht weniger erfolgreich. „Wir haben neben der Kunst zunächst auch noch gemeinsam gespielt, Rock und Punkrock, vor allem auf Partys“, erzählt Gross, „und irgendwann hat sich dann eben jeder für sein Ding entschieden.“

Was ihrer Freundschaft allerdings keinen Abbruch tat: „Wir haben über all die Jahre den Kontakt gehalten und treffen uns heute immer noch regelmäßig“, betont Gross, der aus den Staaten schließlich auch die beiden folgenden Projekte verfolgte: Die „Tagesbilder“ (1979), auf denen Boecker und Niedecken ein Jahr lang – und nicht selten gewürzt mit einer guten Portion Ironie – ihre täglichen Eindrücke verarbeiteten. 1977 zudem auch die „Wunschbilder“, bei denen die beiden Künstler weniger persönlich, sondern vielmehr als Dienstleister in Erscheinung traten, auf Vorschlag der Rezipienten mal Kinderporträts oder postkartentaugliche Schlösser malten, mal nackte Damen in den Meeresfluten oder einfach nur das „Bild“-Logo.

Was Kunst (sein) kann

Was ist Kunst? Und welchen (gesellschaftlichen) Wert besitzt sie? Solche Fragen schweben über diesen und vielen weiteren Arbeiten der Ausstellung. Und obgleich es eine abschließende Antwort hierauf vermutlich nie geben wird, zeigen Boecker, Gross und Niedecken doch sehr eindrucksvoll, was sie sein kann, die Kunst – und das ist in diesem konkreten Fall vor allem eines: oft ganz anders, als man denkt.

Die Ausstellung „Es war einmal. Vill passiert sickher. Manfred Boecker, Rainer Gross, Wolfgang Niedecken“ wird im Ludwig Museum an diesem Sonntag, 9. März, um 11 Uhr in Anwesenheit der Künstler eröffnet. Ihre Arbeiten sind dort in der Folge bis zum 18. Mai zu sehen. Weitere Infos auch unter www.ludwigmuseum.org