Der neue Roman von Erfolgsautorin Raphaela Edelbauer wirkt an vielen Stellen überdreht - Lesung bei GanzOhr
„Die Inkommensurablen“: Raphaela Edelbauers neuer Roman wirkt an vielen Stellen maßlos – Lesung bei GanzOhr
Shortlist Deutscher Buchpreis 2019 - Raphaela Edelbauer
Ist mit ihrem neuen Roman am Donnerstag, 30. März, beim Koblenzer GanzOhr-Festival zu Gast: Raphaela Edelbauer.
Frank Rumpenhorst. Frank Rumpenhorst/picture allian

Raphaela Edelbauer darf zu Recht als eine der Senkrechtstarterinnen des deutschsprachigen Literaturbetriebs betitelt werden: Ihr Debütroman „Das flüssige Land“ brachte der in Wien geborenen Autorin 2019 gleich eine Nominierung für den Deutschen Buchpreis ein; mit dem darauffolgenden Science-Fiction-Epos „Dave“ gewann sie 2021 wiederum das österreichische Pendant. Große Erwartungen ruhten daher auch auf ihrem neuen Roman „Die Inkommensurablen“. Doch die erfüllt Edelbauer nur in Teilen.

Shortlist Deutscher Buchpreis 2019 - Raphaela Edelbauer
Ist mit ihrem neuen Roman am Donnerstag, 30. März, beim Koblenzer GanzOhr-Festival zu Gast: Raphaela Edelbauer.
Frank Rumpenhorst. Frank Rumpenhorst/picture allian

Das Anfang des Jahres erschienene Werk, mit dem die Autorin nun auch beim Koblenzer GanzOhr-Festival zu Gast ist, entführt den Leser ins Wien am Vorabend des Ersten Weltkriegs: Es ist der 31. Juli 1914, der Tag der österreichischen Generalmobilmachung. Die Habsburgermetropole ist in Aufruhr, Tausende strömen in die Kasernen – keine 24 Stunden später wird sich mit der deutschen Kriegserklärung an Russland der große Weltenbrand entzünden.

In diesem von Abenteuerlust und Ausschweifungen befeuerten Chaos lässt Edelbauer vier Charaktere aufeinandertreffen, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Da wäre zum einen der Adelige Adam Jesensky, der auf Wunsch des Vaters zu den Waffen greift, zum anderen Klara Nemec, die aus ärmlichsten Verhältnissen stammt und dank der finanziellen Unterstützung der Psychoanalytikerin Helene Cheresch ein Mathematikstudium absolviert.

Streifzug durch den Untergrund

Letztgenannte sucht an besagtem Julitag auch Hans Ranftler auf, der eigens vom Land in die ihn überwältigende Metropole gereist ist, um von Cheresch eine Bewertung seiner mentalen Verfasstheit einzuholen: Der 17-jährige Pferdeknecht nämlich scheint mit übersinnlichen Fähigkeiten bedacht, denkt Dinge, die andere Menschen kurz darauf aussprechen.

Über die Analytikerin finden Klara, Hans und Adam schließlich zusammen, freunden sich an, streifen an der Trennstelle zwischen Krieg und Frieden gemeinsam durch den Wiener Untergrund, in dem sich im Angesicht des bevorstehenden Waffengangs ein babylonesker Moralverfall Bahn bricht.

Ich wollte differenzierte Figuren, die auch aus sehr intelligenten Erwägungen oder auch Notlagen in den Krieg einrückten.

Raphaela Edelbauer

In der Entwicklung der Handlung geht es Edelbauer dabei vor allem um das detaillierte Porträt eines zeitgeschichtlichen Moments, der Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen und Absichten in die Hauptstadt der bereits bröckelnden K.u.K-Monarchie treibt – eine heterogene Masse, inkommensurabel, also nicht auf ein gemeinsames Maß zu bringen, wie die in Stellvertretung entworfenen Protagonisten selbst. „Ich wollte differenzierte Figuren, die auch aus sehr intelligenten Erwägungen oder auch Notlagen in den Krieg einrückten in manchen Bereichen, wo man es nicht erwarten würde“, erklärte Edelbauer jüngst im Interview mit der FAZ.

Ein Konzept, das in den Grundzügen durchaus aufgeht, bei genauerer Betrachtung allerdings zahlreiche Schwächen aufweist, die man von Edelbauer in dieser Form bislang nicht gewohnt war: Wenn sich Klara, Hans und Adam – trotz ihrer konträren Lebenswelten – etwa von jetzt auf gleich anfreunden, wirkt das ebenso konstruiert wie die Tatsache, dass die drei in dem sie umgebenden Wahnsinn immer wieder Gelegenheit finden für verträumte Diskussionen über Philosophie oder Mathematik.

Raphaela Edelbauers „Die Inkommensurablen“
Klett-Cotta

Noch schwerer aber wiegt die sprachliche Überdrehtheit, die vor allem in den Dialogen durchschlägt: An Eloquenz mangelt es den Inkommensurablen kaum – unabhängig von deren Herkunft oder Bildungsstand –, alle sprechen geistreich und gekünstelt, als habe die Autorin – an deren sprachlichen Fähigkeiten im Übrigen gar kein Zweifel besteht – mit der Brechstange versucht, das Unwirkliche des Moments auch in den Gesprächen abzubilden – was am Ende leider vor allem dem Buchtitel gerecht wird, oft maßlos wirkt.

Wobei man den Eindruck ohnehin kaum loswird, dass Edelbauer an manchen Stellen schlichtweg zu viel wollte, auch inhaltlich einiges auffährt in diesem zweifelsfrei gut recherchierten Roman, der den Leser jedoch zwischen Klassenkampf und Musiktheorie immer wieder überfrachtet mit einem Kaleidoskop verschiedenster Themen.

Den – zugegebenermaßen – recht hohen Erwartungen an ihr neues Werk wird Edelbauer somit nur in Teilen gerecht – und doch ist das Buch keines, das verschmäht gehört, nicht zuletzt auch wegen des spannenden historischen Kontexts, in den die Autorin ihre Geschichte bettet. Ausdauer aber sollte der Leser schon mitbringen – ebenso wie ein gewisses Maß an Leidensfähigkeit.

Raphaela Edelbauer: „Die Inkommensurablen“, Klett-Cotta, 352 Seiten, 25 Euro. Bei GanzOhr liest die Autorin am Donnerstag, 30. März, um 20 Uhr in der Buchhandlung Reuffel. Karten gibt's hier.