Ausstellung im MMK Frankfurt
Die Finger der Kunst in offenen Wunden
Die Installation "We are now leaving" der ukrainischen Künstlerin Olia Fedorova zeigt 17 Ortsschilder, die keine Namen tragen: Es sind Symbole der Auslöschung von Geschichten, Erinnerungen - und Menschen.
Axel Schneider. MMK

Macht und Geld, Politik und Krieg, Rohstoffe und Natur: Das sind die Schwerpunkte der neuen Ausstellung im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt. Ausschließlich junge Künstler legen darin die Zustände der Gegenwart in ihrer ganzen Komplexität offen.

Die 17 Ortsschilder sind ordentlich aufgereiht, sie tragen aber keine Namen. Nur die roten Querbalken verraten, dass es die Schilder am Ortsende sind und es folglich um das Verlassen der Orte geht. Diese Installation stammt von der ukrainischen Künstlerin Olia Fedorova, die aus ihrer Heimat geflüchtet ist und nun diese Symbole der Auslöschung von Orten, von Geschichte und Erinnerungen zeigt. Die Schilder erinnern auch an die Grabkreuze der zahllosen Kriegstoten.

So beginnt die neue Schau im Frankfurter MMK-Tower, der Filiale des Museums für Moderne Kunst (MMK) mitten im Bankenviertel. MMK-Chefin Susanne Pfeffer hat zusammen mit Kuratorin Julia Eichler aus einer riesigen Auswahl von 680 Namen lediglich elf jüngere Künstler und Künstlergruppen eingeladen. Sie umkreisen „sehr analytisch und reflektiert“, so Pfeffer, die zusehends komplexer werdende Welt. Im Zentrum stehen globale Themen, die uns alle angehen, wie etwa Macht und Geld, Politik und Krieg, Rohstoffe und Natur.

Sanfte Klänge aus Schrott

Die französische Künstlerin Atiéna R. Kilfa zeigt einen älteren Mann, der Macht, Stärke und Würde ausstrahlt. Aber als die Videokamera um das Porträt herumfährt, entpuppt er sich als flacher Pappaufsteller vor dem Schreibtisch. Wir dürfen nicht der ersten Wahrnehmung von Bildern vertrauen, meint Kilfa, oft sitzen wir Täuschungen oder Fälschungen auf – prüfen, prüfen, prüfen, lautet heute die wichtigste Devise.

Wieder anders arbeiten Elom 20ce, Musquiqui Chihying und Gregor Kasper, die aus Togo, Taiwan und Deutschland kommen. Die Künstlergruppe filmte einen der weltweit größten Elektronikschrottplätze am Rand von Accra, der Hauptstadt von Ghana. Die Arbeit dort ist sehr gefährlich mit hochgiftigen Dämpfen, die Menschen werden nicht alt. Mit der Axt werden die Geräte aufgebrochen, das Plastik verbrannt und das restliche Metall zu Niedrigpreisen nach China verkauft – wo der Kreislauf der Produktion von vorn beginnt. Aber die Künstler sehen nicht nur das Negative, sie produzieren aus den elektromagnetischen Wellen der Geräte auch sanfte Klänge als Zeichen für die neu entstehenden Energien.

Die Botschaft: Erst mal gar nichts glauben

„Undermining the immediacy“ lautet der Titel der Schau, was man mit „Untergrabung der Unmittelbarkeit“ übersetzen kann. Der auch im Deutschen noch etwas sperrige Titel spielt darauf an, dass im heutigen Internetzeitalter die Erwartung besteht, dass alles immer sofort verfügbar ist. Aber dem ist oft nicht so, und wie Kilfa uns zeigt, sollte man erst mal gar nichts glauben.

Gleich zwei Künstler spielen auf das Wasser an, das als Ressource lebenswichtig ist, aber als Starkregen auch gefährlich werden kann. Der Starkregen wäscht die Mineralien aus und zerstört damit die Böden, ähnlich wie die Dürre. Shaun Motsi aus Simbabwe hat ein Bild gemalt von einem Paar schwarzer Hände, über die das kostbare Wasser fließt. Alexandre Khondji aus Paris indes hat einen flachen Wasserspeicher im MMK ausgebreitet, wie er oft in der Landwirtschaft eingesetzt wird. Ein riesiger Plastikmantel umhüllt ein nur wenige Zentimeter hohes Reservoir für das heute immer knapper werdende Wasser.

Shaun Motsi hat ein Bild gemalt von einem Paar schwarzer Hände, über die das kostbare Wasser fließt. Von dem aus Simbabwe stammenden Künstler ist in der Schau außerdem noch der Kurzfilm "Masters" zu sehen, der sich mit Lernen im digitalen Umfeld auseinandersetzt.
Axel Schneider. MMK

Sogar der Boden in fernen Ländern ist längst heiß umkämpft. Die Norwegerin Eline Benjaminsen und der Kenianer Elias Kimaiyo erklären in ihrem Video, dass die Bauern in Afrika nicht über Landbesitz im westlichen juristischen Sinn verfügen. Sie müssen fast täglich um die Bodennutzung kämpfen, da sie von der kenianischen Umweltpolizei immer wieder vertrieben werden, wenn Geld vom Kohlendioxidausgleich eingeht. Das Land soll unangetastet bleiben, aber was wir gutgläubige Europäer mit den Spenden anrichten, ahnen nur die wenigsten.

Diese Kunst hält uns gnadenlos den Spiegel vor über unseren Umgang miteinander und mit der Natur. Die Zeiten, als sich der Freund aktueller Kunst noch in manierlich gemalte Bilder vertiefen konnte, sind lange vorbei. Die Welt ist nicht besser geworden, aber die Jungen legen die Finger in offene Wunden.

Zu sehen ist die Ausstellung bis zum 24. August, weitere Infos online unter www.mmk.art