Doku zu Germanwings-Absturz
Der Schmerz bleibt, viele Antworten fehlen
Der Absturz von Germanwings-Flug 4U9525 am 24. März 2015 gilt bis heute als größte Katastrophe der deutschen Luftfahrtgeschichte. Sechs Crewmitglieder und 144 Passagiere starben damals, darunter auch drei junge Menschen aus dem Westerwald und eine Schulklasse, an die diese Gedenktafel in Haltern am See erinnert.
Marcel Kusch. picture alliance/dpa

Am 24. März 2015 bringt Co-Pilot Andreas Lubitz den Germanwings-Flug 4U9525 in Südfrankreich zum Absturz – und reißt mit der Maschine 149 Menschen in den Tod. Eine Sky-Doku blickt nun zurück auf die tragischen Ereignisse. Und wirft neue Fragen auf.

Das Ausmaß der Tragödie, der Schmerz der Hinterbliebenen wird auch in dieser Doku greifbar. Die Stimme bricht, Tränen fließen, wenn die Angehörigen auf jenen Moment vor zehn Jahren zurückblicken, in dem sie vom Absturz des Germanwings-Flugs 4U9525 erfuhren, wenn Emine Celik sich an ihre Schwester Muradiye erinnert, die damals ebenso ums Leben kam wie Frank Noacks Tochter Juliane oder die 33-jährige Opernsängerin Maria Radner, die mit ihrem Mann und dem gemeinsamen Baby an Bord war.

Der 24. März 2015, er hat sich tief eingebrannt ins kollektive Gedächtnis der Nation. An einem Bergmassiv nahe des Orts Le Vernet in den französischen Alpen zerschellt an diesem Tag eine Maschine der Lufthansa-Tochter Germanwings, alle 150 Insassen – darunter neben einer Schulklasse aus dem nordrhein-westfälischen Haltern am See auch drei junge Menschen aus dem Westerwald – sterben. Bei einem Unglück, das heute als das größte gilt in der Geschichte der deutschen Luftfahrt. Aufgrund der hohen Opferzahl. Aber auch wegen der kaum erträglichen Umstände dahinter, denn: In der Katastrophe endet der Flug von Barcelona nach Düsseldorf seinerzeit nicht etwa infolge technischen Versagens, sondern weil der schwer depressive Co-Pilot Andreas Lubitz aus Montabaur (Westerwaldkreis) den Airbus A320 bewusst in die Felswand steuert.

Zweifel am Narrativ

So weit zumindest die – mehrheitlich akzeptierte – Überzeugung der seinerzeit eingesetzten Ermittler, an deren Untersuchungsbericht nun auch der im Auftrag von Sky produzierte Dreiteiler andockt. Wie schon vergleichbare Dokus zuvor erzählt dabei auch „Germanwings – Was geschah an Bord von Flug 9525?“ exemplarisch vom Schicksal der Opfer, lässt in teils sehr emotionalen Interviews deren Angehörige zu Wort kommen, rekonstruiert die Ereignisse des Unglückstags.

Doch während andere Produktionen wie etwa die kürzlich veröffentlichte ARD-Miniserie „Der Germanwings-Absturz – Chronologie eines Verbrechens“ nah am allgemeingültigen Narrativ bleiben, hinterfragt die Sky-Doku eben dieses – aus der zunächst gar nicht kritischen Überlegung heraus, „eine Vielzahl von Perspektiven auf das Ereignis aufzuzeigen“, wie Thomas Rogers betont.

Emine Celik ist eine von mehreren Hinterbliebenen, die in der Doku zu Wort kommen. Beim Absturz der Germanwings-Maschine verlor sie ihre Schwester Muradiye.
Sky The Thursday Company

Der kanadische Journalist (unter anderem „New York Times“) hat den Dreiteiler gemeinsam mit dem deutschen Regisseur Nils Bökamp realisiert – und erklärt zur Entstehungsgeschichte: „Im Laufe unserer Recherchen stellten wir dann aber fest, dass einige Angehörige überraschende Vorwürfe gegen die Ergebnisse der Untersuchung hatten.“ Zweifel, die die Serie nun aufgreift und dabei vor allem der Frage nachgeht, ob es nicht doch eine andere Ursache für den Absturz gegeben haben könnte als die bislang angenommene.

Wobei an dieser Stelle gleich vorausgeschickt werden muss: Die Verantwortlichen erwecken bei ihrem Vorhaben zu keiner Zeit den Verdacht einer plumpen Verschwörungserzählung, stützen ihre Argumentation vielmehr kohärent auf die Aussagen und Einschätzungen erstzunehmender Gesprächspartner, befragen hierzu etwa den renommierten Luftverkehrsexperten Simon Hradecky, den erfahrenen A320-Pilot Vincent Ruiz oder den auf Flugzeugkatastrophen spezialisierten Journalisten Andreas Spaeth.

Der renommierte Luftverkehrsexperte Simon Hradecky (rechts) und Journalist Andreas Spaeth sehen auch zehn Jahre nach der Tragödie viele Fragen ungeklärt.
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Im Mittelpunkt der Betrachtung steht dabei der im März 2016 veröffentlichte Abschlussbericht der französischen Fluguntersuchungsbehörde BEA – und dessen Diskrepanz zu vorherigen Aussagen des französischen Staatsanwalts Brice Robin. Der hatte kaum 48 Stunden nach dem Absturz eine Pressekonferenz einberufen – und den Hergang der Katastrophe auf dieser bereits auffallend detailliert geschildert. Ein „höchst ungewöhnlicher Vorgang“, wie Andreas Spaeth nun in der Doku konstatiert, weil es normalerweise Wochen und Monate dauere, um „aus all dieser Komplexität etwas herauszudestillieren, was auch wirklich beweisbar und handfest ist“.

Im Juni 2015 traf sich Robin in Paris dann zudem mit den Hinterbliebenen, um ihnen dort die Aufnahmen des Voice Recorders aus dem Cockpit vorzuspielen: darauf zu hören etwa auch der von Lubitz ausgesperrte Flugkapitän Patrick Sondenheimer, der schreit: „Andreas, mach die verdammte Tür auf.“ Ein für die Beweisführung bedeutender Satz, der im Abschlussbericht der BEA allerdings ebenso wenig auftaucht wie die von Robin getätigte Aussage, Lubitz habe während des Fluges unter dem Einfluss eines „Medikamentencocktails“ gestanden, oder eine über den Absturzzeitpunkt ausgestellte Krankschreibung wegen anhaltender psychischer Probleme, die der Co-Pilot seinem Arbeitgeber verschwiegen haben soll.

Eine Schlüsselrolle spielt in der Doku schließlich auch das 2017 vorgelegte Gutachten des Luftfahrtexperten Tim van Beveren, der darin – im Auftrag von Lubitz’ Vater – unter anderem einen Anästhesisten zitiert mit dessen Einschätzung, die vom Voice Recorder aufgezeichnete Atmung des Co-Piloten zeige typische Anzeichen einer Bewusstlosigkeit. Journalist Spaeth wiederum verweist auf anonyme Quellen, wonach die Tastatur zur Notöffnung der Cockpittür defekt gewesen sein soll. Entsprechende Tastengeräusche von der Eingabe durch den Kapitän jedenfalls seien – diese Annahme stützend – nicht zu hören in den Aufzeichnungen.

Was aus Sicht von Spaeth und Hradecky zumindest Zweifel aufkommen lässt an der bisherigen Darstellung der Ereignisse: Wurde von den Behörden rückblickend also zu früh in eine (gewünschte) Richtung ermittelt? Wollte die Lufthansa zum Schutz der eigenen Reputation einen technischen Defekt verschleiern? Gab es etwa ein – von Germanwings zuvor bereits auf anderen Flügen registriertes –„Fume Event“, sprich das Eintreten von potenziell betäubenden Verbrennungsabgasen in die Kabine, während Lubitz dort allein war? Oder gar einen Ausfall des komplexen Flugsteuerungssystems, das einen Sinkflug auch ohne menschliches Zutun hätte einleiten können, wie Hradecky demonstriert?

Im Auftrag von Andreas Lubitz' Vater erstellte Tim van Beveren, hier bei der Vorstellung 2017, ein Gutachten zum Absturz, das dem offiziellen Untersuchungsbericht in weiten Teilen widerspricht. In der Doku schildert der Pilot und Luftfahrtexperte seine Ergebnisse.
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Die Doku liefert hierauf keine Antworten – auch weil es solche zu vielen Fragen offenbar nach wie vor nicht gibt. Entsprechende Anfragen, erklärt Regisseur Bökamp, seien sowohl von BEA und französischer Staatsanwaltschaft als auch von Lufthansa und Airbus zurückgewiesen worden, den Voice Recorder halte die Fluguntersuchungsbehörde derweil bis heute unter Verschluss. Und aus den teils unversehrten Smartphones und Tablets der Opfer, die den Angehörigen nach der Untersuchung zugingen, seien die Datenträger entfernt worden. Woraus die Filmemacher – ebenso wie die von ihnen befragten Experten – schließlich den Appell ableiten, die Untersuchungen zur Unglücksursache noch einmal neu aufzurollen.

Die gebotene Pietät gegenüber den Opfern verliert die Doku dabei übrigens zu keiner Zeit, auch nicht die kritische Distanz zu den aufgestellten Thesen: Sowohl Hradecky als auch Spaeth kommunizieren offen, dass im Fall einer technischen Ursache sehr viele Aspekte hätten zusammenkommen müssen. Unwahrscheinlich, erklären sie, aber eben auch nicht auszuschließen. Und von den Behörden – zumindest offiziell – nie untersucht. Weshalb es am Ende vielleicht das Resümee von Opferanwalt Elmar Giemulla ist, das die Erkenntnisse des Dreiteilers am prägnantesten auf den Punkt bringt: „Dass Lubitz krank war und alles das, was wir bislang wissen, ist so, das glaube ich immer noch“, sagt er, „aber es ist nur ein Teil der Wahrheit, und ein anderer Teil ist verborgen worden.“

Schmerzliche Ungewissheit

„Inakzeptabel“, ergänzt Giemulla, sei das vor allem für die Hinterbliebenen, die vor der Kamera schließlich auch keinen Zweifel daran lassen, wie sehr die Ungewissheit sie auch zehn Jahre nach der Katastrophe belastet, dass sie sich betrogen fühlen um eine transparente(re) Aufklärung, wütend sind, weil niemand Verantwortung übernimmt für das erlittene Leid. „Wir wollen Antworten, weil wir ein Recht auf die ganze Wahrheit haben“ – dieser Satz ist in der knapp zweistündigen Doku immer wieder zu hören.

Die drei Folgen werden am Freitag, 14. März, ab 21 Uhr hintereinander ausgestrahlt – auf Sky Documentaries und Sky Showcase. Abrufbar sind sie parallel dazu auch beim Streaminganbieter WOW.