Sechstes Anrechtskonzert
Das Wagner-Abenteuer lässt auf sich warten
Groß besetzt zum Gastspiel in Koblenz: das Beethoven Orchester Bonn unter Leitung des Dirigenten Antony Hermus.
Arek Glebocki

Beim sechsten Anrechtskonzert des Musik-Instituts Koblenz in der Rhein-Mosel-Halle hinterlässt das Gastorchester unter Leitung von Antony Hermus einen gemischten Eindruck.

Aus der Nische auf die große Kinoleinwand: Es kommt höchst selten vor, dass ein bei den Donaueschinger Musiktagen vorgestelltes, neues Musikwerk ein großes Publikum erreicht. György Ligetis 1967 bei diesem Festival für Neue Musik uraufgeführter 10-Minüter „Lontano“ ist eine solche Ausnahme, wurde in verschiedenen Filmen wie etwa „The Shining“ des Regisseurs Stanley Kubrick verwendet, der zuvor schon Ligetis „Atmosphéres“ im Science-Fiktion-Klassiker „2001: A Space Odyssey“ prominent zum Einsatz gebracht hatte. Beim sechsten Anrechtskonzert des Musik-Instituts Koblenz der Saison kam als Gast das Beethoven Orchester Bonn mit „Lontano“ im Gepäck in die Rhein-Mosel-Halle, kombiniert mit einem Querschnitt von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“, 1991 zusammengestellt vom niederländischen Schlagzeuger und Arrangeur Henk de Vlieger.

Als möglicher Grund für diese Programmzusammenstellung bietet sich die Kombination zweier nahe liegender Fakten an: Mit rund 70 Minuten geht die „Ring“-Kompilation nicht als abendfüllend für ein Sinfoniekonzert durch – und es gibt, über rund 100 Jahre hinweg, eine Gemeinsamkeit, die Wagners „Ring“ und Ligetis „Lontano“ vereint: Beide erheben sich aus der Stille, beginnen mit leisen, kaum verortbaren Tönen – und so hatte sich ganz passend Antony Hermus, Gastdirigent beim Beethoven Orchester, dafür entschieden, dass ebenso leise und gar mit einer Generalpause endende „Lontano“ direkt in die ersten Töne des „Ring“-Vorabends „Das Rheingold“ übergehen zu lassen.

Ein Auftakt für gespitzte Ohren

Ein Konzertbeginn, der vom Publikum gespitzte Ohren und volle Aufmerksamkeit erfordert, weil er aus kompletter Stille entsteht und immer wieder auch zu dieser zurückfindet. Die Besucherinnen und Besucher des Anrechtskonzerts lassen sich darauf ein, lauschen mucksmäuschenstill, und tragen so zum intensiven Auftakt des Abends bei.

Erst nach einigen „Ring“-Minuten wird wieder hier und da gehustet, wenn die Lautstärke des Orchesters einen gewissen Pegel erreicht hat. Bis dahin dauert es allerdings unerwartet lange – denn an diesem Abend, so will es scheinen, braucht das groß besetzte Bonner Orchester ziemlich lange, um Betriebstemperatur aufzunehmen. Und das gilt beileibe nicht für schieres Klangvolumen.

Applaus für das Beethoven Orchester Bonn beim sechsten Anrechtskonzert des Musik-Institut-Koblenz.
Arek Glebocki

Henk de Vlieger hat aus Wagners rund 16 Stunden Musikmaterial aus „Rheingold“, „Walküre“, „Siegfried“ und Götterdämmerung“ einen Querschnitt gemacht, über den sich viel und heftig diskutieren ließe. Sicher: Wer auf eine konkrete Spieldauer zusteuert, muss kürzen, in diesem Fall auch drastisch. Und trotzdem ist es anderen Bearbeitungen, auch dem sehr populären „Ring ohne Worte“ des Dirigenten Lorin Maazel von 1987, umfassender gelungen, die wichtigsten orchestralen Momente der gewaltigen Wagner-Tetralogie einzufangen. Wer den „Ring“ kennt, wird etwa zweifelsohne den Komplettausfall des Wälsungenpaares Siegmund und Sieglinde aus dem ersten Akt der „Walküre“ in dieser Kurzfassung beklagen.

Wie man Wagner im Konzert aufführen kann: Das war schon zu Lebzeiten des Komponisten eine gute Frage. Denn längst nicht alle Theater konnten Aufführungen seiner Bühnenwerke stemmen, und Wagner selbst war daran interessiert, dass Auszüge seiner Werke auch in Konzertaufführungen Verbreitung fanden. So machten Ouvertüren seiner frühen Opern und auch einzelne Arien, Szenen und sinfonische „Ring“-Auszüge mit „Konzertschlüssen“ bald die Runde.

Vergleich zweier Versionen liegt nah

Die prominenteste Kurzfassung des „Rings“ mit Gesang in der Fassung des Humoristen Loriot steht derzeit, der Zufall will es so, beim Theater Koblenz auf dem Programm. Und da dort das Staatsorchester Rheinische Philharmonie unter Leitung ihres Theater-Chefdirigenten Marcus Merkel zum Einsatz kommt, liegt der Vergleich beider Abende nah.

Und da lässt sich sagen: Antony Hermus geht zwar tiefenentspannt und klar strukturiert in dieses vom Bearbeiter als „orchestrales Abenteuer“ deklarierte „Ring“-Konzentrat, verfügt mit den Bonnern zudem über ein eigentlich klangstarkes, in manchen Bläsergruppen hervorragend besetztes Orchester. Das Abenteuer lässt allerdings auf sich warten – und eine theatrale Dichte wie das Koblenzer Pendant erreicht das Beethoven Orchester an diesem Abend nicht. Viele mögliche Höhepunkte wirken eher gezähmt und eingefriedet, man könnte Szenen wie „Siegfrieds Tod und Trauermarsch“ deutlich mehr und kontrastreicher auskosten, ohne sich gleich der Effekthascherei verdächtig zu machen. Gleichwohl gelingt auch hier viel Schönes, und nicht nur für die grandiose Solohornistin Gillian Williams gibt es vom an diesem Abend so aufmerksamen Koblenzer Publikum nachdrücklichen Applaus.

Infos zum nächsten Anrechtskonzert der Saison online unter www.musik-institut-koblenz.de