Hochromantik am Übergang zur klassischen Moderne, derart könnte man das Konzertprogramm zeitlich grob einordnen. Wobei die ersten beiden der drei gebotenen Werke Jugendstücke sind. Anfängerversuche wäre gewiss zu krass formuliert. Aber der sinfonischen Dichtung „Im Sommerwind“ vom 20-jährigen Anton von Webern fehlt eben doch noch die meisterliche Reife. Dafür hat die Komposition auf Basis eines Gedichts aus dem Roman „Offenbarungen eines Wacholderbaums“ von Bruno Wille andere Reize: sprunghafte Vielgestalt, die für manche Überraschung gut ist und etlichen Instrumentalisten die Möglichkeiten gibt, zu demonstrieren, was sie an Gefühlsspiel draufhaben. Und gleich in den ersten Takten kann die Rheinische mit einer Walker-Stärke imponieren: Aus schier unhörbarem Pianissimo heraus baut sie in langem Bogen einen wunderbar warmen, sehr großen und weiten Vollklang auf, der an diesem Abend immer wieder zum wohligen Ohrenschmaus wird.
Es folgen „Sieben frühe Lieder“, einst vom 20- bis 23-jährigen Alban Berg zusammen mit zahlreichen anderen Liedkompositionen geschaffen und von ihm selbst zuerst als „Jugendsünden“ verworfen. Mit Anfang 40 urteilt Berg später etwas nachsichtiger, wählt die besagten sieben seiner Lieder aus und veröffentlicht sie mit Orchesterbegleitung. Nun tritt Michaela Kaune als Liedsängerin vor die Rheinische Philharmonie – und einmal mehr erleben wir, dass die Rhein-Mosel-Halle fürs Orchester zwar eine sehr gute, für Sologesang indes suboptimale Akustik hat. Ist das Orchester zu laut? Ist Frau Kaunes Stimme zu dünn? Solche Fragen werden in der Pause unter den Zuhörern erörtert, und zwar strittig. Denn in verschiedenen Bereichen der Halle kommt diese gefragte Sopranstimme recht unterschiedlich an. Für manchen Musikfreund bleiben die von Berg häufig bemühten tieferen Lagen hier schier unhörbar.
Der letzte Teil der den Abend beschließenden Sinfonie Nr. 4 von Gustav Mahler zerstreut aber schnell alle Zweifel an den stimmlichen Qualitäten der Solistin. Dieser vierte Satz mit einem Gesangstext aus „Des Knaben Wunderhorn“ gibt quasi rückwirkend der gesamten Komposition die Atmosphäre vor. Für die Sopranstimme angenehmer gesetzt als Bergs Lieder, kann Frau Kaune jetzt ihr Potenzial allen Ohren im Saal zugänglich voll entfalten. Und nun erfahren wir aus launig-kunstvollem Vortrag, wie es ist „Das himmlische Leben“, von dem die Sinfonie mit allerhand Augenzwinkern handelt.
Von geschlachteten Lämmlein und gebratenen Ochsen, von dem Koch freiwillig ins Netz schwimmenden Fischen und willig herbei hoppelnden Hasenbraten ist da die Rede, von kostenlosem Wein in Fülle und elftausend tanzenden Jungfrauen. Raffiniert hat Mahler bereits die drei vorausgehenden Sätze mit Anleihen aus volkstümlichen Tänzen und volksfestlicher Ausgelassenheit in Lebensfreude, Genüsslichkeit und Witz getaucht. Was ihm bei der Uraufführung 1901 ein entrüstetes Pfeifkonzert einbrachte, liegt bei Walker und der Rheinischen mit ihrem feinen Gespür für gerade solche Stimmungen und ihre vielfarbigen Pointierungen, binnendynamische Schwellungen und Capricen durch sämtliche Instrumentengruppen in besten Händen. Das i-Tüpfelchen setzt im Finale Michaela Kaunes Gesang. Und das Auditorium jubelt.
Andreas Pecht
Beim neunten Anrechtskonzert am 5. April singt der Chor des Musik-Intituts Koblenz unter Leitung von Prof. Mathias Breitschaft Bachs „Johannespassion“. Infos unter www.musik-institut-koblenz.de