Premiere Burgfestspiele
Das Goethe-Virus hat noch viel Kraft
Mit berückender Sprachkultur und dynamikreichem Spiel punktet Thomas Maria Peters in "Die Leiden des jungen Werther" in Mayen.
Rico Rossival

Mit Johann Wolfgang von Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ wird bei den Mayener  Burgfestspielen die „Transit“-Reihe von Klassikerbearbeitungen auf der Freiluftbühne am Alten Arresthaus als intensives Ein-Mann-Stück erfolgreich fortgesetzt.

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Es war 2022 eines der neuen Projekte zum Start der Intendanz von Alexander May bei den Burgfestspielen – und ein ambitioniertes dazu: die Reihe „Transit“, in der in einem Einheitsbühnenbild regelmäßig Schauspielklassiker aus ihrer Entstehungszeit ins Heute gebracht werden sollten. Was mit einem „Ur-Faust“-Projekt begann, findet nun – wieder mit Goethe – seine Fortsetzung mit „Die Leiden des jungen Werther“. Und damals wie heute ist das Ergebnis gelungen.

Los geht es wieder mit der riesigen „Transit“-Holzkiste, die auf der kleinen Bühne der intimen Freiluftspielstätte am Alten Arresthaus abgestellt ist. Wie wir seit dem „Ur-Faust“ wissen, ist die vormals für die schonende Lagerung und den Transport von Kunstwerken gezimmerte Klimakiste eine Art Zeitkapsel, in der in Mayen eben Theaterkunst Raum und Zeit überwindet. Von außen ist ein Brief wie mit einem federbewehrten Dartpfeil an die Kiste angepinnt – was ebenso neugierig macht wie das regelmäßige Ticken, das aus der Kiste zu kommen scheint.

Gerade hat Thomas Maria Peters die blassrosa Schleife Lottes in der Zeitreisekapsel auf der Mayener Bühne entdeckt -- gleich taucht er gänzlich ein in die Geschichte des 1774 erschienenen Briefromans "Die Leiden des jungen Werther" von Johann Wolfgang von Goethe.
Rico Rossival

Ein Mann steht vom Sitz im Zuschauerbereich auf – das aufgeklebte Gesichtsmikrofon verrät, dass es sich wohl um den Darsteller in diesem Stück handeln muss. Denn eigentlich würde man bei Thomas Maria Peters nicht gleich davon ausgehen, dass er Werther spielt, der ja nicht nur dem Stücktitel nach, sondern auch seiner Rolle in Goethes bahnbrechendem Briefroman von 1774 nach eben ein ausgesprochen junger Mann ist. Peters, den man aus vielen Rollen an zahlreichen Theatern auch der Region ebenso kennen kann wie aus TV-Produktionen, wäre demnach der Rolle schon etwas entwachsen – aber wir sind ja im Theater, und da ist bekanntermaßen nichts unmöglich.

Denn dieser Darsteller ist nicht gleich Werther, sondern nimmt erst den Brief von der Zeitkapsel-Kiste, liest sich ein, öffnet den Holzkubus – und stößt auf ein Konvolut aus vielen alten Briefen, einen Stuhl, einen kleinen Weihnachtsbaum. Und auf eine blassrosa Schleife, die eine Initialzündung werden soll: Kaum hat er sie – es ist natürlich die Schleife von Lotte, der der junge Werther im Briefroman rettungslos verfällt – in die Hand genommen, ist er von der „Werther-Epidemie“ befallen.

Ein konditionsforderndes Ein-Mann-Stück

So hatte man seinerseits die Freitode junger Männer bezeichnet, die im Zuge des gewaltigen Erfolges von Goethes Roman angeblich zu verzeichnen waren: Nicht nur als modischer Trendsetter mit blauem Anzug und gelber Weste hatte das Buch gewirkt, sondern womöglich auch zu zahlreichen Nachahmer-Selbsttötungen angestiftet. Dieses Goethe-Virus hat in der Kiste gut überlebt – zumindest wirkt er in der Neuinszenierung von Burgfestspiel-Intendant Alexander May noch heute prompt und letztlich fatal. Auch dieser Neuinfinizierte durchleidet – hier in einer als konditionsforderndes Ein-Mann-Stück eingerichteten Fassung – alle Phasen Werthers vom Kennenlernen der jungen Lotte, der überfallsartigen Verliebtheit und des Durchleidens einer Dreiecksbeziehung mit ihrem Verlobten Albert bis hin zum Freitod.

Die größte Überraschung ist nicht, wie gut das funktioniert – dafür garantiert Thomas Maria Peters mit seiner berückenden Sprachkultur und seinem dynamikreichen Spiel vom ersten Moment an souverän und feinsinnig. Sondern eher noch, wie schnell dieses Goethe-Virus schnell auch das Premierenpublikum einfängt. Für den Spielfluss sorgt die zielstrebige Stückfassung, die die Originalvorgabe geschickt konzentriert. Gerade mal etwas mehr als eine Stunde Spielzeit plus Pause benötigt sie, um die Geschichte zu erzählen – und lässt doch auch die vielen Deutungsmöglichkeiten der Handlung und der Titelfigur allesamt zumindest anklingen.

Goethes Sprache wirkt frisch und lebendig

Die Texte, die Verwendung finden, sind dann ganz nah beim Original belassen, auch vermeintlich altertümliche Wendungen klingen frisch und natürlich: Das schließlich ist eine große Leistung, die Lust macht auf mehr Goethe und überhaupt auf mehr „Transit“- Erkundungen auch in den kommenden Spielzeiten.

Infos, Termine und Tickets online unter www.burgfestspiele-mayen.de