Von unserem Autor Andreas Pecht
Der Inhalt ist ernst, das Stück von Shakespeare 1604 indes als Komödie geschrieben. Die in der Übersetzung von Thomas Brasch ohnehin angemessen nachgebildete saftige und frivole Vieldeutigkeit des Originals lässt Regisseur Jan Philipp Gloger textlich wie szenisch noch einen Kick weiter zuspitzen.
Haarscharf den Klamauk gestreift
Der zweistündige Abend kratzt damit mehrfach an der Grenze zum deftigen Klamauk, ohne sie jedoch zu überschreiten. Wie Michael Birnbaum als prolliger Lebemann Lucio seine erotomanischen Witzeleien ständig durch eine ruckartige Handgeste selbst abwürgt, so fängt sich das Wiesbadener Spiel als Ganzes immer wieder – auf dass die ernsten Aspekte nicht unter Lachen begraben werden, sondern durch Lachen verschärft zu Bewusstsein kommen.
Franziska Bornkamms Bühne reduziert die Stadt auf eine nach hinten ansteigende Tafel. Die Stadtgesellschaft sitzt quasi an einem Tisch: am oberen Kopf erst der Herzog, dann sein temporär herrschender Stellvertreter; am unteren Ende mit Lucio und der Kupplerin Overdon (passend anzüglich und ordinär: Sybille Weiser) das niedrigste Volk. Anfangs ist der Tisch wie bei einer chaotischen Konferenz wirr überladen mit Akten, Papieren, Flaschen, Tassen. Doch macht Angelo bald Tabula rasa: Wild fegt er die alte Unordnung von der Platte, lässt aus deren Trümmern akribisch geordnete Bodenmosaike formen.
Es herrscht nun sittenstrenge, kalte Ordnung, der Verhaftungswellen folgen, der Bordelle zum Opfer fallen – und die den jungen Claudio dem Henker überantwortet, weil er gegen ein altes Gesetz seine Verlobte schwängerte, bevor die Ehe offiziell geworden ist. Da stellt Shakespeare die Verhältnismäßigkeit der Mittel infrage, mit der in tödlicher Härte Sittennorm gegen allzu menschlichen Liebestrieb durchgesetzt werden soll.
Macht verführt
„Macht macht böse” sagt der Volksmund. Und tatsächlich ist hier auch zu sehen, wie der Interimsherrscher zum Tyrannen wird, nicht (nur) der Ordnung im Staate wegen, sondern aus Eigeninteresse: Der Schwester des zum Tode verurteilten Claudio verspricht er dessen Begnadigung, so Isabella mit ihm ins Lotterbett steigt.
Das Ringen zwischen dem mit Herrschermacht ausgestatteten Lüstling hinter der Moralmaske und der machtlosen unschuldigen frommen Frau darf als schauspielerischer Höhepunkt der reihum an guten Spielleistungen reichen Inszenierung gelten. Wie Janning Kahnert erst puristisch politisiert, dann scheinheilig herumeiert, schließlich Isabella kaltschnäuzig erpresst – das hat was. Ein kleines Faszinosum ist die Frauenrolle bei Karoline Reinke: Sie stellt kein Unschuldslämmlein vor, sondern zeigt eine resolute bis kiebige Frau her, die nicht mal im Traum daran denkt, sich für irgendeinen Mann wegzuwerfen. Eine Kategorie für sich in der Rolle des alten Herzogs im Amt wie auch inkognito als Mönch ist Rainer Kühn, der die Klaviatur seines vielfarbigen traditionellen Komödiantentums, wie wir es schon seit seiner Bonner Zeit unter Manfred Beilharz kennen, wunderbar ausspielen kann.
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