Große Ausstellung: Salvador Dalí trifft Hans Arp in Rolandseck am Rhein
Dalí trifft Arp: Streifzug durch surreale Welten
Die zerlaufenden Uhren, die das Verrinnen der Zeit symbolisieren, sind Dalís Markenzeichen. Das Werk „Der Traum der Venus“ von 1939 ist auch in der Ausstellung zu sehen. Foto: Fundació Gala-Salvador Dalí, Figueres/VG Bild-Kunst, Bonn 2020
Fundació Gala-Salvador Dalí, Fig

Remagen. Zuletzt zogen Rembrandt in Köln und Van Gogh in Frankfurt Besuchermassen an. Seit diesem Wochenende richtet sich die Aufmerksamkeit nun auf eine jüngere Kunstströmung. Die Frankfurter Schirn stellt mit 34 Künstlerinnen die lange unterschätzte weibliche Seite des in den 1920er-Jahren aufgekommenen Surrealismus vor (wir berichteten). Zeitgleich eröffnete im Arp Museum Remagen-Rolandseck ein fulminantes Ausstellungspaket, das die surrealistischen Altmeister Salvador Dalí und Hans Arp gegenüberstellt. Ihnen zur Seite tritt dort mit Jonas Burgert auch ein aktueller Vertreter der bildkünstlerischen Fantastik (Text unten).

Selbstredend ist Dalí Magnet der zentralen Schau im 2020er-Programm des Arp Museums, das unter dem Jahresmotto „Total surreal“ steht. Die spinnenbeinigen Elefanten, Schubladenkörper und zerfließenden Uhren des 1904 geborenen und 1989 verstorbenen Katalanen sind ebenso Ikonen der Kunstgeschichte wie sein dünner, nach oben gezwirbelter Schnurrbart. 64 Dalí-Arbeiten haben die Ausstellungsmacher aus aller Welt an den Rhein geholt, unter anderem auch vier Filme und zahlreiche Grafiken. Darunter Raritäten wie etwa „Beethovens Kopf“, der anlässlich des jetzigen 250. Geburtsjahres des Komponisten erstmals und wohl auch letztmals von der Fundació Gala-Salvador Dalí in Figueres, der Heimatstadt des Künstlers, ausgeliehen wurde.

Musikgenie als Schelm

Dieses Werk zeugt von der Faszination des exzentrischen Bildkünstlers für den exzentrischen Musikkünstler und entstand 1973 auf skurrile Weise: Dalí setzte einen Oktopus aufs Papier, der dort seine Tinte verspritzte. Daraus schuf er mit Händen, Pinsel und Schuhen ein vages Beethoven-Abbild, das vom wuchtigen Gestus her zwar dem bekannten Stieler-Porträtgemälde von 1820 ähnelt, sich aber doch in einer wunderbaren Nuance davon unterscheidet: Die verwaschenen Linien der Oktopustinte legen Beethoven ein kleines Schmunzeln um den Mund. Mag sein, der Surrealist hat besser verstanden als mancher ernste Beethoven-Verehrer, dass das Musikgenie auch ein Schelm war.

Die Mehrzahl der Dalí-Exponate ist im Obergeschoss des Meier-Baus in intimer Nachbarschaft zu diversen Arp-Werken gehängt. Das hat gute Gründe. Einer davon ist: Nachdem der Besucher die Mitteletage mit den riesenformatigen Werken Burgerts durchschritten hat, stellt er staunend fest, dass die meisten der berühmten Gemälde Dalís sehr viel kleiner sind als gemeinhin gedacht. Die einer Nackten entgegenspringenden Tiger von 1944, „Die Metamorphose des Narziss“ von 1937, „Erleuchtete Lüste“ (1929) oder „Die Spektralkuh“ (1928): Sie sind gerade so groß wie ein gewöhnlicher Badezimmerspiegel oder nicht mal das.

Das einzige Großformat in der Schau ist „Der Traum der Venus“. Wandfüllend dominiert die triste Landschaftsvision – durch die brennende Giraffen rennen und schmelzende Uhren über einen vertrockneten Baum fließen – ein besonderes Kabinett. Darin ist der Pavillon „Dream of Venus“ nachgestellt, den Dalí für die Weltausstellung 1939 in New York entworfen hatte. Erstmals seit jenem Jahr erklingt darin dank einer wiedergefundenen alten Schallplatte neuerlich die verführerische Stimme der Venus.

Fantastisch und abstrakt

Zweiter Grund für die enge Nachbarschaftshängung von Dalí- und Arp-Werken ist der ambitionierte Versuch, im direkten Vergleich die Verbindungen zwischen den beiden Surrealisten herauszuarbeiten. Und tatsächlich ist unschwer zu erkennen: Zwar bleibt Dalí selbst bei der Darstellung fantastischster Welten des Unbewussten gegenständlich, während Arp in der völligen Abstraktion landet. Gleichwohl gibt es starke Ähnlichkeiten in ihrer Formensprache. Nicht umsonst schreibt Dalí 1928, kurz bevor er Arp erstmals in Paris trifft: „Lassen wir Picasso beiseite. Wir werden lernen müssen, uns besser mit Arp zu verstehen.“ Dalí bezieht damals, wie die Ausstellung verdeutlicht, mancherlei Anregung vom Hauspatron des Remagener Museums.

Anregungen in Fülle bezog die profane Welt von Dalí. Er war zu Lebzeiten ein Superstar, ein „Verrückter“, ein Meister der Selbstvermarktung zwischen Hochkultur, Popkultur und Geschäft. Er war Mythos, Skandalon und Multimediakünstler. Dieser Dalí‘schen Seite widmet sich eine zusätzliche, interessante wie vergnügliche Schau im alten Bahnhof des Arp Museums. 250 Fotos, Zeitschriftencover, Devotionalen von Briefmarken über Aschenbecher bis zur Bonbonniere dokumentieren die Marke Dalí.

Wer dann noch Zeit hat, der lasse sich im eigens eingerichteten kleinen Kino von Dalí als Filmkünstler Gänsehaut auf den Leib treiben – etwa bei den von ihm gestalteten Traumszenen aus Hitchcocks „Spellbound“ oder den beiden zusammen mit Luis Bunuel realisierten Streifen „Ein andalusischer Hund“ sowie „Das goldene Zeitalter“.

Die Ausstellung „Salvador Dalí und Hans Arp. Die Geburt der Erinnerung“ ist bis zum 16. August im Arp-Museum in Rolandseck zu sehen. Weitere Infos gibt es unter www.arpmuseum.org

Von unserem Autor Andreas Pecht

Außerdem im Arp-Museum: Bilder von Jonas Burgert

Jonas Burgert ist ein sehr produktiver Gegenwartskünstler. Allein für seine jetzige Ausstellung im Arp Museum hat er eigens sieben riesenformatige und farbgewaltige Werke geschaffen, mehr als fünf Meter breit, fast vier Meter hoch. Dicht bevölkert sind sie mit seltsam versehrten, elenden Menschen, Tieren, entstellten Fabelwesen inmitten aufblühender bis verrottender Pflanzen, umgeben von Dreck und Müll: Wimmelbilder, in denen bei genauerem Schauen eine Vielzahl meist beklemmender Szenen erkennbar wird, die so an die Albtraumwelten des Hieronymus Bosch erinnern, aber sichtlich in der Gegenwart angesiedelt sind.

Empfangen wird der Besucher in der ganz Burgert gewidmeten Mitteletage des Meier-Baus von einer lebensgroßen, eingefärbten Bronzeskulptur: Ein Mann mit verzerrten Körperproportionen, der durchs Nichts kriecht, der Blick leer, der Gestus ziel-, ja hoffnungslos. Vorn dieser Einzelne, Vereinzelte, hinter ihm die motivisch überquellenden Fantasielandschaften: Die Anordnung motiviert den Gedanken, dass die großen Gemälde offenbaren, was in Hirn und Seele des kleinen Einzelmenschen vor sich geht, im Streit miteinander liegt, fortwährend gesucht und gehofft, meist gefürchtet und erlitten wird.

„Mein Interesse richtet sich nicht auf das reale Individuum, sondern auf seine mentalen Grenzbereiche, in denen das archaische, das innere und das illusionistische Prinzip gelten“, erklärt der 1969 geborene, in Berlin lebende und arbeitende, derzeit viel beachtete Künstler. Neben den sieben Neuschöpfungen umfasst die Ausstellung unter dem Titel „Sinn frisst“ 17 ältere Arbeiten. Allen ist gemeinsam, dass sie gegenständlicher Natur sind, sich gleichwohl in den surrealen Welten des Un- und Unterbewussten bewegen – und damit unverkennbar in der Nachfolge zur Kunst des Salvador Dalí ein Museumsstockwerk höher stehen.

Andreas Pecht