Koblenz
Breitbachs späte Rache, Reich-Ranickis denkwürdige Rede: Der Breitbach-Preis feiert auch sich selbst
Als die Nazis seine Bücher verboten, verließ der in Koblenz geborene Schriftsteller Joseph Breitbach Deutschland, später nahm er die französische Staatsbürgerschaft an. Dieses Foto entstand 1979, ein Jahr vor seinem Tod, in Koblenz.
picture-alliance / dpa

Seit 1998 erinnert der hochdotierte Joseph-Breitbach-Preis an den großen Sohn der Stadt Koblenz – anlässlich der 20. Verleihung im Theater der Stadt Koblenz wurde auch an die Enstehung der Auszeichnung erinnert, die nun zum insgesamt 25. Mal verliehen wurde.

Als die Nazis seine Bücher verboten, verließ der in Koblenz geborene Schriftsteller Joseph Breitbach Deutschland, später nahm er die französische Staatsbürgerschaft an. Dieses Foto entstand 1979, ein Jahr vor seinem Tod, in Koblenz.
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Gibt es zu viele Literaturpreise in Deutschland? Eine ketzerische Frage. Wenn man Statistiken Glauben schenken will, liegt das Einkommen freischaffender Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Durchschnitt weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn. Schon deswegen kann es gar nicht genug Literaturpreise und Stipendien aller Arten geben. Trotzdem hat schon Anfang der 60er-Jahre der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki (1920–2013) vor einer Preisschwemme gewarnt. Und das, obwohl es damals bundesweit nur rund 120 Literaturpreise gab – mittlerweile sind es um die 1000.

Bei einem von ihnen sorgte Reich-Ranicki selbst für einen besonderen Höhepunkt: 2005 hielt er im Koblenzer Theater die Laudatio auf Georges-Arthur Goldschmidt. Der bekam an jenem Tag den Joseph-Breitbach-Preis verliehen – und Goldschmidts prominenter Laudator sparte weder an Lob für den zu ehrenden Schriftsteller, Essayisten und Übersetzer noch an Anekdoten über den Preisstifter Joseph Breitbach. Reich-Ranickis launige Erinnerungen gingen ebenso in die Annalen des Preises ein wie sein Eröffnungssatz: „Sechs Redner haben gesprochen, zwei davon gut, und ich weiß genau, was sie fühlen: Hunger!“

Breitbachs letzter Wunsch

Es war damals die achte Verleihung des Breitbach-Preises, der es mit diesem Jahr auf eine 25 als Jubiläumszahl bringt und am Freitagabend zum 20. Mal in Koblenz, der Geburtsstadt des deutsch-französischen Schriftstellers und Mäzens Joseph Breitbach (1903–1980), verliehen wurde. Dieser hatte testamentarisch verfügt, dass mit seinem Nachlass ein Literaturpreis finanziert werden und von der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur und einer Stiftung Joseph Breitbach vergeben werden soll.

Schon aus der Konstruktion ergibt sich, dass an Festreden in all den 25 Verleihungen kein Mangel herrschte. Wenn Lokal- und Landespolitiker ebenso wie Akademievertreter und Laudatoren zu Wort kommen und in großen Schnittmengen die jeweils zu ehrende Person für die Vorzüge ihres Werks gelobt wird, ist verständlicherweise rasch alles gesagt, aber noch nicht von allen.

Würdigung durch Helmut Böttiger

Die Verleihung des Breitbach-Preises an Natascha Wodin in diesem Jahr bildete insofern eine Ausnahme, als im Rahmen der Feierstunde im Koblenzer Theater auch das runde Vierteljahrhundert als Zäsur genutzt wurde, um den Preis in seiner Gänze zu würdigen. Eine durchaus heikle Aufgabe, die Helmut Böttiger mit Bravour bewältigte. Als Schriftsteller und Literaturkritiker kennt er alle Facetten des Literaturwesens – die an der Schaffensbasis wie die an der Front des Marktes. Und er weiß als vielgefragter Juror auch über die Eitelkeiten und Rivalitäten in der Welt der Literaturpreise bestens Bescheid.

Mit diesem Rüstzeug versehen, beleuchtete er Geschichte des Breitbach-Preises und begann dazu mit der Ausgangssituation lange vor der ersten Preisverleihung: „Mit Breitbach hatte niemand mehr gerechnet“, fasst Böttiger das zusammen. Breitbach, dieser „Grandseigneur“ der Literatur, der 1962 mit „Bericht über Bruno“ noch einmal einen großen Roman vorgelegt hatte, nachfolgend aber eher für seinen Reichtum bekannt war, literarisch hingegen, so die allgemeine Auffassung seiner Zeit, übergangen werden konnte.

Späte Rache am Literaturbetrieb?

Als dieser große Unbekannte posthum als Stifter eines unübertroffen hohen Preises wieder auftauchte – zu Anfang wurden 250.000 DM ausgeschüttet, verteilt auf drei Preisträger –, konnte man das als späte Rache am Literaturbetrieb sehen, der ihn schmählich ignoriert hatte.

Seitdem habe der Preis, nichts anderes darf man auf der Festrede bei ebendiesem auch erwarten, laut Böttiger seine eigene Wertigkeit erhalten – durch die Auswahl der Ausgezeichneten. Dazu kann man etwa über die Jahre vorrechnen, wann der Breitbach-Preis dem mit 50.000 Euro heute gleich hoch dotierten Georg-Büchner-Preis in der Auswahl einzelner Autoren zuvorgekommen ist. Und die Schlussfolgerung, dass man bei jeder Entscheidung darüber streiten könne, welche Überlegungen die Jury wohl geleitet haben, darf unwidersprochen so stehen bleiben.

Teil der Koblenzer Stadtgeschichte

Wollte man aus einigen Jahren des Koblenzer Miterlebens des Preises eine lokale (Zwischen-)Bilanz ziehen, fiele diese ohnehin fast ungetrübt positiv aus: Durch die feierliche Preisvergabe, die außerhalb von Pandemiejahren immer ein Höhepunkt des städtischen Kulturlebens ist, ist das Schaffen des großen Sohnes der Stadt ebenso ins Zentrum gerückt wie durch die verdienstvolle Wiederauflage der Werke Breitbachs.

Sie, allen voran der Erzählungsband „Rot gegen Rot“ und der in Koblenz spielende Roman „Die Wandlung der Susanne Dasseldorf“, der vor einigen Jahren am Koblenzer Theater auch als Schauspiel gezeigt wurde, gehören zu den aufschlussreichsten stadtgeschichtlichen Dokumenten und wären auch weit über Koblenz hinaus mit Gewinn wiederzuentdecken.

Stoff für viele weitere Jahre

Was zu wünschen übrig bliebe? Ein langer Atem der Preisverleiher, ein nie versiegender Geldquell des Stiftungsvermögens, dessen Ursprung laut Helmut Böttiger weiterhin ein interessanter Vorgang für Finanzwissenschaftler wie auch für die Literaturwissenschaft bleibt. Und natürlich eine Biografie des großen Schriftstellers Breitbach, der durch den Verbot seines Werks durch die Nazis nicht nur nach Paris emigrierte, sondern später auch zum Wegbereiter der französisch-deutschen Freundschaft werden sollte. Es ist auch nach 25 Jahren Breitbach-Preis noch längst nicht genug über Breitbach selbst gesagt.