Neuproduktion der Bayreuther Festspiele dürfte im TV besser wirken als im Theater
Bayreuther Festspielhaus: Die Neuinzenierung von „Tristan und Isolde“ leidet an szenischem Stillstand
Bayreuther Festspiele 2024 - «Tristan und Isolde»
Dieses Isoldenkostüm ist auf jeden Fall ein Hingucker: Camilla Nylund (Isolde) und Andreas Schager (Tristan) in der Neuproduktion der Bayreuther Festspiele. Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele/dpa
Enrico Nawrath. dpa

Knappe fünf Stunden im Bayreuther Festspielhaus können sich ganz schön lang anfühlen, wenn eine Produktion szenisch so blass bleibt wie die Neuninszenierung von "Tristan und Isolde", die die diesjährigen Richard-Wagner-Festspiele am Donnerstagabend eröffnete.

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Alle Jahre wieder wird Bayreuth während der Wagnerfestspiele zur Kulturmetropole auf Zeit mit einem umfassenden Kulturangebot. Einen besonders schönen Titel trägt in dieser Vielfalt die Einführungsreihe des Richard-Wagner-Museums: Ihr Motto lautet verkürzt „Bayreuth überleben“ – wobei „über“ durchgestrichen ist. Wirklich erleben statt „nur“ zu überleben ist ein hehrer Anspruch, den man nicht immer verwirklichen kann. Etwa als Sängerin oder Sänger der Hauptpartien in Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“, die am Donnerstagabend die Festspiele eröffnete.

Herausfordernde Hauptpartien

Beinahe fünf Stunden Aufführungsdauer sind zu meistern, beide Titelpartien zählen zu den anspruchsvollsten ihres Fachs – da kann man es verstehen, dass nach dem Fallen des Schlussvorhangs sowohl Andreas Schager (Tristan) als auch Camilla Nylund (Isolde) sichtbar froh sind, den Abend hinter sich zu haben. Als das Bühnenlicht wieder aufflammt, „erwischt“ das Publikum die beiden, die gerade langwierige Bühnentode hinter sich haben, einander freudig an den Händen haltend. Und während sie die Ovationen des Publikums entgegennehmen, umfasst Schager übermütig seine Gesangspartnerin und hebt sie empor, als hätten sie Donizettis komische Oper „Der Liebestrank“ aufgeführt – und nicht Wagners nachtschwarze Version des todbringenden Gebräus.

Bayreuther Festspiele 2024 - «Tristan und Isolde»
Auch im dritten Aufzug von „Tristan und Isolde“ gibt das Bühnenbild einige Schauwerte her – wenn doch nur mehr zwischen Bühnenpersonal passieren würde. Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele/dpa
Enrico Nawrath. dpa

„Überlebt“ mag allerdings auch mancher im Publikum gedacht haben – denn diese „Tristan“-Premiere hatte Höhen und Tiefen, und auf der Soll-Seite ist leider die Inszenierung des Isländers Thorleifur Örn Arnarsson zu verbuchen. Seine Arbeit kann man von seinen jüngsten Tätigkeiten als Schauspieldirektor der Berliner Volksbühne (2018 bis 2021) und zuvor von Inszenierungen am Wiesbadener Staatstheater kennen, die allerdings wenig vorbereiteten auf den szenischen Stillstand, den er „Tristan und Isolde“ verordnet hat. Wobei Stillstand nicht verfängt, als zum Stillstehen zunächst Aktion nötig wäre – und die fand man eher in homöopathischen Dosen. Was nicht heißt, dass der Regisseur über Werk und Umsetzung nicht nachgedacht hat: Ein Blick in die TV-Ausstrahlung´der Premiere, der bei BR-Klassik abrufbar ist, zeigt deutlich, dass durchaus zwischen den Hauptpersonen heftig Blicke getauscht werden und gewisse Aktionen stattfinden.

Szenisches Kleinklein versendet sich im Festspielhaus

Doch im riesigen Festspielhaus versendet sich das nach wenigen Reihen. Was dort optisch und atmosphärisch ankommt, ist Rampentheater der Marke „Stehen und Singen“, das beim Zuschauen schnell ermüdet.

Die Interpretation ist eine sehr pessimistische, nur selten wird „Tristan“ dermaßen zum finsteren Nachtstück wie hier: Das könnte eigentlich spannend werden. Auch das Bühnenbild (Vytautas Narbutas) und die teils spektakulären Kostüme (Sibylle Wallum) bieten Schauwerte: Zum Ende des ersten Aufzugs etwa fährt auf die bis dahin recht karg möblierte Bühne eine gigantische Konstruktion nach Art eines offenen Schiffsrumpfs ein. Doch die mit vielen Artefakten gefüllte Bibliothek der Erinnerungen des Bühnenpersonals wird nur wenig bespielt, seltsam ruckartig und effektarm beleuchtet – nein, es gibt insgesamt kaum gute Gründe, warum diese Neuproduktion den nur zwei Sommer lang gespielten, vorigen „Tristan“ des Regisseurs Roland Schwab ersetzen musste.

Bayreuther Festspiele 2024 - «Tristan und Isolde»
Wie ein Wimmelbild, nur ohne Wimmeln: Im eindrucksvollen Bühnenbild von „Tristan und Isolde“ in Bayreuth passiert szenisch nicht viel. Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele/dpa
Enrico Nawrath. dpa

Einer könnte sein, dem Dirigenten Semyon Bychkov eine Neuproduktion mit den entsprechenden Probenzeiten anzuvertrauen: Der 71-Jährige bedankt sich dafür jedenfalls mit einem sehr außergewöhnlichen Dirigat. Das zeigt schon im „Tristan“-Vorspiel eine überaus individuelle Lesart – nicht so sehr von seiner gewissen Langsamkeit und prononcierten Generalpausen geprägt, sondern durch verblüffende Klanggestaltung in die Vertikale hinein. Soll heißen: Er betont nicht die vielen Akzente, die von manchen seiner Kollegen geradezu brachial hervorgehoben werden, sondern schichtet Klangflächen übereinander, lässt auch Nebenstimmen hörbar werden und orchestriert so einen sehr eigenen, interessanten Zugriff auf das Werk, den das gewohnt famose Festspielorchester unbedingt mitgeht.

Zugegebenermaßen hält Bychkov dieses Maß an Faszination nicht über die ganze Strecke durch – doch in der stetigen Steigerung, die er über den langen Abend durchhält, liegt ein großer Reiz, der zusammen mit einer weniger blutarmen Bühnenaktion sicherlich sehr gewonnen hätte.

Bravos für die musikalische Team

Für das Regieteam gibt es am Ende einige Buhrufe, aber insgesamt wenig Erregung – und das musikalische Team wird vom Publikum einhellig gefeiert. Dabei ist die Solistenbesetzung eher uneinheitlich geraten. Irritierend angegriffen wirkt Günther Groissböck als König Marke – er ist hör- und sichtbar in vokalen Nöten. Über großen Applaus darf sich Camilla Nylund freuen, die ihre Karriere durchs Sopranfach hindurch jetzt mit Rollen wie Brünnhilde und Isolde krönt. Sie singt klangschön auch viele Spitzennoten, die manche Isolden-Kollegin nur ansatzweise hervorbringt, hat dabei aber bei der textlichen Durchdringung der Rolle noch Luft nach oben und bräuchte einen Dirigenten, der sich in ihren Szenen etwas mehr zurücknimmt. Das mag ein Grund sein, warum Christa Mayer als ihre Vertraue Brangäne noch etwas mehr Applaus abbekommt, die mit sattem Mezzosopran mühelos das Orchester übersegelt und lange Atemreserven vorhält.

Der Bariton Olafur Sigurdarson singt sich als Kurwenal nach leichten Anlaufschwierigkeiten nach vorn – und letztendlich steht der Abend doch ganz im Zeichen des Heldentenors Andreas Schager. Dass er entgegen aller Gewohnheit etwas auf die Bremse tritt und nicht von Anfang bis Ende mit Strahlhochdruck durchsingt, registriert man zuerst begeistert – um dann festzustellen, dass es sich nicht um Gestaltung handelt, sondern dass der derzeit wohl beste „Siegfried“-Darsteller an diesem Abend nicht gut disponiert ist und im dritten Akt mehrfach einbricht. Ihm würde man von Herzen mehr Zwischentöne gönnen – schon, um diese Ausnahmestimme länger zu erhalten.

3sat zeigt die jederzeit bei BR Klassik abrufbare Aufzeichnung der Premiere am heutigen Samstag, 27. Juli, um 20.15 Uhr