Koblenzer Compagnie meldet sich mit "Der Schwanensee" in der Chorografie von Steffen Fuchs hochkarätig und voller Esprit live zurück
Ballettauftakt in tanztechnischer Hochform
In „Der Schwanensee“ führt die Königin (Irina Golovatskaia) ein strenges Regiment – auch gegen ihren Sohn (Arsen Azatyan, rechts). Foto: Matthias Baus
Matthias Baus für das Theater Ko

Koblenz. Das Wichtigste sei gleich vorweg gesagt: Der Ballettcompagnie des Theaters Koblenz bei ihrer aktuellen Produktion „Der Schwanensee“ zuzuschauen, ist eine Freude. Das nicht nur, weil nach Monaten überhaupt mal wieder Tanzkunst live erlebt werden kann. Vielmehr war eine derartige tanztechnische Konzentration und Akkuratesse mitsamt intensivem Esprit des Ausdrucks auf fast allen Positionen hier lange nicht, womöglich noch nie zu sehen. Man traut sich kaum, es zu schreiben, aber hinsichtlich des tänzerischen Vermögens hat das halbe Jahr Corona-bedingter Zurückgezogenheiten und besonderer Proben-/Trainingsformen offenkundig allen Akteuren mehr genutzt als geschadet.

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Zwei sich entwickelnde Prinzen

Der 90-minütige Abend beginnt mit dem Solo eines Mannes im leeren Raum der Vorderbühne. Diesem Siegfried 1 geht es sichtlich nicht gut. Ihm mangelt es an Freude, Sehnsucht nach echtem Leben zehrt an ihm. Und wie Arsen Azatyan seine Figur tanzt, wirkt sie gefangen in einem Bewegungsrepertoire hoher, aber entseelter Kunstfertigkeit. Wir sehen später, wie die beinahe gleichen Bewegungen ihren Charakter völlig verändern, sobald der Prinz liebt und verspielte Zweisamkeit genießt. Um solch feine Unterschiede herauszuarbeiten, braucht es einen Könner, und Azatyan ist einer.

Was in ähnlichem Maße auch für Odsuren Dagva gilt. Dessen Siegfried 2 tritt gleich zu Anfang als Doppelgänger hinter Ersterem hervor, stellt den anderen Teil einer gespaltenen Mannesseele dar. Er wird sich nachher von der düsteren Odile quasi auf die dunkle Seite der Macht locken lassen. Die auf den Prinzen zentrierte Startszene signalisiert: In der Choreografie von Ballettchef Steffen Fuchs soll seiner Entwicklung besondere Aufmerksamkeit gelten.

Was den jungen Mann so bedrückt, wird deutlich, sobald der schwarze Hintergrund der kleinräumigen Eingangsszene sich öffnet und den Blick freigibt auf einen erhöhten Säulengang in gewaltigem Raum (Ausstattung: Sascha Thomsen). Das ist der königliche Palast, wo Irina Golovatskaia mit souverän ertanztem Ausdruck von Machtarroganz als Königin ein strenges Regiment kalter Normen und Etikette führt. Da werden Elevinnen an der Ballettstange drangsaliert, Intrigen gesponnen, Siegfried 1 von Standesgenossen gemobbt. Da wird ihm als Lockvogel die Ballerina Odile zugeführt, auf die Siegfried 2 verfällt. Doch ihn selbst zieht es immer wieder zurück zu jenem See, von dem das Stück den Namen hat und der auch in Koblenz bald dessen zentraler Spielort ist: Schwanensee.

Dieses Ballettwerk ist zu Tschaikowskys Orchesterkomposition seit dem späten 19. Jahrhundert der bekannteste Vertreter klassisch-romantischer Tanzkunst. Nicht nur jeder Bildungsbürger kennt in groben Zügen die Handlung. Was die Frage aufwirft, wie es Fuchs damit gehalten hat. Denn die Zeiten sind vorbei, da sich Choreografen allüberall an den dominanten Vorgaben von Marius Petipa oder George Balanchine orientierten. Die in Koblenz benutzte Musik gibt einen ersten Hinweis. Weil das große Orchester in diesen Pandemiezeiten nicht einsetzbar ist, kommt es vom Band: Szenen aus Tschaikowskys „Schwanensee“-Komposition von 1877 sowie Szenen aus Gavin Bryars‘ „Amjad“, einer Bearbeitung des Originals für zwei Violen, Cello und Klavier von 2007.

Obwohl einen die Übergänge von intimer Kammermusik zu orchestraler Klangfülle zusammenzucken lassen: Fuchs hat die Musiken trefflich passend zum Bühnengeschehen verteilt. Und: Die Bryars-Passagen sind derart spannend, dass man dieses „Amjad“ alsbald gern mal als Ganzes hören würde. Wie aber sieht es aus mit der altbekannten „Schwanensee“-Handlung? Sie ist in groben Zügen, mit freilich veränderten Gewichtungen, wiederzuerkennen. Auch sind die meisten Einzelszenen schlüssig, atmosphärisch dicht und oft auch mit Witz ausgearbeitet. Da schweben Schwanen-Luftballons umeinander, tummelt sich tags am Schwanensee turtelndes Volk zum Badevergnügen, tanzen Männer und Frauen in neckischen Schwanenkostümen durch die Szenerie, fallen vier Tänzerinnen beim berühmten Tanz der kleinen Schwäne girlyhaft schnippisch aus der Rolle.

Höhepunkte in zwei Sphären

Weil indes die Choreografie das Geschehen nicht stringent in überlieferter Form auserzählt, zudem Realwelt- und Schwanenwelt-Szenen wiederholt ineinander verschränkt, gerät der Zuseher bisweilen ins Rätseln, wer denn nun wer ist und was da gerade geschieht. Doch gibt man das Raten bald auf angesichts der berührenden Höhepunkte des an tänzerisch hohem Niveau reichen Abends: Auf der einen Seite ist das Kaho Kishinamis barfuß in wunderbar natürlich wirkender Kunstfertigkeit ertanzte Schwan-Mensch-Frau Odette, auf der anderen steht als Kontrast streng klassischer Spitzentanz des schwarzen Schwans der in diesem Sinne hochkarätig agierenden Clara Jörgens – sowie das von Ami Watanabe in hinreißender Tragik dargestellte Verzweifeln der Odile an eben dieser unbarmherzigen Schule. Bleibt also zu hoffen, dass die jetzt gewaltig ausgreifende Pandemie rasch wieder eingedämmt wird, damit noch viele Freunde der Tanzkunst an dieser Produktion ihre Freude haben können.

Vorstellungstermine, Infos zu Vorverkauf und Kartenreservierung unter Tel. 0261/129 28 40 sowie unter www.theater-koblenz.de

Von unserem Autor Andreas Pecht