Im Interview
Aushandeln, was uns verbindet oder trennt
Larissa Foerster hat jüngst ihre neue Aufgabe als Leiterin des Frankfurter Weltkulturen Museums angetreten. Sie hat sich für das Institut am Schaumainkai viel vorgenommen.
Esra Klein. Esar Klein/Weltkulturen Museum

Larissa Förster, die neue Direktorin des Frankfurter Weltkulturen Museums, im Gespräch über das postkoloniale Erbe und die Herausforderungen durch ihre neue Wirkungsstätte, die als „Städtisches Völkermuseum“ gegründet wurde.

Seit Januar leitet Larissa Förster das Frankfurter Weltkulturen Museum. Zuvor hat sie in Berlin am Deutschen Zentrum Kulturgutverluste den Bereich „Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ betreut. Wir sprachen mit ihr über die Herausforderungen ihrer neuen Aufgabe.

Frau Förster, wie würden Sie das Museum beschreiben? In Frankfurt leben ja mehr als 180 Nationalitäten.

Unser Museum hieß früher „Städtisches Völkermuseum“. Wir sind also mit dem Thema Kolonialismus eng verbunden, wir haben Verantwortung, aber auch Kompetenz. Und meine Diziplin, die Kultur- und Sozialanthropologie der Gegenwart, ist eine Wissenschaft, die Beziehungen zu anderen Gesellschaften thematisiert, den Blick anderer Gesellschaften auf uns, unseren Blick auf andere Gesellschaften und das Aushandeln dessen, was uns verbindet oder trennt. Damit spielt das Museum in einer sehr diversen Stadt wie Frankfurt eine große Rolle.

In drei alten Villen am Schaumainkai ist das Frankfurter Weltkulturen Museum untergebracht.
Wolfgang Günzel. Wolfgang Günzel/Weltkulturen Museum

Was läuft gut in Frankfurt, was wollen Sie ändern?

Da ich erst kurz hier bin, kann ich eher Subjektives sagen: Das Museum ist ein lebendiges Haus mit guter Kommunikation, engem Netzwerk und einer langen Geschichte von interessanten Ausstellungen. Eine besondere Herausforderung sind jedoch unsere drei Villen am Schaumainkai. Manchmal irren Besucher von Villa zu Villa, weil sie nicht wissen, wo sich welcher Eingang befindet – die Bauten am Museumsufer waren ja Wohnhäuser und die heutigen Büros, Ausstellungs- und Veranstaltungsflächen sind über die Häuser verteilt. Das könnte man besser miteinander verbinden. Grundsätzlich möchte ich, dass das Museum noch mehr zu einem offenen Ort für alle wird und Raum für Debatten gibt – im physischen wie im übertragenen Sinne.

Das Angebot an Diskussionen war bisher nicht groß, oder?

Es gab auch bisher Ausstellungen und Veranstaltungen, die sich kritisch mit gesellschaftspolitischen Themen beschäftigten, aber ich möchte das noch erweitern. Neben der Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus bieten sich auch Themen wie Migration, Klimawandel oder Gesundheit an. Gerade für viele indigene Gesellschaften beziehungsweise Länder des globalen Südens hat der Klimawandel schon heute katastrophale Auswirkungen.

Was ist los im Museum?

Im Frankfurter Weltkulturen Museum (Schaumainkai 29-37) ist noch bis zum 31, August die Ausstellung „Country bin pull‘em. Ein gemeinsamer Blick zurück“ zu sehen. Welche Bedeutung haben jahrtausendealte Felsbilder aus Australien heute? Welches Potential haben ethnografische und historische Sammlungen für Indigene Communities, Museen und das postkoloniale Miteinander? Ein Rückblick auf die Frankfurter Frobenius-Expedition nach Nordwestaustralien 938.

Am 1. November folgt die Ausstellung „Sheroes. Comic Art from Africa“ (bis 30. August 2026). Sie gibt einen Einblick in die vielfältige Comicszene Afrikas, die zunehmend zur Erzählung vorkolonialer Geschichte auf kulturelle Mythen und Symbole zurückgreift und dabei soziale und ökologische Herausforderungen anspricht. Sie widmet sich den wichtigen Themen unserer Zeit und entwirft neue Zukunftsbilder. „Sheroes“ stellt dabei Hauptdarstellerinnen und weibliche Perspektiven in den Mittelpunkt.

Für Ihre Doktorarbeit erforschten Sie die Erinnerungskulturen in Namibia. Was geschah dort?

Anfang der 2000er-Jahre habe ich Feldforschung in Namibia gemacht. Ich habe in einer Region gearbeitet, in der eine entscheidende Phase des Kolonialkrieges stattgefunden hat, mit dem das Deutsche Reich auf den Widerstand der Herero und Nama gegen die Landnahme reagiert hat. Der Krieg eskalierte von 1904 bis 1908 in einem Völkermord. Ich wollte wissen, wie viel von diesen traumatischen Ereignissen noch erinnert und überliefert wird. Ich habe Interviews mit hererosprachigen Namibiern geführt und habe an Gedenkfeiern teilgenommen. Ein Afrikanistik-Professor aus Köln meinte damals, dass sich niemand mehr an das Geschehen erinnert. Das stimmte nicht, aber in der Apartheid-Zeit war es schwierig, die koloniale Gewalt zu thematisieren. Man darf nicht vergessen, dass Namibia bis 1990 von Südafrika verwaltet wurde. Ich wollte diese Wahrnehmungslücke in Deutschland mit meiner Arbeit schließen.

Der Postkolonialismus und der Fokus auf die Erinnerungen der Opfer werden ja auch kritisiert. Was setzen Sie dem entgegen?

Ich halte die postkoloniale Geschichtswissenschaft für einen wichtigen Ansatz. Einerseits untersucht sie den Kolonialismus und seine Nachwirkungen, dabei ist sie sehr kritisch gegen Macht und Gewalt. Andererseits berücksichtigt sie auch den oft nur minimalen Handlungsspielraum der Opfer. Es geht also nicht nur um das Leid, sondern auch um den Widerstand.

Und was sind Ihre zentralen Themen für Frankfurt?

Die drei Themen Dekolonisierung, Provenienzforschung und Restitution von Objekten sind für jedes ethnologische Museum heute sehr wichtig. Man kann mit einer Sammlung, die zum Großteil während der Kolonialzeit entstanden ist, nur arbeiten, wenn gründlich Provenienzforschung betrieben wurde und wird, zudem muss man grundsätzlich für Rückgaben offen sein. Und man muss Dekolonisierung als Prozess begreifen, der viele Bereiche der Museumsarbeit umfasst. Dazu gehören auch internationale Kooperationen auf Augenhöhe. Aber es gibt zahlreiche weitere wichtige Themen und Ansätze. Gerade das Weltkulturen Museum hat eine lange Tradition des Sammelns und Ausstellens von Gegenwartskunst aus Ländern des globalen Südens, die unbedingt fortgesetzt werden muss.

Gibt es konkrete Projekte für die Zukunft?

Wir möchten die Ideen für die Zukunft gemeinsam im Team erarbeiten. Daher ist es für einen konkreten Ausblick noch zu früh. Aber im Herbst beginnt eine lange geplante Schau über die afrikanische Comicszene. „Sheroes“ zeigt Superheldinnen und viele spannende weibliche Perspektiven.

Das Museum wurde 1904 gegründet, mitten im deutschen Kolonialismus. Wie gelingt heute eine Vermittlung?

Indem wir uns unserer eigenen Geschichte stellen und an Prozessen der Dekolonisierung arbeiten. Das geschieht zum Beispiel in kritischen Workshop-Formaten wie „Was macht das hier?“, die nach der Provenienz von Objekten in unseren Sammlungen fragen. Daneben machen wir auch immer wieder Ausstellungen, die Forschungsgeschichte hinterfragen und in Kooperation mit Vertretungen indigener Gemeinschaften entstehen, wie beispielsweise die aktuelle „Country bin pull‘em. Ein gemeinsamer Blick zurück“.

Das Dokumentenarchiv des Museums ist im Zweiten Weltkrieg verbrannt. Wie hinderlich ist das?

Es gibt kein zweites ethnologisches Museum in Deutschland, das so wenig überliefertes Archivmaterial hat wie wir. Aber auch wenn es Dokumente gibt, steht auf ihnen oft nicht das, was wir heute wissen wollen: Wer hat das Objekt hergestellt, wem hat es gehört, unter welchen Umständen wurde es weitergegeben? Oder wurde es bei militärischen Einsätzen geplündert? Vieles wurde ja früher geschönt oder ignoriert. Das arbeiten wir heute auf!

Infos online unter www.weltkulturenmuseum.de