Von außen deutet wenig hin auf die wertvollen Kunsterzeugnisse, die sich im Schatten schlichter Nachkriegsarchitektur verbergen, nichts auf die zahlreichen Geschichten hinter verschwiegenen Fassaden, um die an diesem Novembermorgen dichter Nebel wabert. Das kreative Kleinod, das Dagmar Rehberg im kleinen Hunsrückort Horn geschaffen hat, wird erst jenseits der Türschwelle sichtbar, an den Wänden sparsam möblierter Räume, in denen keine Menschen wohnen, sondern Kunstwerke. Nur noch wenige Gäste wird die 81-Jährige in dieser Kulturinstitution empfangen: Im Januar schließt sie ihre Galerie nach Dutzenden Ausstellungen und mehr als einem halben Jahrhundert im Kreativbetrieb.
Während Sportler oder Musiker einer solchen Zäsur meist angstvoll entgegenblicken, von ihrer Leidenschaft auch fernab des Zenits kaum lassen können, zeigt sich Rehberg im Angesicht des Ruhestands jedoch bemerkenswert aufgeräumt, scheint mit sich und der Vergangenheit im Reinen: „Mit 81 Jahren ist es jetzt einfach an der Zeit, sich zu verabschieden“, sagt sie – und fügt an: „Viele warten so lange, bis sie nicht mehr können und irgendwann lautlos verschwinden. Für mich hingegen war es eine bewusste Entscheidung, in deren Entstehung es natürlich auch Momente der Wehmut gab, gar keine Frage, aber inzwischen überwiegt vor allem die Erleichterung.“
„Ich hatte 18 Künstler in meiner Galerie, jeder mit seinen Eigenheiten. Da muss man durchaus flexibel sein.“
Dagmar Rehberg
Dankbar sei sie in der Rückschau vor allem dafür, „dass ich in den vergangenen 51 Jahren sehr viel Schönes erleben durfte, dass ich mit meiner Leidenschaft erfolgreich war“, sagt Rehberg. Zugleich aber hätten sich zuletzt auch die Argumente dafür gehäuft, die Galerietüren ein für alle mal zu schließen. „Etliche meiner Künstler und viele Sammler, mit denen ich zusammengearbeitet habe, sind inzwischen verstorben“, erklärt die 81-Jährige. Nachwuchs sei in der Branche derweil rar gesät. Wenngleich sie junge Künstler ohnehin nicht mehr betreuen könne – und wolle: „Das wäre in meinem Alter nicht mehr glaubwürdig, weil meine Arbeit immer schon auf Dauer angelegt war und Treue für mich eine wichtige Rolle spielt.“
Es sind wohl gerade solche Werte, die Rehberg im schnelllebigen Kunstgeschäft eine ungewöhnlich langwährende Karriere beschert haben, das unprätentiöse Auftreten einer wortgewandt-kenntnisreichen, dabei stets vornehm-zurückgenommenen Frau, die den Entschluss, Galeristin zu werden, 1972 während eines Spaziergangs an der Nordsee fasste. „Ich hatte damals Kunstgeschichte studiert, als Lehrerin gearbeitet, war jung und mittendrin in der Szene“, begründet sie jenen Schritt, der „plötzlich einfach in der Meeresluft lag“.
In der Mainzer Johannisstraße, gleich gegenüber des Doms, eröffnete die damals 30-Jährige daraufhin ihre erste Galerie – seinerzeit die einzig professionell geführte in der Stadt, wie sie betont -, zog später weiter in eine kleine Altbauwohnung in der Uferstraße, bevor sie sich 2010 unmittelbar neben ihrem Wohnhaus in Horn künstlerisch einrichtete. Die Anfänge in Mainz, erzählt sie heute, seien nicht einfach gewesen. „Wir hatten zunächst viele Besucher, aber wenig Umsatz, doch irgendwann haben die Menschen das, was wir geboten haben, zu schätzen gelernt.“
Kreative wie den Land-Art-Vertreter Hannsjörg Voth machte Rehberg in der Folge deutschlandweit bekannt; verhalf Robert Schwarz, dessen Kunstdrucke von Hölderlin-Büchern sich heute in renommierten Museen rund um den Globus finden, zu seiner ersten Ausstellung, betreute daneben auch Beuys’ Lieblingsschülerin Hede Bühl oder Michael Schoenholtz, der mit seiner Krypta-Gestaltung in der Dresdner Frauenkirche weltberühmt wurde.
Ein Fest zum Abschluss
Anekdoten aus der Zusammenarbeit mit diesen Persönlichkeiten? Gebe es viele, sagt Rehberg, doch sie lege seit jeher Wert auf Diskretion – und drückt es stattdessen lieber diplomatisch aus: „Ich hatte 18 Künstler in meiner Galerie, jeder mit seinen Eigenheiten. Da muss man durchaus flexibel sein.“ Nicht zuletzt auch im Sinne der kreativen Förderung, „weil Künstler ein eigener Menschenschlag sind – und genau das auch sein müssen“, wie die Galeristin betont, um der Verständlichkeit halber nachzuschieben: „Wer gesellschaftlich angepasst ist, kann nichts Außergewöhnliches schaffen.“
Bemerkenswertes, wie es Rehberg schließlich auch selbst gelungen ist als Galeristin. Ob sie stolz sei auf ihre außergewöhnlich lange Karriere? „Ein bisschen“, sagt sie in charmanter Bescheidenheit. Noch mehr aber auf den Umstand, „dass sich alle von mir vertretenen Künstler auf dem Markt etabliert und behauptet haben.“ Wobei der Abschied ja – trotz aller Endgültigkeit, die in diesen Worten mitschwingt – noch gut zwei Monate hin ist. Zuvor steht in der Galerie noch eine letzte Ausstellung auf dem Programm, in der zwischen dem 24. November und dem 15. Januar 2025 zahlreiche Werke jener Künstler zu sehen sein werden, die Rehberg teils über Jahrzehnte begleitet hat. Mit der Vernissage als stilechtem Abschluss, der nach dem Willen der Galeristin allerdings kein betrübter werden soll, sondern einer mit Festcharakter.
Mainz/Horn. Für ihr jahrelanges Engagement für Kunst und Kultur ist das Ehepaar Dagmar und Till Rehberg aus Horn geehrt worden. In einem Festakt im Staatstheater in Mainz verlieh Kulturministerin Katharina Binz Dagmar Rehberg das Bundesverdienstkreuz am Bande.Bundesverdienstkreuz für Dagmar Rehberg
Grund zur Trauer nämlich gebe es ohnehin kaum, von der Kunstwelt werde sie sich schließlich auch ohne Galerie nicht abwenden, das kreative Treiben als Privatperson weiter verfolgen, versichert Rehberg, die daneben auch zwei von ihr initiierten Projekten erhalten bleiben will: dem Kunstfest Horn und dem Förderverein von tanzmainz, als dessen Mitgründerin und langjährige Vorsitzende sie – gemeinsam mit ihrem Mann Till Rehberg – kürzlich mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. Bis sie umfalle, wolle sie die Ballettcompagnie „nach Kräften“ unterstützen, sagt Rehberg entschieden lächelnd – und verrät zum Abschluss doch noch eine Anekdote aus ihrem Galeristinnenleben.
Einmal sei ein Mönch unter den Ausstellungsgästen gewesen, der sich derart fasziniert gezeigt habe von einem großen Tafelbild Hanns Steinbrenners, dass er um einen Stuhl gebeten und sich das Werk von dort aus zwei Stunden lang regungslos angeschaut habe. „Er meinte anschließend zu mir: ,Ich kann mir das Bild zwar nicht leisten, aber davor zu sitzen und darin zu versinken, war meine Meditation – und ein großes Geschenk’“, erinnert sich Rehberg und erklärt: „Eine funktionierende Galerie ist immer auch eine Art psychologische Beratung. Viele Menschen öffnen sich in der Gegenwart der Kunst, verraten einem Geheimnisse, die sonst niemand kennt.“
Es sind leise Offenbarungen, die, so Rehbergs Überzeugung, durch die „besondere Magie“ des kreativen Ausdrucks zutage gefördert würden, zugleich aber auch einen Vertrauensbeweis darstellten, dem die Galeristin stets gerecht werden wollte. „Ich habe diesen Menschen immer zugehört und ihnen Rat gegeben“, sagt sie. „Ob der dann am Ende auch richtig war, weiß ich nicht, aber mir war es wichtig, in diesen Momenten für sie da zu sein.“
Weitere Infos zu Galerie und Ausstellung gibt’s auch online .