Die Frage, wer wir sind, ist in der Kunst Walerija Peters allgegenwärtig. Bilder, Installationen und Videoperformances kreisen allesamt um die (vergebliche) Suche nach Identität, ergründen die schwer greifbare Definition von Heimat, spüren dem Innersten des Menschen nach, wenngleich der in den Arbeiten selbst so gut wie nie zu finden ist. Dem Existenziellen nähert sich Peters vielmehr von außen, über die natürliche Umgebung etwa oder menschliche Kulturerzeugnisse, deren Elemente sie aufwendig zerlegt, von denen sie nur Fragmente lässt, Tische, Stühle und Kleidungsstücke „skelettiert“, wie sie sagt, um auf diese Weise ihren „Wesenskern“ freizulegen.
Wie sich diese radikale Annäherung handwerklich niederschlägt, lässt sich nun auch in der aktuellen Ausstellung des Neuen Kunstvereins Mittelrhein nachvollziehen. In dessen Artothek am Neuwieder Luisenplatz zeigt die in Kasachstan geborene Bildhauerin von Samstag an eine Auswahl ihrer Werke; gleich neben der gläsernen Schiebetür am Eingang hängen dort zerschnittene Kleider an der hölzernen Garderobe, liegen die Überbleibsel eines um seine Muster erleichterten Teppichs, stehen die Gerippe von Tischen und Stühlen, die ihrer Funktionalität beraubt wurden.
Ohne Muster, ohne Grenzen
Eine wahrlich skurril anmutende Wohnszene, über die Walerija Peter sagt: „Wenn der Mensch stirbt, bleibt nur sein Skelett, deswegen nehme ich analog dazu auch den Gegenständen ihre Haut, komprimiere sie auf ihre notwendige Struktur, die es noch braucht, um sie als das zu erkennen, was sie mal waren.“ Bei Kleidern beispielsweise arbeitet sich die Künstlerin an den Nähten entlang und entfernt mit der Schere großzügig Stoffflächen, aus Stühlen und Tischen sägt und flext sie Platten, Sitzflächen oder Rückenlehnen.
Wobei Peter das Verbliebene als eindeutige Referenz an Verlusterfahrung und (menschliche) Vergänglichkeit begreift, diese Symbolsprache allerdings noch nachhaltig anreichert mit Aspekten ihrer eigenen Biografie: „Wenn ich diese Gegenstände bearbeite“, sagt sie, „wenn ich aus dem Teppich etwa die Muster entferne, dann mache ich das auch, damit sich für den Betrachter nicht mehr genau zuordnen lässt, wo dieser Gegenstand ursprünglich herkommt.“

Das Denken in (kulturellen) – und stets menschgemachten – Grenzen wird in den Arbeiten somit kunstvoll negiert. Sie selbst, sagt Peter, habe es sich im Übrigen längst abgewöhnt. Auch vor dem Hintergrund ihrer eigenen Lebensgeschichte, die ganz wesentlich bestimmt ist vom Gefühl der Entwurzelung, von der Kindheit in Kasachstan und dem Verlust der Heimat, vom Aufwachsen in einer wolgadeutschen Familie, der parallelen Prägung durch die russische und ukrainische Kultur ihrer Eltern. „Als ich mit acht Jahren nach Deutschland kam“, erzählt die Künstlerin, „habe ich mir lange nicht gestattet, hier ein neues Zuhause zu finden. Es gab einfach zu viele melancholische Erinnerungen an Kasachstan, und im Prinzip weiß ich bis heute nicht genau, wer ich bin.“
Ein bedrückender Umstand, den die Bildhauerin seit jeher auch in ihren Werken aufgreift, dessen negative Begleiterscheinungen sie dabei jedoch immer wieder glaubwürdig umkehrt in Mutmachendes. In ihren Videoperformances etwa ist sie in der kasachischen Steppe zu sehen, umgeben von einem zerschnittenen Zeltfragment, über Leinen und Karabinerhaken mit dem Boden verankert. Als „Teil der Natur“, wie Peter erklärt, die mit besagter Arbeit zugleich auch den oft streng ausgelegten Identitätsbegriff auflockert, sich selbst als das zeigt, was sie nach eigenem Empfinden ist: „Ein Erdenkind, das keine Grenzen kennt und seine Zelte überall dort aufschlägt, wo es gerade ist.“

Die Suche nach Zugehörigkeit, sie scheint an dieser Stelle plötzlich überflüssig für einen Menschen, der sich nicht beschränken lässt durch Kategorien wie Nationalität, sich stattdessen als Teil des großen Ganzen betrachtet, überall zu Hause ist. Die einst schmerzliche Suche nach Identität hat Peter in diesen Bildern überwunden – und geht von hier aus sogar noch einen Schritt weiter, experimentiert mit Erscheinungsformen kultureller Prägung, wenn sie sich auf einer anderen Videoperformance zum Beispiel vor einem brennenden Gitterkonstrukt zeigt, „in dem der Deutsche“, wie sie sagt, „sofort einen Jägerzaun erkennt, der Kasache hingegen die identisch aufgebaute Grundstruktur einer Jurte.“
Wobei an dieser Stelle schließlich noch ein weiterer zentraler Aspekt in Peters Arbeiten erkennbar wird: das Spiel mit den Elementen, mit Wasser, Licht, Wind, vor allem auch Feuer, das seine Spuren in der Schau etwa am verbrannten Stuhlbein eines Barhockers hinterlassen hat oder an der verrußten Front einer abgesägten Kommode.
Viele Fragen an die Welt
„Als Bestandteile der Natur sind die Elemente für mich die einzige Wahrheit“, sagt die Bildhauerin über diese zutiefst vitale Kraft, mit der sie den Gegenständen – wie sonst auch mit Säge und Schere – zu Leibe rückt, dabei stets ein übergeordnetes Anliegen verfolgt: „Ich will mit meiner Kunst herausfinden, was Heimat, Identität und Zugehörigkeit bedeuten“, sagt Peter über ihre Auseinandersetzung mit dem essenziell Menschlichen. Was bleibt im Kern, wenn die schützende Hülle entfernt ist? Was gibt Halt im Moment äußerster Fragilität? „Am Ende“, betont die Künstlerin, „habe ich einfach sehr viele Fragen an die Welt, und in meinen Arbeiten stelle ich sie.“
Die Ausstellung wird an diesem Samstag, 15. Februar, um 12 Uhr in Anwesenheit der Künstlerin eröffnet und ist in der Artothek des NKVM in der Folge bis zum 26. April zu sehen, jeweils samstags von 12 bis 14 Uhr. Zur Finissage plant Walerija Peter zudem eine Liveperformance. Weitere Infos auch unter www.nkvm.de