Biennale di Venezia
Auf einen Kanalwasser-Espresso in Venedig
Im Hauptraum des Deutschen Pavillons gerät man bei der 19. Architekturbiennale in Venedig in den Sog einer atemberaubenden und klugen Videoprojektion, das gesamte Beitrag des Architekten- und Landschaftsarchitekten-Teams um Nicola Borgmann und Elisabeth Endres mit dem Titel "Stresstest" ist absolut preiswürdig.
Patricia Parinejad/Deutscher Pavillon

Wie können wir auf einer überhitzten Erde überleben? In Venedig startet die 19. Architekturbiennale mit einer wilden Mischung an Ideen, die zeigen: Die menschliche Intelligenz wird allein nicht ausreichen.

Was grandioser Effekt: In Venedig ist es dieser Tage kühl und regnerisch. Ein Pullover kann nicht verkehrt sein. Doch kaum hat man den ersten Saal des Arsenale betreten, jener riesigen historischen Werft- und Marinebasis, die neben den Giardini der zweite große Ausstellungsort der Biennale ist, dem steht man in einer Sauna. Ja genau, so fühlt sich der Klimawandel an. Bei allen klugen Argumenten ist dieser „Dampfhammer“ der ideale Start für eine Architekturbiennale. Zumal sich Carlo Ratti, der Chefkurator dieser 19. Ausgabe, nicht mehr nur auf ein möglichst umweltschonendes und nachhaltiges Bauen konzentriert, sondern auf ein Leben und Wohnen in einer veränderten und vor allem überhitzten Welt.

Nur: Die Katze beißt sich dauernd in den Schwanz. Denn die Baubranche ist für 40 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich. Man müsste sofort aufhören, neue Häuser hochzuziehen. Auf der anderen Seite war der Bedarf an Wohnraum noch nie so hoch, gerade in den Städten, wo mittlerweile mehr als die Hälfte der acht Milliarden Menschen lebt.

Diese Bilder lügen nicht: Wer im Deutschen Pavillon der Architekturbiennaleeinen Blick auf die Wärmebildaufnahmen von Stadt und Land tut, realisiert sofort, wo es brennt rund um die Themen Architektur und Klima.
Patricia Parinejad/Deutscher Pavillon

Wer dazu einen Blick auf die Wärmebildaufnahmen von Stadt und Land tut, realisiert sofort, wo es brennt. Am Gendarmenmarkt in Berlin, rund um den Frankfurter Römer und am Münchner Marienplatz ist es knallrot, im Englischen Garten dagegen grün. Das bedeutet um die zehn Grad weniger.

Im Deutschen Pavillon wird solches mit eindrucksvollen Grafiken vermittelt. Man weiß vieles und schiebt es doch beiseite, bis man im Hauptraum in den Sog einer im besten Sinne suggestiven Videoprojektion gerät. Die gleitet durch schöne Städte wie Rom und Paris. Dann sieht man Bagger und Betonmischer, Stahl und Glasfassaden, die Temperaturen steigen unangenehm, Mücken und Ameisen vermehren sich. Erschöpfte Menschen blicken einem entgegen. Aber es kann auch wieder kühler werden – unter Pflanzen natürlich, die sich in Tankstellen und Bunkern ausbreiten. Dazu klingt die Stimme von Maria Callas, die mit Bellinis „Casta Diva“ um Frieden bittet, auch das ist höchst aktuell.

Pathos hilft, wo Fakten versagen

Manchem könnte das zu pathetisch sein, doch mit bloßen Fakten kommt man nicht mehr weiter. Und wer es immer noch nicht wahrhaben will, darf sich dem titelgebenden „Stresstest“ nebenan unterziehen, wo urbane Sommerhitze simuliert wird. Das erfordert Contenance, und man sieht es ja an den Farben der Wärmebildkamera, was der Körper und besonders der knallrote Kopf so mitmachen. Die Besucher wechseln jedenfalls schnell in den „Destress“-Raum des Pavillons, um unter Hainbuchen wieder auf Wohlfühltemperaturen zu kommen. Der preiswürdige Beitrag des Architekten- und Landschaftsarchitekten-Teams um Nicola Borgmann und Elisabeth Endres gehört unbedingt über die Biennale hinausgestreut.

Etwas von dieser Klarheit hätte man sich auch für die Hauptschau des Architekten und renommierten Hochschullehrers Ratti gewünscht. Der Zentralpavillon in den Giardini ist renovierungsbedingt geschlossen, im Arsenale war die dichte Aufeinanderfolge der Beiträge wohl nicht ganz zu vermeiden. Aber um die Lösungsangebote einer umwerfend anpassungsfähigen Natur oder deren Zusammenspiel mit der Technik vor Augen zu führen, hätten es deutlich weniger als 750 Positionen sein dürfen. Wünschenswert wäre stattdessen mehr Vermittlung. Ganz unabhängig davon, ob man sich im Bereich der „natürlichen“, der „künstlichen“ oder der „gemeinschaftlichen“ Intelligenz befindet.

Mit Elefantendung kann man bauen, und nein, es riecht nicht. Diese Elefanten-Kapelle hat Boonserm Premthada aus Bangkok entworfen.
Christa Sigg

Die Ergebnisse sind ohnehin überraschend ästhetisch. Wer ein hässliches, nur mehr funktionales Bauen befürchtet, wird angetan sein, von leichten Ziegeln auf der Basis von Pilzkulturen, von strapazierfähiger Ananashaut und von Elefantendung, der sich zu Streben gepresst in eine Kapelle verwandelt.

Welche Rolle die Künstliche Intelligenz dabei spielt? Es sind sympathische Roboter unterwegs, die selbst die dümmsten Fragen beantworten: „Sprechen Sie Bairisch?“ – „I red a bissl Bairisch“. Sie träumen sogar, und das mit allen menschlichen Schlafanwandlungen.

Auch ein Ansatz im Kampf gegen Fachkräftemangel: Der Roboter adaptiert, was der junge Kunsthandwerker aus Bhutan mühsam in einen mächtigen Holzbalken schnitzt.
Christa Sigg

Interessant wird es dann im Handwerk. Den Flughafen der bhutanischen Stadt Gelphu zum Beispiel sollen traditionell geschnitzte Ornamente zieren. Dafür fehlen die Handwerker, also plant der dänische Architekt Bjarke Ingels mit einem Robo-Kunstdrechsler. Der fährt die Formen ab, die zwei echte Schnitzer im Schweiße ihres Angesichts mit dem Stechbeitel aus dem Holz schälen, adaptiert das und wird alsbald selbst loslegen.

Auch in der Verbindung von Bäumen und Kunststoffen könnte eine Lösung liegen. Algen und überhaupt Pilze besitzen ein geradezu magisches Potenzial, erfährt man. Aber das sind eben Ideen und Experimente. Vieles kann man sich nicht im großen Stil vorstellen, doch in einer Zeit des totalen Umbruchs braucht es Visionen. Denn es gibt keinen Planeten B, betont Carlo Ratti. Was nicht heißen muss, dass man sich die Ergebnisse der Weltraumforschung verkneifen sollte.

Am Arsenalebecken kann man sich jetzt einen Kanalwasser-Espresso gönnen. Der schmeckt sogar gut, und ökologisch wichtig: Das Wasser wird nicht mit chemischen, sondern durch biologische Filter über salztolerante Pflanzen und über Umkehrosmose gereinigt.
Christa Sigg

Warum nicht einem Haus einen Astronautenanzug überziehen, um es gegen die Sonnenstrahlen zu schützen? Oder Abwasser in Kaffee umwandeln. Der Lavazza-„Canal Water Espresso“ draußen an den Schiffsbecken schmeckt jedenfalls sehr ordentlich.

Die Architekturbiennale „Intelligens. Natural. Artificial. Collective“, bis 23. November, www.labiennale.org