Stephan Deckers Augen funkelten auch einen Tag nach der Eröffnungsveranstaltung noch. „Wahnsinn!“, ein anderes Wort fiel ihm nicht ein. Verständlich. Am Abend vorher lässt sich Decker wie alle Besucher in einen Sitzsack plumpsen. Kurator Oliver Sandrock hat den großen Saal des Messel-Baus in seiner hinteren Hälfte abdunkeln lassen. „Kein Fremdlicht soll hier hereinfallen“, erklärt er. Zwischen dem acht Meter hohen Deckengewölbe und der Sitzsackebene schwebt ein maßstabsgetreues Modell der Raumsonde Rosetta. Dann drückt Rosetta den Startknopf. Countdown und die Reise beginnt. Auf 30 Metern Länge strahlen mehrere Beamer die Reise der Raumsonde auf die Decke. Die Projektion saugt den Zuschauer direkt ins All. Aus der Kombination des Modells und der Bilder entsteht auch ohne 3-D-Technik ein Mittendrineffekt. Sandrock und seine Kollegen Gabriele Gruber und Patrick Zell gelingt es, die unvorstellbaren Dimensionen der Mission zu verdeutlichen.
Zwölf Jahre lang war Rosetta im All unterwegs, um den Kometen „Tschurri“ zu erforschen. Die Visualisierung präsentiert diesen Weg auf zwei Ebenen – zunächst mit schierer Bildgewalt. Später folgt ein Modell. Ein Sondensymbol bewegt sich anstrengend langsam auf einer spiralförmigen Linie. Darunter läuft eine Zeitleiste aus Politik, Kultur und Trivialem. Während Rosetta vor sich hin spiralt, wird Angela Merkel Bundeskanzlerin, Deutschland Papst und feiert das Sommermärchen. Der Animationsfilm „Wall E“ kommt in die Kinos, Erwachsene machen sich mit der Spielekonsole „Wii“ lächerlich, und letztlich eröffnet die Rosetta- Ausstellung. Die zwölf Jahre werden so fassbar, die Leistung der Wissenschaftler der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) wirken umso beeindruckender. „Man muss sich vergegenwärtigen, dass dort Technik der 80er-Jahre auf einem Kometen gelandet ist“, sagt Stephan Decker in seinem Museum.
Auf einem Kometen landen. Das klingt noch immer nach Science-Fiction. Den Traum, etwas zu berühren, was eigentlich nie zu erreichen ist, hatte Decker zum ersten Mal im August 1997. Er saß gemeinsam mit seiner Frau auf der Dachterrasse. Das Haus in der Altstadt von Oberwesel war gerade fertig geworden. Unten drängte sich Kopfsteinpflaster durch die engen Gassen, darauf Touristen, die ein wenig zu lange in der Weinstube gesessen hatten. Hoch über ihnen zog der „Perseidenstrom“ vorüber. Das Wort geht Decker inzwischen fließend über die Lippen. „Damals hab' ich nur gesagt: ,Guck mal: So viele Sternschnuppen!'“, erzählt er lachend. „So viel kann man sich ja gar nicht wünschen.“ Er wünschte sich einen Meteoriten. Im Internet stieß er auf die Sternwarte im bayrischen Laupheim. Anschrift: Milchstraße 1. Schnell kaufte er seinen ersten Meteoriten und verschlang Fachbuch nach Fachbuch. Sein Museum besteht heute aus drei Räumen. Es lebt aber vor allem von Decker selbst, der mit kindlicher Freude von seinen Schätzen berichtet. Sein spektakulärstes Exponat ist ein Trachyandesit; 25 Gramm schwer, mehr als 4,5 Milliarden Jahre alt. Er liegt nun in einer Vitrine in Darmstadt. Um ein Haar hätte ihn niemand jemals zu Gesicht bekommen. „Die NASA hat ihn übersehen“, sagt Decker.
2008 war für Meteoritenforscher wie Decker ein besonderes Jahr. 2008 TC3 sollte auf der Erde landen. Das tun Meteoriten, seit es die Erde gibt. Allerdings hatte noch nie ein Mensch den Eintritt eines Meteoriten korrekt vorausberechnet. Richard A. Kowalski tat genau das. 2008 TC 3 schlug im Sudan nahe der Bahnstation Almahata Sitta ein. Deren Namen tragen die Fundstücke. Die seltenen Ureilite sammelte die NASA. Nicht einmal amerikanische Universitäten dürfen an ihnen forschen. Doch ein deutschsudanesischer Geologe war sich sicher, dass die Weltraumpioniere aus Houston etwas übersehen hatten, suchte Felsbrocken im Sandhaufen. Tatsächlich fand er weitere pechschwarze Ureilite. Heute gehören sie zu Stephan Deckers Sammlung. „Dazu hat er mir einen grünlichen Stein angeboten“, sagt Decker. „Ich hatte den Verdacht, dass es ein Trachyandesit sein könnte. Aber das war unwahrscheinlich, weil alle anderen Stücke Ureilite waren.“
Herr des Oberweseler „Meteorite Museum“: Stephan Decker.
Decker ließ den Stein an einem Institut in Münster untersuchen. Das Ergebnis war eine Sensation: Der Trachyandesit war von anderem Material eingeschlossen, flog so völlig unbeschadet in seinem Urzustand durchs Weltall. Die Reise dauerte weit mehr als 4,5 Milliarden Jahre und endete nach unendlichen Lichtjahren Strecke im Mittelrheintal. Das hätte sich Stephan Decker 1997 nicht zu wünschen gewagt.
Informationen zum Museum in Oberwesel unter www.meteorite-museum.de.