Manchem Liebhaber der Klaviermusik sind gewiss schon einige der 24 Präludien begegnet, die Claude Debussy zwischen 1910 und 1913 für das Tasteninstrument schuf. Wer aber kennt sie als Orchesterfassung? Zum Auftakt dieses Abends werden vier davon in Bearbeitungen für Orchester vorgestellt, die der Brite Colin Matthews Anfang der 2000er-Jahre vorgenommen hat. Als „zu fett“ könnten Klavierpuristen die Übertragung der stimmungsvollen kleinen Nummern in den orchestralen Vollklang empfinden. Doch Garry Walkers durchdachtes Dirigat hilft, die hier gebotene Version nicht bloß als gefällig opulenten Abklatsch des Originals zu begreifen, sondern als eigenständiges Musikerlebnis zu schätzen.
Für die meisten Zuhörer – und sogar die dienstältesten Musiker der Rheinischen Philharmonie – ist der letzte Beitrag des Anrechtskonzerts eine überraschende und spannende Erstbegegnung: Igor Strawinskys 1. Sinfonie Es-Dur, seinerzeit ab 1905 vom 23-/24-Jährigen komponiert und später von ihm selbst abgeurteilt mit den Worten „das Stück ist nicht wirklich interessant, kann aber als Dokument gelten, wie man nicht komponieren sollte“. Dies harsche Urteil, dem der Konzertbetrieb durch weitgehendes Ignorieren des Werkes bis heute folgt, wird das Koblenzer Auditorium kaum teilen wollen. Walker und Rheinische holen mit eifrigem Bemühen um Dynamik, Esprit, Farbig- und Gefühligkeit aus dem Stück heraus, was herauszuholen ist.
Dennoch bleibt unverkennbar: Dem ersten Satz mangelt es an Raffinesse bei der Themenarbeit, er ist gefällig, aber auch langweilig. Dem dritten Satz fehlen eigene Ideen, Strawinsky hängt gar zu arg an Vorbildern. Der zweite Satz indes ist ein sehr hübsches, quirliges Scherzo. Und im Schlusssatz beginnt man dann zu ahnen, warum der Ballettimpresario Sergej Diaghilew den jungen Komponisten um die Schaffung von Ballettmusiken anging: Feuervogel, Petruschka, Le Sacre du printemps – die großen Ballette, an denen Strawinsky erst richtig reifte, werfen ihre Schatten voraus. Durch die Rhein-Mosel-Halle treibt nun eine stark rhythmisierte, dramaturgisch konzipierte, affektreiche, farb- und bildmächtige Musik.
Im Zentrum des Konzertabends steht mit Frédéric Chopins Klavierkonzert Nr. 2 ein weiteres Frühwerk. Der gebürtige Pole hatte es im Alter von 20 Jahren komponiert. Vom Start weg galt es vornehmlich als Klaviervirtuosenstück, bei dem das Orchester bloß die Rolle des dienenden Hintergrundmalers auszufüllen habe. Es geht aber auch etwas anders, lässt sich in Koblenz hören. Solist Alexander Gavrylyuk, Jahrgang 1984, und Dirigent Walker finden zu einem derart bemerkenswerten Miteinander, dass sich im Spiel erstaunlicherweise doch entwickelt, was dem Werk gemeinhin abgesprochen wird: Passagen des Dialogisierens zwischen Solist und Orchester.
Beide Parteien geben einander Luft, lassen sich aufeinander ein. Zudem verbreiten die wenigen puren Orchesterteile, hier ambitioniert ausgeführt, eigene Brillanz – und öffnen Gavrylyuk den atmosphärischen Raum für ein wunderbar durchhörbares, ebenso virtuoses wie beseeltes Spiel auf den Höhen und in den Tiefen romantischer Gefühlswelten.