Es ist das Jahr 2003, als sich die Landesregierung ein ambitioniertes Ziel steckt in einem Bereich, der dem Flächenland Rheinland-Pfalz im wahrsten Sinne des Wortes nicht an der Wiege gesungen wurde: Im Reigen der deutschen Sommerfestivals soll ein eigenes entstehen, das bundesweit für Aufmerksamkeit sorgen könnte. Wie immer, wenn Rheinland-Pfalz auf überregionale Kulturreichweite abgeklopft wird, sind die Kontra-Argumente schnell aufgezählt: der Mangel an großen, spezialisierten Konzertsälen etwa, oder auch die Zersiedelung in viele ländliche und wenige großstädtische Bereiche, die für Kulturveranstaltungen jeder Art eine gewaltige Herausforderung ist.
Die Partner sind damals schnell von ministerieller Wunschliste vorgegeben: Der SWR soll bitte mit im Boot sein, der in Baden-Württemberg als Festivalveranstalter etwa in Schwetzingen und mit seinen Klangkörpern sehr präsent ist, und von Landesseite wird die Landesstiftung Villa Musica entsandt, die mit ihren Kammermusikkonzerten an Dutzenden Spielorten im Land massenhaft regionale Expertise mitbringt. Und so erblickt erstmals 2005 das neue Festival mit dem Namen RheinVokal das Licht der Welt.
Ein nach wie vor recht exklusiver Festivalzuschnitt
Der Kniff, der sich in den 20 Jahren seither als ein genialer herausgestellt hat, ist das Vertrauen der Macherinnen und Macher, ganz auf die menschliche Stimme als Basis des Festivals zu setzen. Eine bis heute ziemlich exklusive Festivalidee. Und die wurde vor dem Stapellauf von RheinVokal auch von einigen Vertretern des dritten Partners im Veranstalterbund, den Festivalkommunen, argwöhnisch beäugt: Würde man tatsächlich „nur“ mit Vokalmusik mehrere Festivaljahrgänge überstehen, würde das als Konzept tragen?
Es trug – und es trägt unverdrossen ins 20. Jahr: Anlass genug für einen besonderen Festivaljahrgang, wie man nach der Präsentation des diesjährigen Programms in Mainz sagen kann. Bei der Saisonvorstellung warfen die beiden Mitglieder der Festivalleitung, die schon 2005 dabei waren, einen Blick zurück: Sabine Fallenstein (Redaktion SWR Kultur) und Karl Böhmer (Villa Musica) erinnerten daran, wie sie ab 2003 das Mittelrheintal auf der Suche nach den am besten geeigneten Konzertorten abgrasten.
Besondere Spielstätten im von Bingen bis Remagen
Besondere Spielstätten sollten es sein, gern mit viel Geschichte gesegnet, geeignet auch für den Mitschnitt durch den Rundfunk, was zu den Besonderheiten von RheinVokal gehört: Bis heute werden viele Festivalabende aufgenommen und anschließend, wie Fallenstein aus Erfahrung berichtet, von zahlreichen internationalen Teilnehmern der weltweit größten Rundfunkunion ausgestrahlt. Von einer kleinen Barockkirche am Mittelrhein nach Neuseeland, Australien und in viele Länder Südamerikas: Das schafft nur RheinVokal.
Zwei Mitglieder der Festivalleitung waren nicht über die ganze Strecke dabei: Jörg Lengersdorf steuert seit zehn Jahren das RheinVokal-Schiff mit – und das ringt dem in Düsseldorf lebenden SWR-Redakteur das Kompliment ab, dass das Festival nun wirklich genau dort stattfinde, wo der Rhein am schönsten sei. An diesen Spielorten ein paar Stunden vor dem Konzert einzutreffen, am Ufer zu spazieren und den Geist dort aufzunehmen: Das erhöhe den anschließenden Konzertgenuss sehr. Er wird in diesem Jahr selbst als Moderator bei der SWR Kulturnacht am 12. Juli in Boppard zu erleben sein, wo Musik auf Literatur trifft.

Als RheinVokal-Novizin ist Ervis Gega dabei, die seit dieser Saison neue Künstlerische Leiterin der Villa Musica ist. Der Landesstiftung für Kammermusik hat sie unter dem Saisonmotto „Aufbruch“ einen ebensolchen nach Maß verschafft – und auch für RheinVokal hat sie ein paar ganz neue Töne dabei. Dem wichtigen und topaktuellen Thema Künstliche Intelligenz widmet sie die deutsche Erstaufführung der Oper „Klara“ des spanischen Komponisten Pedro Halffter (5. Juli, Rheinsaal der Rhein-Mosel-Halle in Koblenz). Halffters eingängige Musik thematisiert Grundfragen nach den Grenzen der Humanität – der Komponist wird nicht nur selbst einen von zwei Klavierparts der Oper übernehmen, sondern nach der Aufführung noch für eine Talkrunde zur Verfügung stehen.
Wie um die große Bandbreite des Festivals zu verdeutlichen, hatte Ervis Gega noch eine besonders schillernde Facette für RheinVokal 2025 im Gepäck: Die Kubanerin Ana Carla Maza singt seit früher Jugend, hat ein klassisches Cellostudium absolviert und kann auch noch hervorragend tanzen – was sie auf ihrer laufenden Welttournee demonstriert, die in nur wenigen Terminen in diesem Sommer auch nach Deutschland bringt und sie zur Präsentation ihres aktuellen Albums „Caribe“ am 29. Juni Open Air vor die Abtei Rommersdorf in Neuwied führen wird.

Es ist grob verkürzend, die 16 weiteren Konzerte als „typisch RheinVokal“ zu umreißen – und doch trifft es ins Schwarze, wenn man betrachtet, wie das Festival auch in seinem 20. Jahr vielen vom Anfang an ausgerollten roten Fäden treu bleibt. Denn da finden sich die Abende mit Alter Musik – Arianna Savall singt Musik des Mittelalters am 28. Juni in Bingen, das Ensemble Stile Antico interpretiert Werke von Palestrina bis Desprez am 26. Juli in Boppard – neben Liederabenden mit ausgewählt feinen Programmen. Der Bass Franz Josef Selig etwa singt am 20. Juli in Schloss Engers unter anderem Schostakowitschs „Michelangelo-Suite“, die junge, zur Weltkarriere ansetzende Koloratursopranistin Alina Wunderlin jagt am 8. August im Marmorsaal des Bad Emser Kurhauses dem Luftgeist Ariel in einem höhenstürmenden Abend mit dem Titel „Let me sing you a fairytale“ hinterher.
Ein deutlicher Händel-Schwerpunkt ergibt sich mit dem Eröffnungskonzert mit Händels „Dixit Dominus“ und der „Messa di S. Cecilia“ mit der Rheinischen Kantorei und Concentus Köln am 21. Juni in der Abteikirche Maria Laach, wo am 16. August mit der hauseigenen Cappella Lacensis Händels „Messias“ in der Mozart-Fassung und in deutscher Sprache erklingen wird.
Als weitere Schwerpunkt weist die Festivalleitung den der „starken Frauen“ aus. Und das ist in zahlreichen Konzerten nicht nur in Person der Interpretinnen, sondern auch mit einer großen Komponistinnendichte belegt, wenn sich etwa am 27. Juli die Sopranistin Josefine Göhmann in ihrem performativen Liederabend „réBelles!“ auf die musikalische Spurensuche auch nach 100 Jahren Frauenbewegung begibt oder beim Konzert der Sängerin Wallis Bird mit Spark, der klassischen Band, am 13. Juli in Ingelheim Musik von Hildegard von Bingen bis Björk erklingt.
Und eine besondere „starke Frau“ kann man beim RheinVokal-Festival 2025 nicht nur im Konzert, sondern auch bei der Arbeit mit dem sängerischen Nachwuchs erleben. Die Sopranistin Chen Reiss, eine der gefeierten Mozart- und Straussinterpretinnen unserer Zeit, wird eine öffentlich zugängliche Masterclass in Schloss Engers leiten und deren Ergebnisse mit Arien von Mozart, Rossini, Bellini, Donizetti und Verdi gemeinsam mit ihren Schützlingen beim Konzert „Belcanto“ am 9. August in der Sayner Hütte präsentieren.
Alle Termine und Hinweise zum Vorverkauf online unter www.rheinvokal.de