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Rheinland-Pfalz

Trierer Politikwissenschaftler Jun im Interview: „Für die Ampel stehen die Zeichen auf Grün“

Von Ursula Samary
Bei der Ampel gibt es für SPD, Grüne und FDP auch bei Differenzen wohl kein Zurück mehr. Zu groß ist erste Euphorie, zu schwach ist die Union.
Bei der Ampel gibt es für SPD, Grüne und FDP auch bei Differenzen wohl kein Zurück mehr. Zu groß ist erste Euphorie, zu schwach ist die Union. Foto: picture alliance/dpa

Für den Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun ist die Ampelkoalition bereits jetzt fast schon alternativlos. „Ein Rückweg ist nur noch schwer möglich, seit alle drei Parteien die Koalition des Aufbruchs ausgerufen haben“, sagt er im Interview mit unserer Zeitung. Gleichzeitig rechnet er noch mit Differenzen, wenn die erklärten Absichten jetzt konkret verhandelt und dann auch durchgerechnet werden müssen. Der Wortlauf des Gesprächs:

Lesezeit: 4 Minuten
SPD, Grüne und FDP feiern nahe zu euphorisch ihr Sondierungspapier. Wird die Ampelkoalition zum Selbstläufer? Kommt es zum beschworenen Aufbruch im Einklang? Der Erwartungsdruck ist hoch. Ein Rückweg ist kaum noch möglich, seit man gemeinsam die Koalition des Aufbruchs ausgerufen hat. Und die Union scheint derzeit nicht fähig, in Koalitionsgespräche einsteigen ...
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Teure Versprechen: Was das Eckpunktepapier der Sondierer für Steuerzahler und Arbeitnehmer bedeutet

Das Eckpunktepapier der Sondierer von SPD, FDP und Grünen weist der Ampel den Weg für die Koalitionsverhandlungen. Schon jetzt lassen sich konkrete Folgen ablesen.

Steuerzahler: Hier legt sich die Ampel ganz im Sinne der FDP fest: „Wir werden keine neuen Substanzsteuern einführen.“ Damit wird es keine Vermögensteuer geben, die ein Schrecken für Familienbetriebe geworden wäre. Und: „Wir werden Steuern wie die Einkommen-, Unternehmen- oder Mehrwertsteuer nicht erhöhen.“ Das sagen die Sondierer zu. Das Forschungsinstitut Ifo hat berechnet, was das bedeutet: „Ein Steuerkompromiss der Ampelkoalition könnte für die Bürger bis zu 16,4 Milliarden Euro Entlastung bringen.“ Dann müsste sich die SPD mit ihrem Tarif durchsetzen, was die Entlastung der unteren Einkommen angeht. Die FDP müsste sich mit der Forderung nach einer kompletten Soli-Abschaffung durchsetzen. Zudem sollen Firmen Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung als Superabschreibung geltend machen können.

Minijobber: Gute Nachricht für Familien, die eine Putz- oder Gartenhilfe suchen. Es wird künftig leichter werden, einen Minijobber zu finden. Denn die Minijobgrenze wird von 450 auf 520 Euro erhöht. So viel darf ein Minijobber also künftig im Monat insgesamt verdienen, wobei er wie bisher auch mehrere Arbeitgeber haben darf. Der Minijobber darf künftig maximal zehn Stunden in der Woche arbeiten und muss Mindestlohn erhalten, den die Koalitionäre auf 12 Euro erhöhen wollen. Die Midijobgrenze, bis zu der reduzierte Abgaben gelten, soll von 1300 auf 1600 Euro erhöht werden.

Mindestlohn: Die Ampel will den Mindestlohn auf 12 Euro pro Stunde erhöhen. Derzeit liegt er bei 9,60 Euro. Damit will der Staat einmalig eingreifen, über künftige Anhebungen soll die Mindestlohnkommission entscheiden. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ist allerdings bereits alarmiert: „Mit dem Eckpunktepapier ergibt sich insgesamt ein Anstieg des Mindestlohns um 36 Prozent binnen vier Jahren. Negative Folgen für die Beschäftigung im Bereich einfacher Tätigkeiten sind wahrscheinlich“, sagt IW-Geschäftsführer Hans-Peter Klös.

Hausbauer: Konkret wird es beim Thema Solardach. So werden Investoren verpflichtet, gewerbliche Neubauten künftig mit einem Solardach auszustatten. Für private Hausbauer soll es, anders als von den Grünen gewünscht, keine Pflicht geben. „Alle geeigneten Dachflächen sollen künftig für die Solarenergie genutzt werden. Bei gewerblichen Neubauten soll dies verpflichtend, bei privaten Neubauten soll es die Regel werden“, heißt es weiter. Um Schwarzkäufe zu verhindern, soll ein Verbot des Immobilienkaufs mit Bargeld erlassen werden.

Kohlebeschäftigte: Die Ampel will den Kohleausstieg schon auf das Jahr 2030 vorziehen. „Niemand wird ins Bergfreie fallen“, verspricht die Ampel. Das Anpassungsgeld, mit dem die Brücke zwischen Entlassung und Rente geschlossen wird, soll entsprechend erhöht werden. Noch unklar ist, was es heißt, wenn künftig nicht mehr RWE, sondern eine neue Stiftung für die Renaturierung zuständig ist.

Privatpatienten: Privat Krankenversicherte müssen sich keine Sorgen machen: „Die gesetzliche und die private Kranken- und Pflegeversicherung bleiben erhalten“, heißt es im Ampelpapier. Damit wird es die von Grünen und SPD gewünschte Bürgerversicherung nicht geben, die bestehenden Privattarife bluten nicht (weiter) aus. Es bleibt aber abzuwarten, ob Grüne und SPD in den Koalitionsverhandlungen einen Zuschuss von der privaten an die gesetzliche Krankenversicherung verlangen, um gesichtswahrend dieses Kapitel schließen zu können.

Hartz-IV-Bezieher: Anstelle der Grundsicherung will die Ampel ein Bürgergeld einführen. „Ein Bürgergeld anstelle von Hartz IV einzuführen, ist weder ein realistischer noch ein erforderlicher Systemwechsel in der Grundsicherung“, warnt Klös. So will die Ampel Teile der Agenda 2010 wieder zurückdrehen: „Während der Corona-Krise galten großzügige Regelungen zu Schonvermögen und zur Überprüfung der Wohnungsgröße. Wir prüfen, welche dieser Regeln wir fortsetzen wollen“, heißt es in dem Beschluss weiter.

Rentner: Die Koalitionäre wollen das Mindestrentenniveau bei 48 Prozent sichern und das Rentenalter nicht erhöhen. Damit müssen die Rentenbeiträge kräftig steigen – oder eben der Bundeszuschuss. „Das bedeutet eine demografisch unzureichende Rentenpolitik“, warnt Klös. Die Reform der privaten Altersvorsorge reiche nicht aus, um das zu neutralisieren. So wollen die Koalitionäre einen öffentlichen Fonds schaffen, in dem jeder künftig automatisch einen privaten Rentenvertrag abschließt – es sei denn, er entscheidet sich aktiv dagegen. Zugleich betont die Ampel: „Es gilt ein Bestandschutz für laufende Riesterverträge.“ Zur Förderung der privaten Vorsorge soll der Sparerpauschbetrag von 801 auf 1000 Euro steigen.

Bundeshaushalt: Die FDP hat sich durchgesetzt: Die Schuldenbremse bleibt. „Wir werden im Rahmen der grundgesetzlichen Schuldenbremse die nötigen Zukunftsinvestitionen gewährleisten“, heißt es im Ampelpapier. Allerdings summieren sich die Ankündigungen auf viele Milliarden, daher heißt es: Man wolle Haushaltsspielräume gewinnen, in dem man überflüssige und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben überprüft. Solche Ankündigungen gab es immer wieder, hier muss die Ampel ein dickes Brett bohren. FDP-Chef Christian Lindner nimmt etwa die hohe E-Auto-Förderung ins Visier. „Mit nachhaltiger Finanzpolitik sind die Beschlüsse nicht vereinbar“, kritisiert Ifo-Chef Clemens Fuest. Antje Höning