Scholz wittert Kanzlerluft: Laschets Schwäche macht den SPD-Spitzenkandidaten noch selbstbewusster

Von Tim Braune
Olaf Scholz
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz sieht für seine Partei einen «sichtbaren Auftrag» zur Regierungsbildung. Foto: Wolfgang Kumm/dpa/dpa

Der SPD-Wahlsieger formuliert seinen Regierungsanspruch umso offensiver, als er merkt, dass Armin Laschet in der Union immer weiter unter Druck gerät. Und in die Guido-Westerwelle-Falle tappt Olaf Scholz dabei schon mal nicht. Am Montagvormittag nach der Wahl gibt er eine Pressekonferenz in der Parteizentrale. Der Saal mit der überdimensionalen Willy-Brandt-Bronzefigur ist rappelvoll.

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Die SPD-Wahlsiegerinnen Manuela Schwesig aus Schwerin, Franziska Giffey aus Berlin und Scholz bekommen Blumensträuße überreicht. Der Korrespondent eines britischen TV-Senders will dann von Scholz genau wissen, ob er als Bundeskanzler Lastwagenfahrer auf die Insel schicken würde, um den Engpass nach dem Brexit zu beheben. Die Frage wird – wie einige weitere – wohlgemerkt auf Englisch gestellt.

Für deutsche Politiker ist das erfahrungsgemäß nicht unheikel. Der damalige FDP-Chef und spätere Außenminister Westerwelle bürstete 2009 einen in seiner Muttersprache fragenden BBC-Reporter unwirsch ab („Wir sind hier in Deutschland“). Das bescherte dem inzwischen verstorbenen Liberalen nach einem historischen Wahlsieg einen erheblichen Imageschaden.

Scholz hingegen scheut die Fremdsprache nicht. Flüssig erklärt der Bundesfinanzminister, dass ja viele gern Truckfahrer sein wollten. Allerdings müssten sich die Briten schon fragen, ob der Mangel nicht vielleicht etwas mit schlechten Löhnen zu tun hat. Routiniert pariert er Fragen des CNN-Reporters Frederik Pleitgen (Sohn der WDR-Legende Fritz Pleitgen) nach Kontinuität im Kanzleramt nach Merkel.

Ein bisschen Kanzlerluft liegt da schon in der Luft. Die starke Präsenz ausländischer Medien ist zumindest ein Indiz, dass man im Rest Europas glaubt, dieser Sozialdemokrat da vorn auf der Bühne könnte die große Angela Merkel nach 16 Jahren beerben. Laschet wird am Nachmittag in seiner Pressekonferenz jedenfalls keine einzige internationale Frage gestellt.

Ob Scholz wirklich Kanzler wird, bleibt indes vorerst ungewiss. Er habe jedenfalls gut geschlafen, betont er gut gelaunt. Nach dem Aufwachen habe er geschaut, wie sich die Ergebnisse entwickelt hätten. „Da habe ich mich dann noch mal gefreut.“ Mit 25,7 Prozent liegt die SPD nun klar vor der Union (24,1 Prozent). Sehr genau registriert die SPD, was da bei CDU und CSU los ist. Laschet schwächt seinen am Vorabend erhobenen Regierungsanspruch ab in die Bereitschaft, für ein Jamaika-Bündnis bereitzustehen, falls Scholz keine Ampel hinbekommt. Prompt tritt Scholz entschiedener auf. SPD, Grüne und FDP hätten Stimmen dazugewonnen und sollten eine Regierung bilden. Er greift historisch weit zurück, um einer Ampel zu mehr Glanz zu verhelfen. Von 1969 bis 1982 habe es eine erfolgreiche sozialliberale Koalition gegeben. Rot-Grün unter Gerhard Schröder sei ebenfalls eine „sehr gute Regierungszeit“ gewesen. Nun könne man gut eine „sozial-ökologisch-liberale Koalition“ schaffen. „Wenn drei Parteien, die den Fortschritt am Beginn der 20er-Jahre im Blick haben, zusammenarbeiten, kann das etwas Gutes werden, selbst wenn sie unterschiedliche Ausgangslagen haben.“ Die Ampel sei eine „Fortschrittserzählung“.

Gilt das auch für Berlin? Giffey sieht dieses Bündnis als eine von mehreren Optionen. Eine Ampel in der Hauptstadt wäre für Scholz eine gute Vorlage. In Rheinland-Pfalz harmoniert das Bündnis schon länger. Scholz will schnell mit FDP und Grünen reden, um noch vor Weihnachten eine neue Regierung zu bilden. „Völlig okay“ findet es Scholz, dass FDP und Grüne zuerst miteinander reden wollen.

Die SPD will mit sechs Personen in die Sondierungsgespräche gehen. Neben Scholz sind das die Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, Generalsekretär Lars Klingbeil, Fraktionschef Rolf Mützenich und die Mainzer Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Auf rote Linien verzichtet Scholz dabei bewusst: „Wir wollen vertrauensvoll mit denen reden, mit denen wir uns zusammentun wollen.“

Das hört sich morgens bei Walter-Borjans allerdings noch ganz anders an. Er wirft der FDP eine „Voodoo-Ökonomie“ vor. Auch Esken geht Grüne und FDP zunächst harsch an, weil diese ein Jamaika-Bündnis offen ließen: „Ich finde es erstaunlich, wie man einen so krassen Wahlverlierer zum Kanzler wählen möchte.“ Ein paar Stunden später hat Scholz eine moderate Linie durchgesetzt.

Zudem klärt die SPD eine erste wichtige Personalie. Fraktionschef Rolf Mützenich will weitermachen. Das kündigt der Außenpolitiker aus Köln nach Informationen unserer Zeitung in einer Vorstandssitzung an. Scholz hat ihn darum gebeten. Die SPD-Fraktion wählt an diesem Mittwoch. Der 62-jährige Mützenich soll wohl länger an der Spitze bleiben. Zuletzt soll er damit geliebäugelt haben, als Nachfolger von Wolfgang Schäuble Bundestagspräsident zu werden. In diesem Fall könnte der Parteilinke Matthias Miersch in der Fraktion aufrücken. Gewählt wird der Parlamentspräsident bei der konstituierenden Sitzung des Bundestages, die am 26. Oktober stattfindet. Die Sozialdemokraten sind mit zehn Mandaten Vorsprung auf die Union stärkste Kraft im Parlament und können daher den Posten beanspruchen. Tim Braune