Die Union rudert zurück: Für den Regierungsanspruch von CDU/CSU schwindet der Rückhalt in den eigenen Reihen

Von Hagen Strauß, Jana Wolf
Am Wahlabend proklamierte Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) noch selbstbewusst die Regierungsbildung für sich – doch am Tag danach ist davon nicht mehr viel übrig.
Am Wahlabend proklamierte Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) noch selbstbewusst die Regierungsbildung für sich – doch am Tag danach ist davon nicht mehr viel übrig. Foto: picture alliance/dpa

Am Tag nach der Wahl implodiert die Strategie der Union: Angesichts der historischen Wahlniederlage wird der eigene Regierungsanspruch offen in Zweifel gezogen. Manch einer denkt bereits laut über den „aufrechten Gang in die Opposition“ nach. Die Zukunft von Armin Laschet ist ungewisser denn je.

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Am Abend der Wahl war das Ergebnis unsicher, doch die Strategie der Union schien festzustehen: Trotz Platz zwei hinter der SPD reklamierte Kanzlerkandidat Armin Laschet den Auftrag zur Regierungsbildung für sich. CDU und CSU würden alles daran setzen, eine Regierung unter ihrer Führung zu bilden, sagte der CDU-Chef noch am Sonntagabend. Am Vormittag danach steht dann das vorläufige Ergebnis fest: Die Union liegt mit 24,1 Prozent klar hinter der SPD (25,7 Prozent), das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte. Und die vermeintlich so klare Strategie implodiert.

Am Montag um 9 Uhr tritt das CDU-Präsidium zusammen, um über das weitere Vorgehen zu beraten, anschließend kommt auch der Parteivorstand zusammen. Schnell wird klar, dass es hinter verschlossenen Türen Zoff gibt. „Es war am Wahlabend zu ruhig“, sagt einer. Laschet und Ralph Brinkhaus, bisher Unionsfraktionschef, geraten aneinander. Brinkhaus beansprucht den Fraktionsvorsitz erneut für sich – doch Laschet will seinem Parteikollegen vorerst nur kommissarisch das Amt überlassen. Laschet hält sich damit eine Aussicht auf den Posten als Oppositionsführer im Bundestag offen, sollte der Union die Bildung einer Regierung nicht gelingen. Doch Brinkhaus bleibt hart. „Er wird durchziehen“, so einer, der ihn gut kennt. Das könnte das politische Ende Laschets einläuten.

Im Konrad-Adenauer-Haus regiert an diesem Vormittag der große Frust. Es fallen hinter den Kulissen Wörter wie „alles Sch…“ und „niederschmetternd“. Die Analyse ist die: „Wir haben in den letzten Jahren viele Stammwähler verloren und Merkel-Wähler gewonnen.“ Nur: Bei der Bundestagswahl hätten dann auch die Stimmen der Merkel-Getreuen gefehlt, was zum historisch schlechtesten Ergebnis geführt habe. Es ist ein vernichtender Befund.

Zwei Denkschulen prallen in den Gremiensitzungen der Union aufeinander. Die einen wollen maximale Geschlossenheit, um sich in eine Regierungsbeteiligung mit Grünen und FDP zu retten. Die anderen sagen, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Sie wollen eine Erneuerung. Auch personell. „Wir können keine Koalition machen“, sagt ein Vorstandsmitglied hinter vorgehaltener Hand.

Nochwirtschaftsminister Peter Altmaier spricht vor der Sitzung des Vorstands von einem Ergebnis, dass „ich mir vor einigen Monaten nicht in den schlimmsten Albträumen vorstellen konnte“. Tobias Hans, saarländischer Ministerpräsident, erklärt: „Wir haben die Wahl verloren. Deswegen gibt es aus 24 Prozent auch keinen Regierungsanspruch abzuleiten.“ Aus staatspolitischer Verantwortung stehe man aber für Gespräche mit anderen Parteien zu Verfügung.

Dann schiebt Hans jedoch Sätze von besonderer Wucht nach: „Es muss vorher klar sein, wofür die CDU steht, was mit ihr nicht verhandelbar ist. Und nur damit können Gespräche geführt werden. Ansonsten werden wir den aufrechten Gang in die Opposition gehen.“ Das sitzt. Im Bundesvorstand rudert Laschet dann auch zurück: „Aus dem Wahlergebnis kann niemand einen Regierungsanspruch ableiten, das habe ich am Sonntag auch nicht gesagt“, betont er nach Angaben von Teilnehmern. Er fühlt sich missverstanden. Es ist ein erster Teilrückzug.

Auch der Vorstand der CSU ist am Vormittag zusammengetreten und berät parallel in München. Und auch hier werden plötzlich andere Töne angeschlagen als noch am Wahlabend. CSU-Chef Markus Söder zweifelt nach dem Wahldebakel den eindeutigen Regierungsanspruch an. Die Union sei auf Platz zwei und nicht eins gelandet, es gebe daraus keinen Anspruch auf die Regierungsführung, sagt Söder laut Teilnehmern der Sitzung. Zwar gebe es weiterhin ein Angebot für Gespräche. Doch es werde kein „Anbiedern um jeden Preis“ bei Grünen und FDP geben, sagt Söder in der Sitzung und warnt davor, das Ergebnis schönzureden und einfach zur Tagesordnung überzugehen.

Auch Albert Füracker, bayerischer Finanzminister und Mitglied im CSU-Präsidium, betont, man könne keinen Anspruch erheben, höchstens ein Angebot machen. Das Wahlergebnis sei besonders für die CDU „sehr bitter“, sagt Füracker unserer Zeitung – „auch für das Land“. Er verweist darauf, dass CDU/CSU bei dieser Wahl 50 Bundestagsmandate verloren hätten – „49 davon die CDU“, so Füracker. Die CSU stelle nun 25 Prozent der gemeinsamen Fraktion.

Am Sonntagabend klang das bei der CSU noch ganz anders. Söder hatte vom „klaren Ziel“ gesprochen, den Führungsauftrag für die Union zu definieren und Armin Laschet zum Kanzler zu machen. „Wir glauben fest an die Idee eines Jamaika-Bündnisses“, sagte Söder. Doch von diesem festen Glauben ist am Montagvormittag nicht mehr viel übrig.

Doch es gibt nach wie vor auch Unterstützer für Armin Laschet in den eigenen Reihen – oder zumindest solche, die um eigene Posten und Perspektiven fürchten. Jens Spahn, Bundesgesundheitsminister und Mitglied des CDU-Präsidiums, sieht noch immer die Chance, eine „bürgerliche Regierung“ zu führen. „Armin Laschet hat einen enormen Kampf hingelegt in den letzten Wochen“, sagte Spahn dem „Spiegel“. Armin Laschet stehe dafür, dass er zusammenführen und unterschiedliche Partner zusammenhalten könne. „Und ja, daraus lässt sich der Anspruch ableiten, den Kanzler zu stellen“, sagt der Nochminister. Klar ist dabei aber auch, dass aus Spahn der Wunsch spricht, auch in Zukunft noch Minister zu sein. Landet die Union am Ende in der Opposition, fallen die zu vergebenden Posten spärlich aus. Der harte Machtkampf ist programmiert. Hagen Strauß/Jana Wolf

Kommentar von Birgit Pielen zu Laschets Karriere: Von einem, der auszog, um Kanzler zu werden

Am späten Sonntagabend stellte sich vor allem eine Frage: Wer bitteschön sagt Armin Laschet, dass er die Bundestagswahl verloren hat? Sein Verhalten am Wahltag zeigte zuweilen Züge eines absurden Theaters. Im Wahllokal in Aachen faltete er seinen Wahlzettel so, dass für Fotografen und Umstehende deutlich zu sehen war, dass er seine Kreuze bei der CDU gemacht hat.

Ein erfahrener Politiker, der noch dazu Kanzler werden will, weiß ganz genau, wie Wahlzettel gefaltet werden. Was sollte das also? Wie Laschet diese Ignoranz gegenüber dem Grundsatz einer geheimen Wahl rechtfertigt, wird wohl für ewig sein Geheimnis bleiben. Denn der Bundeswahlleiter gab anschließend grünes Licht für diesen unrühmlichen Vorgang. SPD-Politiker Karl Lauterbach kommentierte Laschets Verhalten schlicht: „So dumm kann niemand sein.“

Es sollte nicht die einzige merkwürdige Interpretation einer demokratischen Wahl bleiben. Nach den ersten Hochrechnungen am Abend war schnell klar: Die Union hat die Wahl verloren. Und nicht nur das: Es ist ein historisch schlechtes Ergebnis. Überraschend verkündet Laschet dann vor den Fernsehkameras mit großer Selbstverständlichkeit, dass er alles daransetzen will, „eine Bundesregierung unter Führung der Union zu bilden“.

Hier zeigt sich der Prototyp des unsouveränen Wahlverlierers. Man erinnere sich an Gerhard Schröder (SPD) 2005, als er wider besseres Wissen trotzig behauptete: „Ich bleibe Bundeskanzler.“ Das verzweifelte Klammern an die Macht und die Ahnung vor dem drohenden Bedeutungsverlust beflügeln den Absturz solcher Politiker mehr, als dass sie ihn aufhalten.

Ja, Armin Laschet wird viel verlieren. Das ist der Preis der Politik, die Ämter nur auf Zeit vergibt. Als Ministerpräsident wird er nicht nach NRW zurückkehren, dort wird schon eifrig nach einer Nachfolge für ihn gesucht. Am 23. Oktober wird wahrscheinlich bei einem CDU-Landesparteitag entschieden, wie es personell weitergeht. Aber auch als CDU-Chef wird Laschet nach diesem desaströsen Bundestagswahlergebnis schwer zu halten sein. Denn ein Erneuerer, den die Partei so dringend braucht, ist der 60-Jährige nicht. Was Laschet am Ende des Tages vielleicht bleiben wird, ist ein Bundestagsmandat über die Landesliste. Das ist nicht viel für einen, der auszog, um Merkel-Nachfolger zu werden.

Am Montagmorgen kamen wohltuende Töne aus der Union, die Laschet endlich aus der Parallelwelt holten. Michael Kretschmer, Regierungschef von Sachsen, erklärte, ihm erschließe sich die Haltung in der Berliner CDU-Zentrale nicht, angesichts des Absturzes von einem Regierungsauftrag zu sprechen. Ähnlich klang es aus München – und plötzlich auch von Laschet persönlich. Niemand habe am Sonntagabend von einem Regierungsauftrag für die Union gesprochen, ließ er verlauten. Es sei lediglich die Faktenlage beschrieben worden. Aha. So klingt nun also die Beschreibung einer Niederlage, die vernichtender kaum hätte sein können für Armin Laschets politische Karriere.

E-Mail: birgit.pielen@rhein-zeitung.net