Die letzten Meter: Debatte um Regierungskoalitionen nach Bundestagswahl nimmt Fahrt auf

Wahlkampfendspurt: Wie hier in Berlin gehen die drei Kanzlerkandidaten Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz nicht nur auf Plakaten in die Offensive. Angesichts knapper Prognosen geht es um jede Wählerstimme.  Foto: dpa
Wahlkampfendspurt: Wie hier in Berlin gehen die drei Kanzlerkandidaten Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz nicht nur auf Plakaten in die Offensive. Angesichts knapper Prognosen geht es um jede Wählerstimme. Foto: dpa

In dieser Woche kommt noch einmal der Bundestag zusammen, währenddessen läuft der Wahlkampf auf vollen Touren. Wie bringen sich die Parteien in Stellung angesichts des knappen Rennens? In einer neuen Umfrage legt die SPD noch einmal weiter zu – auch die CDU gewinnt wieder leicht. Laut Insa-Meinungstrend für „Bild“ käme die SPD auf 26 Prozent (plus 1 Prozentpunkt). Die Union legt im Vergleich zur Vorwoche einen halben Prozentpunkt auf 20,5 Prozent zu. Grüne (15,5 Prozent) und FDP (12,5 Prozent) verlieren jeweils 1 Punkt, die Linke (6,5 Prozent) verliert einen halben Punkt. Die AfD (11 Prozent) hält ihren Wert. Unter den sonstigen Parteien kommen die Freien Wähler auf 3 Prozent. So gehen die Parteien in den Wahlkampfendspurt:

Lesezeit: 4 Minuten
Anzeige

1 Union: Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) hat es satt. Er will nach eigenem Bekunden bis zur Wahl nicht mehr über Umfragen sprechen, die derzeit die SPD vor der Union sehen. „Dieses tägliche Klicken von Umfragen mag spannend sein. Ich sage, wie es mit Deutschland weitergehen soll“, sagte der CDU-Chef – und präsentierte einen digitalpolitischen Aufschlag. Konkret sieht das Papier 25 Einzelpunkte vor, die sich zum Teil auch im Wahlprogramm der Union wiederfinden. Dabei geht es etwa um digitale Souveränität, digitale Bildung, die Stärkung der Start-up-Szene oder die Digitalisierung der Verwaltung. Verwaltungsverfahren müssten „für die Bürgerinnen und Bürger einfacher, unkomplizierter und kürzer“ gestaltet werden, heißt es in dem Papier.

Die Union widmet sich auch der Digitalisierung von Mittelstand und Handwerk: Dabei sollen Rechtsunsicherheiten der Datenschutz-Grundverordnung gezielt für Mittelständler beseitigt und Hilfestellung geleistet werden – „beispielsweise für eine rechtssichere Anonymisierung von Daten, damit diese einfacher verarbeitet werden können“. Nach dem Willen der Union soll es künftig keine Cookie-Banner mehr geben.

Stattdessen wollen CDU und CSU sogenannte „Personal Information Management Systems schaffen, bei denen Nutzer nur einmal angeben müssen, wer wann und wofür ihre Daten nutzen darf“. Auch die Forderung nach einem eigenen „Bundesministerium für digitale Innovationen und Transformation“ wird bekräftigt.

CSU-Chef Markus Söder wirbt Hunderte Kilometer entfernt für die Union. „Ich unterstütze Armin Laschet zu 100 Prozent“, sagt Söder beim Politischen Gillamoos im bayerischen Abensberg. Als ein Raunen durch die Festhalle zieht, beteuert Söder nochmals: „Ich unterstütze ihn, ich unterstütze ihn.“ Söder weiß ganz genau, dass sich viele nach seinen anhaltenden Seitenhieben in diesem Punkt nicht so sicher sind. Und einen Satz lässt Söder sich auch in Abensberg nicht nehmen: „In Bayern hätten wir ein halbes Prozent mehr bekommen, wenn ich kandidiert hätte.“ Doch das sei „Schnee von gestern“.

Söder nutzt seine rund 45-minütige Rede, um eindringlich vor einem Linksbündnis zu warnen und beinahe flehentlich um Stimmen zu werben. Er richtet den Blick auch auf die FDP, die zwar der „geborene Partner“ für die Union sei. Doch nun rücke die FDP jeden Tag „näher an Linke“ heran. „Jeder, der die FDP wählt, bekommt am Ende Rot-Grün.“

2 FDP: Christian Lindner wiederum weist die Forderung nach dem Ausschluss einer Ampel deutlich zurück. Da seien jetzt nicht die Liberalen am Zug, sagt der FDP-Chef. Immerhin sei es ja die FDP gewesen, die 2017 mit der Verweigerung eines Jamaika-Bündnisses eine Verschiebung nach links verhindert hätten. Die Aufforderung des CDU-Finanzpolitikers Friedrich Merz, dass er eine Ampel ausschließen soll, sei aber „aufgrund der taktischen Situation der CDU entschuldbar“, sagte Lindner.

Doch in der Tat legt er sich nicht fest. Auch am Wochenende vermied er eine klare Aussage, ob eine Ampelkoalition infrage kommt. Er werbe für eine starke FDP mit einer eigenständigen Rolle. „Unser Angebot ist eine Politik der Mitte – angesichts der Flirts von Rot-Grün mit der Linken und auch angesichts der gegenwärtigen Schwäche der Union.“ Wichtig sei aber weiter, dass die Union der FDP in der Sache näher stehe als SPD oder Grüne. Diese stünden für Offenheit für Enteignung, Bürokratismus und Umverteilung, Subventionierung und höhere Steuern. „Das ist jetzt nicht ein Programm, das eine innere Verwandtschaft zu unserem Programm hat“, sagt Lindner.

3 SPD: Im Willy-Brandt-Haus ist es richtig voll. Die SPD-Chefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans treten vor die Presse – und werben vehement für ihren Kanzlerkandidaten Olaf Scholz. Das Land brauche eine „Vertrauensperson“, sagt Walter-Borjans. Olaf Scholz sei das – und hinter ihm stehe eine harmonisch geeinte Führungsmannschaft. Walter-Borjans wirft der Union eine „Angstkampagne“ gegen ein mögliches rot-grün-rotes Bündnis nach der Bundestagswahl vor. Es handele sich letztlich um ein Ablenkungsmanöver. CDU und CSU hätten „kein Programm“ und „keinen Plan“. Ihre „Angstkampagne“ laufe ins Leere. Zudem räumte er ein, einige Aspekte im Wahlprogramm der Linken seien „eine Hürde, die es schwer macht, für eine Zusammenarbeit zusammenzukommen“.

Die Parteivorsitzende Saskia Esken betonte, „dass wir nicht vor Wahlen über mögliche Koalitionspartner sprechen und nachdenken, sondern danach“. Bedingung für ein Bündnis seien die Bereitschaft zu einer soliden Haushaltspolitik sowie ein Bekenntnis zur Nato und einer starken Europäischen Union. Walter-Borjans erklärte, auch die steuerpolitischen Pläne der FDP zugunsten von Spitzenverdienern seien eine „absolute Hürde“.

4 Grüne: Die Grünen erleben gerade zwei Parallelwelten: Einerseits berichtet Bundesgeschäftsführer Michael Kellner von vollen Marktplätzen bei Wahlkampfauftritten von Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Andererseits kannte die grüne Kurve in den Umfragen zuletzt vor allem eine Richtung: abwärts. Kellner betont, dass man dankbar sei für den Wahlaufruf mehrerer Prominenter. Zu ihnen gehören etwa BAP-Musiker Wolfgang Niedecken, Judith Holofernes (Wir sind Helden), Sven Regener (Element of Crime), Sängerin Balbina sowie der Bestsellerautor Frank Schätzing und der Regisseur Leander Haußmann. „Die Menschheit steht vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte. Die Klimakatastrophe infolge der von Menschen verursachten globalen Erwärmung droht nicht, sie findet statt“, heißt es in dem Aufruf. Die Umwelt- und die Klimafrage seien der Markenkern der Grünen. Keine andere Partei habe in den vergangenen Jahrzehnten so viel Expertise zu Nachhaltigkeitsthemen angesammelt. Für die Grünen selbst wäre nach der Wahl ein Bündnis mit der SPD die Wunschkonstellation – die Skepsis gegenüber Linken (Differenzen in der Außenpolitik) und der FDP (Steuern) ist nach wie vor groß.

5 Linke: Ein „Bekenntnis“ will die Linkspartei nicht abgeben. Diese würden ja „vor allem in der Kirche“ abgelegt, sagt Spitzenkandidat Dietmar Bartsch und lehnt Forderungen aus der SPD nach einem Bekenntnis zur Nato als „abstrus“ ab. Bartsch und Co-Spitzenkandidatin Janine Wissler stellten ein Sofortprogramm zur Bundestagswahl für eine Koalition mit SPD und Grünen vor – und wollen den Fokus auf anderes richten. Eine sofortige Anhebung des Mindestlohns auf 13 Euro und ein bundesweiter Mietendeckel gehören dazu. Kategorisch schließt Bartsch eine Beteiligung an einer Regierung aus, „die die Rüstungsausgaben steigert und Waffen in Krisengebiete liefert“. Diese könne es „mit der Linken nicht geben“, sagte er. Auch die Forderung nach einem Ende aller Auslandseinsätze der Bundeswehr wird in dem Sofortprogramm bekräftigt. Die Nato wird dagegen in dem achtseitigen Papier nicht erwähnt.

Tim Braune/Jan Drebes/Kerstin Münstermann/Jana Wolf